Der erfolgreiche US-Rapper Kanye West macht zwar aktuell wieder Schlagzeilen wegen des öffentlich ausgetragenen Streits über die Scheidung von seiner Ehefrau Kim Kardashian. Doch gleichzeitig macht der Künstler durch seine Alben von sich reden, auf denen es sehr stark um den christlichen Glauben geht. Nun erscheint eine Dokumention auf dem Streamingportal Netflix, das den Beginn der Karriere des Rappers zeigt. In „jeen-yuhs: A Kanye Trilogy“ ist der Zuschauer Zeuge, wie der damals noch unbekannte Kanye West von Plattenlabel zu Plattenlabel durch New York läuft, auf der Suche nach dem großen Deal, der ihn bekannt machen könnte.
In den 87 Minuten von „jeen-yuhs“, die ab dem 16. Februar auf Netflix zu sehen sind, lernt man schnell, was in den 90er Jahren zur Grundausstattung für einen Rapper gehörte, auf den eine Kamera gerichtet wird: selbstbewusst seinen Künstlernamen nennen und zu Verstehen geben, dass man einmal ein ganz Großer im Business werden wird. Bei einem stellte sich dies als besonders zutreffend heraus: Jener 19-Jährige mit Zahnspange, der zunächst im Hintergrund als Produzent agierte, sollte einmal zu den erfolgreichsten Musikern weltweit werden. Die Dokumentation, die größtenteils aus 20 Jahre alten, wackeligen Camcorder-Aufnahmen besteht, zeigt jede Menge schwarze Rapper mit obligatorischem Baseball-Cap und Goldkette, die sehr oft das „N-Wort“ sagen, als gäbe es kein Morgen.
Jesus geht mit
Die Filmemacher Clarence „Coodie“ Simmons und Chike Ozah, die unter dem Namen „Coodie & Chike“ später Videoclips für Musiker wie Pitbull, Mos Def, The Black Keys, Christina Aguilera, Erykah Badu und Ed Sheeran sowie Dokumentionen drehten, trafen den jungen Kanye West zum ersten Mal 2002 in New York. Über 21 Jahre lang begleitete „Coodie“ Simmons den Rapper mit der Kamera. Aus über 400 Stunden Filmmaterial machte Simmons nun die Netflix-Doku, in der Corona-Pandemie habe er dazu endlich Zeit gefunden, sagte er der Presse.
Er habe schon damals das Potenzial in West gesehen, sagte Simmons, weil dieser so voller Energie und Ideen gesteckt habe. So beschloss er, alles auf Videotape aufzunehmen. Damals habe er noch nicht so recht gewusst, wofür das einmal gut sein könnte. Heute sei ihm klar, dass Gott das alles so gefügt habe. „Wir sagen das über alle unsere Dokumentionen“, sagte Simmons, „Gott hat das Drehbuch geschrieben, und Jesus führte Regie.“ Und er fügte hinzu: „Gott ist genial.“ Und damit setzte er sogleich den Titel für die Netflix-Doku, denn „jeen-yuhs“ ist ein Slang-Wort für „Genius“. Aber damit ist natürlich auch ein bisschen Kanye West selbst gemeint. Auf die Frage, welcher sein Lieblingssong von Kanye West sei, sagte der Filmemacher: „‚Jesus Walks‘. Denn Jesus ist mein Freund.“
Dieser Song war dann auch der Durchbruch für West. In „jeen-yuhs“ klappert der Rapper zunächst eher erfolglos die Plattenlabels ab, sodass es im Film irgendwann fast schon ein bisschen langweilig wird. Dann, im Jahr 2004, produzierte er den Song „Jesus Walks“, und das nicht ohne Risiko. Denn der Song handelt vom Glauben, und damit hätten die Musiklabels damals nichts anfangen können, berichten Weggefährten. Es geht in dem Lied darum, dass Jesus neben jedem Menschen gehen kann, ob er nun Sünder oder Heiliger ist.
West kritisiert darin auch, wie die Medien Lieder scheuen, die vom Glauben handeln, aber Lieder propagieren, in denen es um Gewalt, Sex und Drogen geht. Das spiegelt Wests Erfahrungen in der ersten Zeit wieder, wo ihn große Plattenlabels ablehnten, wenn er ihnen ihre Songs vorspielte. Angeblich warnten mehrere seiner Freunde aus der Musikindustrie davor, dass es „Jesus Walks“ niemals ins Radio schaffen würde. Das Gegenteil war der Fall: Der Song wurde für West ein großer Erfolg, das Musikvideo erhielt mehrere Auszeichnungen. Das Stück sei so etwas wie der „definierende Moment für Kanye West als Mainstream-Artist“ gewesen, schreibt die deutsche Hip-Hop-Zeitschrift Juice. Im Film wendet sich der Produzent am Mischpult noch angewidert ab, als er das Lied über Jesus hört.
Um Kanye Wests Glauben geht es kaum
Den Glauben von Kanye West vermittelt der Film kaum. Sondern eher, dass es diesem jungen Mann vor allem um das geht, worum es allen im Geschäft geht: einen Plattenvertrag bekommen und schnell viel Geld verdienen. Und so gehört die goldene Kette um seinen Hals eben schon früh zum Gehabe eines fast schon bekannten Rap-Stars dazu. Eine vollständige Biografie will „jeen-yuhs“ ohnehin nicht sein. Keine Rede ist hier von Wests späteren Eskapaden, bei denen er beispielsweise den US-Präsidenten Donald Trump unterstützte, den er einen „Bruder“ nannte, den er „liebe“; nichts von seinen eigenen Präsidentschafts-Ambitionen oder der Aussage, die schwarzen Sklaven in Amerika seien in den 400 Jahren eigentlich freiwillige Arbeiter gewesen, und nichts über die vielen fiesen Äußerungen anderen Musikerkollegen gegenüber.
Der Film enthält aber auch nichts von den Gottesdiensten, die West seit geraumer Zeit auf seinem Grundstück abhält. Auch nichts von den beiden christlichen Alben „Jesus Is King“ und „Donda“ des Künstlers, der sich mittlerweile „Ye“ nennt, die einerseits Loblieder auf Gott enthalten und andererseits geradezu Predigten über den Glaubenskampf eines Christen darstellen. Die wackeligen VHS-Aufnahmen von Clarence Simmons und Chike Ozah enthüllen vor allem, dass Kanye West damals schon vor allem von einem mehr als genug hatte: einem überbordenden Selbstbewusstsein.