„Drittes Geschlecht“ ist kein Normalfall

Intersexuelle Menschen haben sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale. Wenn diese medizinische Störung in der öffentlichen Debatte und in den Medien als ein Ausdruck natürlicher sexueller Vielfalt hingestellt wird, widerspricht das wissenschaftlichen Fakten. Ein Essay von Michael Kämpfer
Von PRO
Mit einem Bundestagsbeschluss vom vorigen Dezember ist auch die Kategorie „divers“ als amtlicher Eintrag für das Geschlecht eines Menschen anerkannt. Eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bei Standesämtern in deutschen Großstädten ergab, dass nur wenige Bürger seither ihr Geschlecht zu „divers“ ändern ließen. In Berlin etwa waren es bis 11. April neun.

Unsere heutige Gesellschaft ist in jeder Beziehung bunter geworden. Das neue Credo ist ein Bekenntnis zur Vielfalt. Da ist von sexuellen Identitäten die Rede, wird über gendergerechte Sprache oder Unisex-Toiletten gestritten. Mann, Frau, Ehe und Familie sind keine Konstanten mehr, sondern beginnen sich in individualistisch gedachten Konzepten aufzulösen.

Wer sich genauer über die Inhalte informieren möchte, hat es nicht leicht. Kritischen oder skeptischen Anfragen wird allzu leicht mit Vorwürfen statt mit Erklärungen begegnet. Noch einmal schwieriger wird es, wenn selbst in seriösen Medien unklare oder sogar falsche Informationen verbreitet werden, wie es beim Thema Intersexualität geschehen ist.

Um genauer zu verstehen, worum es geht, müssen wir ein wenig ausholen. Historisch haben wir es erst in allerjüngster Zeit mit der so genannten „Sexuellen Vielfalt“ zu tun. Neu ist das sperrige Kürzel LSBTTIQ, bei dem die Buchstaben für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, intersexuell und queer stehen. Die Abkürzung soll „kurz und knapp Menschen bezeichnen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität oder ihres Körpers von der heterosexuellen Norm abweichen“, erklärte der Tagesspiegel. Um bestehenden Ressentiments und Diskriminierungen entgegenzuwirken, wurde die Akzeptanz der Sexuellen Vielfalt inzwischen in allen Bundesländern zu einem Leitthema in den Lehrplänen an den Schulen gemacht. Besondere mediale Aufmerksamkeit erhielt 2017 die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Intersexualität als „ein drittes Geschlecht positiv“ im Personenstandsrecht eintragen zu lassen. Damit gaben die Richter dem intersexuellen Kläger Vanja recht, denn sie sahen in der üblichen Regelung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gegeben. Neben den üblichen Eintragungen „männlich“ und „weiblich“ ist mittlerweile ein weiterer Eintrag für „divers“ amtlich.

Intersexualität ist eine biologische Störung

Doch lässt sich so einfach ein neues Geschlecht einführen? Alle einschlägigen Lehrbücher der Biologie und Medizin beschreiben die Lage naturwissenschaftlich eindeutig. Unter Intersexualität beim Menschen versteht die Biologie „das Vorhandensein von Merkmalen beider Geschlechter bei einem Menschen, d.h. Geschlechtsorgane und sekundäre Geschlechtsmerkmale sind nicht eindeutig weiblich oder männlich, sondern stehen zwischen den Geschlechtern“, stellt das Kompaktlexikon der Biologie klar. Es handelt sich nicht um ein drittes Geschlecht, sondern unter dem Begriff Intersexualität werden vielerlei Abweichungen von der biologisch normalen Geschlechtsentwicklung zusammengefasst, die ein recht komplexes hormonelles Störungsbild beschreiben: Seit Jahrzehnten bekannt sind z.B. die Störungen Klinefelter- sowie Turner-Syndrom oder auch das Adrenogenitale-Syndrom. Der biologische Normalfall ist die heterosexuelle Zweigeschlechtlichkeit.

Chromosomen sind die Bestandteile einer Zelle, auf denen die DNA, das Erbgut, liegt. Sie lassen sich mit chemischen Reaktionen farblich markieren – hier leuchtet das Chromosomenpaar Nr. 5 grün und rot. Der Mensch hat 46 Chromosomen, davon zwei, die das Geschlecht bestimmen. Foto: National Institute of Standards and Technology
Chromosomen sind die Bestandteile einer Zelle, auf denen die DNA, das Erbgut, liegt. Sie lassen sich mit chemischen Reaktionen farblich markieren – hier leuchtet das Chromosomenpaar Nr. 5 grün und rot. Der Mensch hat 46 Chromosomen, davon zwei, die das Geschlecht bestimmen.

Aus dem eigenen Schulunterricht ist vielen der Zusammenhang sogar zugänglich: Ei- und Samenzelle treffen bei der Befruchtung aufeinander und es entsteht die erste vollständige Zelle des neuen Menschen. Der nun folgende Verlauf ist eine hochdifferenzierte Abfolge von Entwicklungsschritten, die eine sehr genaue genetische Steuerung erfordern. Zunächst verfügt der Embryo nur über undifferenzierte Geschlechtsanlagen. Sie sind bipotent, haben sich also noch nicht in eine bestimmte Richtung entwickelt. Erst unter dem Einfluss der Geschlechtschromosomen kommt es zur Ausprägung entweder der weiblichen oder der männlichen Geschlechtsorgane und der damit einhergehenden neurologischen Entwicklung im Gehirn. Aus der Chromosomen-Kombination XX entwickelt sich ein Mädchen, aus der Kombination XY ein Junge. Dieser Ablauf ist unter dem Begriff „Kaskade der Geschlechtsdifferenzierung“ bekannt. Ebenso bekannt sind daran beteiligte Schaltergene oder Schlüsselhormone.

Die menschliche Embryonalentwicklung dauert bis zum Ende des dritten Monats. In dieser Zeitspanne reagiert der Embryo besonders empfindlich auf Störungen wie etwa Strahlung, Medikamente, Alkohol, andere Chemikalien oder auch Abweichungen im eigenen Hormonhaushalt, die zu gravierenden Schädigungen führen können. Das Lehrbuch der Inneren Medizin von Wolfgang Gerok etwa stellt fest, dass sich eine Intersexualität erst als Abweichung von der biologisch normalen Entwicklung ergeben könne.

Medien ignorieren Fakten

Angesichts der Faktenlage ist es geradezu erschreckend, wenn diese Zusammenhänge falsch dargestellt werden. Unter dem Titel „Junge oder Mädchen? Warum es mehr als zwei Geschlechter gibt“ hat sich im April 2018 das WDR-Wissenschaftsmagazin Quarks dem Thema Intersexualität gewidmet. Dort wurde aber der biologische Normalfall geleugnet. Entgegen biologischen Tatsachen wurde gesagt, dass alle Embryonen bereits intersexuell seien und sich aus der Kombination XX nur „vermutlich“ ein Mädchen und aus der Kombination XY nur „vermutlich“ ein Junge entwickeln würde. In Wirklichkeit gebe es ein Kontinuum an Geschlechtern. Der Einspieler mit den nicht korrekten biologisch-medizinischen Aussagen hat der WDR im Februar 2019 erneut verwendet. Diesmal in der Themensendung zur Intersexualität in der Reihe „Planet-Wissen“.

Ein Mensch entsteht dadurch, dass die miteinander verschmolzene Ei- und Samenzelle der Eltern sich immer wieder teilt und das Erbgut vervielfältigt, bis jeder Zelle Platz und Funktion zugewiesen sind Foto: ZEISS Microscopy, flickr | CC BY-SA 2.0 Generic
Ein Mensch entsteht dadurch, dass die miteinander verschmolzene Ei- und Samenzelle der Eltern sich immer wieder teilt und das Erbgut vervielfältigt, bis jeder Zelle Platz und Funktion zugewiesen sind

Leider sind dies nur zwei Beispiele von vielen. In der medialen Öffentlichkeit werden praktisch alle Formen der sexuellen Orientierung und Identität mittlerweile als naturgemäß gegeben vorausgesetzt. „Homosexuell, transsexuell oder intersexuell zu sein, heißt, normal zu sein“, gab die Frankfurter Rundschau diese Auffassung schon 2016 wieder. Wir müssen davon ausgehen, dass der Allgemeinheit geradezu systematisch unzureichende, irreführende und sogar falsche Informationen vermittelt werden. Der wissenschaftlich nicht geschulte Bürger kann das natürlich nicht erkennen. Ihm wird auf diese Weise eine eigenständige Meinungsbildung unmöglich gemacht. Er wird also manipuliert. Das ist eine erschütternde Erkenntnis.

Einem solchen Vorgehen halten Reinhard Hüttl und Volker Stollorz in der Zeit die Bedeutung einer wissenschaftlichen Expertise entgegen. In Zeiten von Fake News werde es immer wichtiger, mehr Rationalität in die öffentliche Debatte zu bekommen. Wissenschaft hat in ihren Augen „eine gesellschaftliche Verantwortung, die Wahrheit auch dann zu sagen, wenn Menschen diese nicht hören wollen“.

Nicht ausgrenzen oder stigmatisieren

Genau hier kristallisiert sich eine sehr schwierige Problemlage heraus. Ein Grund liegt in der Art und Weise, wie in der Vergangenheit mit intersexuellen Menschen umgangen wurde. Aufgrund des uneindeutigen Erscheinungsbildes wurde nach der Geburt versucht, die Kinder durch medizinische Maßnahmen einem Geschlecht zuzuordnen. Sie wurden gewissermaßen „passend“ gemacht. Bei anderen traten die Identitätsprobleme erst in der Pubertät zutage, als sich Körper und Verhalten nicht wie sonst üblich entwickelten. Menschen aufgrund von Störungen, gleich welcher Art, zu diskriminieren, ist nicht in Ordnung. Das Unbehagen gegenüber negativen Zuschreibungen ist vollauf berechtigt.

Die Störung bleibt dann aber immer noch eine Störung. Auch, wenn es natürlich erheblich gravierendere gibt als die Intersexualität. Das hat 2012 auch der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme zur Intersexualität festgestellt. Hier besteht ein erheblicher ethischer Handlungsbedarf. Um die Lebenssituation intersexueller Menschen zu verbessern, geht es in den Medien um die „Anerkennung ihrer Identität“. Das Anliegen an sich ist nur zu unterstützen: Diese Menschen dürfen nicht ausgegrenzt oder stigmatisiert werden. Intersexualität zum biologischen Normalfall zu erklären, ist dabei aber der falsche Weg und lässt sich wissenschaftlich nicht rechtfertigen.

Debatte ist nicht aufrichtig

Es gibt noch einen weiteren Grund für die Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Im Falle der Intersexualität geht es um eine Ideologisierung des Phänomens. Dabei handelt es sich um eine Um- oder Abwertung traditioneller Positionen durch postmodernes Denken. Da die Wissenschaften eher die alten Sichtweisen von der Dualität der Geschlechter stützen, werden ihre Aussagen angezweifelt und nach Bedarf umgedeutet. Dieser Konflikt wird somit auf dem Rücken der intersexuellen Menschen ausgetragen. Es bleibt aber dabei, dass die wissenschaftliche Sachlage und der gesellschaftliche Umgang mit diesen Fakten zwei verschiedene Dinge sind.

Eine christliche Ethik weiß das schon lange. In dieser Sichtweise kann man Menschen wertschätzen, ohne jedoch automatisch alle ihre Handlungen akzeptieren zu müssen. Genau diese sachlich voll gerechtfertigte Positionierung wird heutzutage aber massiv angegriffen. Wer es wagt, die eingeforderte Normalität der Intersexualität skeptisch zu hinterfragen, wird schnell der Homophobie bzw. Interphobie bezichtigt. Das ist ethisch keineswegs in Ordnung und zeigt: Die gesellschaftliche Debatte um Intersexualität und sexuelle Vielfalt überhaupt wird längst nicht aufrichtig geführt. Hier scheuen manche Akteure offensichtlich nicht davor zurück, unsere wissenschaftlichen Standards zu verbiegen.

Michael Kämpfer, 53 Jahre, hat Biologie, Philosophie und Evangelische Religion studiert. Zusätzlich absolvierte er ein Lehramtsstudium. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter am ehemaligen Zentrum für Philosophie und Grundlagen der Wissenschaft der Justus-Liebig-Universität in Gießen tätig und arbeitet seit zwölf Jahren als Gymnasiallehrer für Biologie und Philosophie/Ethik. Einen ausführlichen wissenschaftlichen Aufsatz zu diesem Thema hat er für die Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“ verfasst.

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2 Antworten

  1. Klar, es gibt kein drittes Geschlecht. Der simple Beweis dafür wäre ein authentisches Foto! Das Ganze ist eine aktuelle Ideologie die sich gegen die traditionelle Familie richtet. Ihre bisherige Alleinstellung versucht man durch neue Geschlechter und gleichwertige Kombinationen zu entwerten. Trotzdem, der Schwule ist und bleibt ein Mann und die Lesbe ist und bleibt eine Frau.

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