Meinung

Dienst an der Gesellschaft? Ja – aber ohne Pflicht

Bundespräsident Steinmeier stößt eine Debatte über einen sozialen Pflichtdienst an. Doch eine Pflicht verbessert den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht unbedingt. Vielmehr sollten die Freiwilligkeit und die jungen Menschen im Mittelpunkt stehen.
Von Johannes Schwarz
Rund 52.000 junge Menschen machen 2022 ein FSJ

In der Bild am Sonntag forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen sozialen Pflichtdienst für alle jungen Leute. So komme jeder aus seiner Blase heraus und tue der Gesellschaft etwas Gutes. Ein edles Motiv, dennoch taugt die Pflicht nicht. Stattdessen müssen Freiwilligendienste attraktiver gestaltet und junge Menschen besser unterstützt werden.

Dienst an der Gesellschaft ist wertvoll

Laut Steinmeier sei das Ziel, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Er sagte: „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein.“ Diesen Wunsch, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Meinungen austauschen, dass Begegnung stattfindet und die Offenheit und Neugier gegenüber bisher Fremden steigt, kann sicher jeder unterschreiben. Doch geht das nur mit einer Pflicht, à la Zivildienst, der 2011 abgeschafft wurde?

Nein, ich denke nicht. Diese Offenheit, die unsere plurale und liberale Demokratie benötigt, kann und sollte nicht erzwungen werden. Junge Menschen sollten vielmehr darin bestärkt werden, selbst diesen Schritt zum gesellschaftliches Leben und Engagement zu gehen. Viele Jugendliche mischen sich außerdem schon ehrenamtlich mit ein: in der Flüchtlingshilfe, bei der Feuerwehr, in Kirchen und Gemeinden oder in der Politik.

Deutschlands Demokratie und Gesellschaft braucht engagierte Menschen – gleich welchen Alters. Ohne geht es nicht. Der Dienst an der Gesellschaft ist etwas Gutes und Wertvolles. Junge Menschen nun hierzu zu verpflichten, dient dennoch nicht der Sache. Zwar ist jungen Menschen auch etwas zuzumuten – und das sollte der Staat auch. Aber eine solche Pflicht nimmt mehr Freiraum weg, als dass sie den Zusammenhalt fördert.

Freiwilligendienste stärken

Etwa 55.000 junge Menschen bis 27 Jahre machen derzeit ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ). Rund 37.000 Menschen leisten einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) – den können alle unabhängig vom Alter absolvieren.

Auch für Christen kann das zu einer besonderen und prägenden Erfahrung werden. Ich selbst weiß um die wunderbare Möglichkeit, fernab von Schule, Studium oder Ausbildung einmal einen praktischen Dienst zu leisten. Ich konnte mich in einigen Tätigkeiten ausprobieren und Fähigkeiten entdecken und erlernen, die für mein späteres Leben wertvoll waren.

Ein solcher Dienst lehrt jungen Menschen Selbstständigkeit und Verantwortung. In christlichen Einrichtungen können sie diakonische Aufgaben in der Praxis kennenlernen. Und auch für das eigene Glaubensleben kann eine solche Freiwilligenzeit eine Bereicherung sein, wenn Gemeinschaft nicht nur an der Arbeit gelebt werden kann, sondern auch mit anderen gläubigen Menschen. Ob gemeinsam nach Feierabend beim Fußball spielen oder Abends im Hauskreis: Freiwilligendienste fördern Gemeinschaft.

Ein solcher freiwilliger Dienst in sozialen Einrichtungen, bei der Feuerwehr, in der Verwaltung oder wie ich in einem christlichen Haus zu machen, sollte gefördert werden. Freiwilligendienste sollten in Schule mehr und besser beworben werden. Oftmals sind den vielen jungen Menschen, die teils nicht wissen, was sie in Zukunft machen wollen, die unzähligen und vielfältigen Dienste unbekannt. Freiwilligendienste brauchen eine größere Lobby, auch in der Schule: Studium oder Ausbildung dürfen nicht als die einzigen Wege gelten, die nach dem Abschlusszeugnis weiterführen.

Außerdem bedarf es besserer Anreize: Etwa mehr Bezahlung, günstigere Bahntickets und verbilligter Eintritt in Museen und Co. Neben dem Engagement sollte auch der junge Mensch im Mittelpunkt stehen. Solche Dienste brauchen mehr persönliche Förderung der Jugendlichen. Nicht nur die Dienstleistenden sollten Verantwortung übernehmen, sondern auch der Staat und die Einrichtungen für die jungen Leute. Mentoringprogramme, wie ich sie bei meinem Dienst erlebt habe, sind noch nicht alltäglich. Besonders christliche Träger können hier ihrer Verantwortung gegenüber Jugendlichen gerecht werden.

Zudem stärkt es die Dienste, wenn sie zeitlich neu ausgerichtet werden: auch sechs Monate in einer sozialen Einrichtung sollten möglich sein, statt Jugendliche unbedingt für genau ein Jahr zu binden. So können junge Menschen Wartezeiten zwischen Schule und Studium oder Ausbildung sinnvoll nutzen. Auch der Bundespräsident unterstützt im Übrigen eine zeitlich flexiblere Lösung.

Die Debatte, die der Bundespräsident aufgewirbelt hat, ist eine wichtige: Es geht um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Demokratie und die Zukunft von Tausenden tollen jungen Menschen. Die Frage ist die: Pflicht oder Freiwilligkeit? Mit der Freiwilligkeit verpflichtet sich letztlich der Staat und die Gesellschaft weiter darauf zu setzten, jungen Menschen ein Dienst für die Gesellschaft schmackhaft zu machen. Ich vertraue darauf, dass die jungen Menschen am gesellschaftlichen Zusammenhalt interessiert sind und dies fördern wollen, sei es durch Freiwilligendienst oder durch ehrenamtliches Engagement neben anderen Tätigkeiten.

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6 Antworten

  1. Ich gehöre einer Generation an die 12 Monate Wehrdienst ode 15 Monate Zivildienst geleistet hat. Viele hat es gut getan aus dem behüteten Elternhaus heraus zu kommen. Gerade im Wehrdienst mit Leute auskommen zu müssen, mit denen man nie Kontakt gesucht hätte. Was ich damals schon falsch fand war für den Zivildienst eine Begründung liefern zu müssen. Ich wäre für ein „Pflichtjahr für alle unter 25“ bei dem man frei zwischen Bundeswehr und den Bereichen die jezt Bundesfreiwilligendienst anbieten wählen könnte. Wie bei der Wehrpflicht würden andere wichtige Bereiche berücksichtigt. (12 später 10 Jahre bei Feuerwehr und Technischem Hilfswerk), Entwicklungshilfe (2 Jahre), Theologiestudium führten zur Befreiung von der Wehrpflicht. Der Dienstausweis wäre heute eine Bahncard 50, da man für Fahrkarten der Bahn nur 50 % bezahlte und verbilligten Eintritt gab es in Museen und Zoos.

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  2. Auch ich habe 1984/1985 fünfzehn Monate Grundwehrdienst geleistet. Es ist von jungen Menschen nicht zuviel verlangt, wenn diese zwölf Monate ihres Lebens einen verpflichteten Dienst leisten. Das sollte in jedem Fall auch für die gelten, die die deutsche Staatbürgerschaft beantragt haben oder sie bereits bekommen haben. Unser Staat hält für alle Menschen eine Menge Leistungen bereit, die jeder nutzt oder nutzen kann, das beginnt mit der Grundbildung, geht über die medizinische Versorgung, Sozialgeld, ALG II, Studienplätze, Berufsschulen usw. Bei vielen ist die Identifikation mit unserem demokratischen Rechtsstaat verloren gegangen. Und es soll keiner meinen, es mangele an Beschäftigungsmöglichkeiten. Wehrdienst in Form eines Wehrdienstes ohne den Zwang zu Auslandseinsätzen sollte die Regel sein, aber es gibt gerade in sozialen Bereichen viel Arbeit, die keiner bezahlen will, die aber nötig ist. Dann muß man sich nur einmal den öffentlichen Raum ansehen, Schmierereien, Aufkleber, Kaugummi auf den Wegen, von Grünbelag unleserlich gewordene Straßenschilder, Arbeit an allen Ecken und Kanten, die nicht gemacht wird. Die Wasserwacht und die DLRG suchen dringend Kräfte, ebenso THW, freiwillige Feuerwehren, DRK, Johanniter, Malteser usw.
    Es ist für viele junge Menschen wichtig, einmal aus der elterliche Komfortzone zu kommen, zu sehen, was asoziale Sachbeschädigungen für Arbeit machen, sie Achtung vor Älteren und Behinderten bekommen. Und wer hier als Flüchtling oder Asylant anerkannt wird, dem wird klar, daß er sich hier in diesen Staat integrieren muß und man etwas leisten muß.

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  3. Die Reaktionen auf den wirklich guten Vorschlag des BRD-Präsidenten sind schon erschreckend und zeigen, wie tief doch geistlich und geistig dieses Land inzwischen gesunken ist. Gemeinwohl, Volk, Vaterland sind anscheinend Werte, die nichts mehr gelten. Pflicht erscheint nur negativ. Dabei gibt es Pflichten in vielen Bereichen, angefangen von dem überzogenen Schulzwang (Unterrichtspflicht wäre viel besser). Warum nicht eine soziale Dienstpflicht? Warum will man Menschen nicht zumuten, dass sie für die Gemeinschaft, das Volk, verpflichtet werden. Das Spektrum der Dienste kann durchaus weit gefasst werden. Diese Zeit könnte für viele Menschen sehr förderlich in ihrer Entwicklung sein, wie man das früher bei nicht wenigen Wehrdienst- bzw. Zivildienstpflichtigen erkennen konnte. Es wäre gut, in einer Gesellschaft, in der die Klassenstrukturen sich wieder verschärft haben, einen Dienst zu haben, der jeden einbezieht, unahängig von der Herkunft. Übrigens hat Theodor Herzl einst solch einen Dienst für den jüdischen Staat gefordert in „Altneuland“, um gerade dadurch die Nation zu einen und zu fördern.

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    1. Israel ist auch einer der wenigen Staaten mit Wehrpflicht für Männer und Frauen. So wier Hertzl sich das vorgestellt hat wurde es aber nicht umgesetzt. Religiöse Männer wurden befreit, um den Dienst ist ein Streit entstanden da es immer mehr „ultraorthodoxe“ gibt, die teilweise auch den Bibelstudium in die Länge ziehen um sie so vor dem Dienst zu drücken. In Gegensatz dazu gibt es aber auch „ultraorthodoxe Organisationen“, die im Bereich der Notfallfürsorge, Rettungsdienst tätig sind, auch unangenehme Arbeiten wie das Einsammeln von Leichenteilen nach Anschlägen erledigen. Der christliche Bischof von Nazareth hat vor ein paar Jahren Christen aufgefordert freiwillig in der Armee zu dienen.

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  4. John F. Kennedy hatte sein Volk aufgefordert nicht zu fragen, was die Gemeinschaft „für dich tun soll, sondern was du für die Gesellschaft tun kannst“. Dieses Denken ist in immer kleinerer werden Bereichen dieser Gesellschaft verankert und schwindet in dem Maße, wie der christliche Glaube den Finger in diese offene Wunde der Gesellschaft zu legen vermag, in der das Wohl jedes Einzelnen – oft ohne Bezug auf die gesamte Gemeinschaft – im Mittelpunkt steht. Doch wie will so eine Gemeinschaft Bestand haben? Viele meiner Bekannten haben durch den Wehrersatzdienst (zu DDR-Zeiten) ihren Beruf gewechselt und sind in den sozialen Dienst gegangen. Wären sie damit nicht als Jugendliche damit konfrontiert worden, wäre das nicht geschehen. Somit wäre dieser angeregte Pflichtdienst auch eine Bereicherung für unseren Sozialstaat und die Jugendlichen nicht „billige Arbeitskräfte“, die die sozialen Dienste schwächen würden.

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  5. Die Wehrpflicht wurde ausgesetzt und demzufolge auch der Zivildienst. Die Kernbegründung war neben dem Ende des „kalten Krieges“ die Wehrungerechtigkeit, denn wegen der massiv verkleinerten Bundeswehr und dem Fokus auf Auslandseinsätze wurden z.B. 2002 nur noch 25% der Männer eingezogen. Ich bin ebenfalls wie meine Vorredner der Meinung, dass eine Dienstpflicht für alle (damit würde endlich auch in diesem Bereich die entsprechende Gleichberechtigung für Frauen hergestellt) ein deutliches und richtiges Signal ist, die weitgehend konsumverwöhnten jungen Generationen aus ihren „Blasen“ zu holen und ihnen ein Jahr ihres sicheren Lebens in Frieden und Freiheit für den Dienst an der Gesellschaft abzuringen. Der Freiwilligkeitsansatz des ist zwar edel, aber leider kein Spiegel der Lebensrealität. Ich hätte es gut gefunden, wenn der Autor den prozentualen Anteil der 55.000 jungen Bürger bis 27., die Ihren freiwilligen Dienst leisten und meinen uneingeschränkten Respekt haben, genannt hätte. Ich habe daher selbst einmal kurz recherchiert und vom statistischen Bundesamt aus dem Mikrozensus (2021) 4,540 Mio Männer und Frauen im Altersband von 20-25 Jahren ermittelt. Unter der Annahme dass alle 55.000 in dieses Altersband fallen, kommen wir auf einen Anteil von 1,2%. Diese ernüchternde Zahl zeigt, wie illusorisch der Ansatz Freiwilligkeit ist. Im Übrigen bin ich Vater eines Sohnes, der nach seinem freiwilligen Jahr (also einer der „55.000“) noch 2 Jahre Wehrdienst als Reserveoffizieranwärter angehängt hat und damit zu denen gehört, die „Frieden in Freiheit“ sichern.

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