PRO: Liebe Frau Schröter, sind Sie eigentlich umstritten?
Susanne Schröter: Für viele bin ich umstritten, ganz offensichtlich. „Umstritten“ ist aber der Totschlagbegriff, den man nicht mehr definieren muss, der aber zu Nachteilen im wissenschaftlichen Kontext führt, beispielsweise dass man von Veranstaltung wieder ausgeladen wird, zu denen man vorher eingeladen wurde.
Vor allem die Kritik am Islam hat Ihnen dieses Etikett eingebracht.
Nicht Kritik am Islam, sondern am Islamismus. Ich habe überhaupt nichts gegen den Islam als Weltreligion, der wie andere Religionen in sehr unterschiedliche Denkschulen zerfällt und auch in der Lebenspraxis eine große Vielfalt aufweist. Der Islamismus hingegen ist nicht nur für unsere Gesellschaft ein Problem, sondern für die gesamte islamische Welt.
Trotzdem werfen Ihre Kritiker Ihnen ja keine Islamismusfeindschaft vor, sondern Islamfeindschaft.
Das ist das Perfide. Man wirft mir vor, ich würde Muslime grundsätzlich unter Generalverdacht stellen. Aber ich tue das nicht. Ich habe immer wieder Muslime zu Konferenzen oder Vorträgen eingeladen, übrigens auch die Vertreter großer Verbände, denen ich sehr kritisch gegenüberstehe, natürlich auch die moderaten Muslime und die muslimischen Kritiker des Islamismus. Meine Kritiker tun genau das, was sie mir vorwerfen: Sie stellen diese islamistischen Organisationen als völlig normale und generalisierbare Vertreter des Islam dar. Und deshalb sei ich „antimuslimisch“.
„Die ‚Queers for Palestine‘ würden in Gaza nicht lange überleben.“
Susanne Schröter
Sie werden einerseits von Linken kritisiert, auf der anderen Seite von Islamisten, deretwegen Sie aufgrund der Bedrohungslage seit Jahren Ihre Veranstaltungen bei der Polizei melden müssen. Wie passt das zusammen: Linke, die eine gerechtere Welt anstreben, und Islamisten, die Andersgläubige unterdrücken?
Spätestens seit der Islamischen Revolution im Iran gibt es diese Verbindungen. Für europäische linke Intellektuelle wie Sartre oder Foucault war das, was von Ayatollah Khomeini aus der Taufe gehoben wurde, eine Revolution gegen den Westen. Die Antifa-Proteste und der Beginn der 68er-Bewegung wurzelten zum Teil in den Protesten gegen den Schah. Nach dessen Sturz wurde Ayatollah Khomeini gleich als revolutionärer Führer gelabelt. Als sich zeigte, wie Khomeini sich real verhielt, ruderten viele europäische Denker mit Grausen zurück. Es blieb die Idee: Außerhalb der westlichen Welt finden wir die wahren Unterdrückten, mit denen wir uns verbünden können. Bis heute hält sich die Vorstellung, dass der Westen den Rest der Welt unterdrückt, seit Beginn des europäischen Kolonialismus. Der weiße, vor allem männlich dominierte Westen verkörpert die Täterkategorie. Das ist dann zusammengeführt worden mit Ansätzen aus dem Feminismus, nach denen Inderinnen oder schwarze US-Amerikanerinnen sagten, sie seien nicht einfach durch Männer unterdrückt worden, sondern durch weiße Westler. Daraus ist der intersektionale Feminismus entstanden, der unterschiedliche Unterdrückungsmomente zusammenbringen will. Die Idee ist: Wenn man die Unterdrückungsmomente zusammenfasst, dann verstärkt man die Kraft gegen den westlich-weißen patriarchalen Gegner. Daher kommt auch die irrige Vorstellung von Gruppen wie „Queers for Palestine“, dass Queers Schnittmengen mit Palästinensern haben. Sie würden in Gaza nicht lange überleben. Da sieht man sehr schön, wie diese Ideologien den faktischen Boden verloren haben.
Judith Butler, eine der Vordenkerinnen der Gender- und Queer-Theorie, hat neulich gesagt, das Massaker der Hamas vom 7. Oktober sei kein terroristischer Angriff und auch nicht antisemitisch gewesen, sondern ein Akt des bewaffneten Widerstands.
An Judith Butler sieht man, wie sehr diese ganze Sache in die Irre geht. Ihr Buch „Gender Trouble“ ist verantwortlich dafür, dass wir heute zumindest an den Unis die weitverbreitete Vorstellung haben, es gäbe nicht zwei, sondern multiple Geschlechter. Das sei alles eine Frage des Sprechaktes ohne biologische Fundierung. Ihre Position wurde damals auch in der feministischen Wissenschaft stark diskutiert und von vielen zurückgewiesen. Dann setzte sie sich aber stillschweigend durch. Butler hat schon relativ früh Islamisten verteidigt, war der Meinung, die Ganzkörperverschleierung diene Frauen dazu, der sexuellen Nutzbarmachung zu widerstehen. Die palästinensische Gesellschaft als Teil eines antipatriarchalischen Kampfes zu sehen, ist absurd.
Seit vielen Jahren beschäftigen Sie sich mit der Rolle der Frau in islamischen Gesellschaften – ein klassisch linkes Anliegen. Und Sie machen, mit Verlaub, einen aufgeweckten Eindruck. Warum sind Sie nicht auch eine „woke Linke“?
(lacht) Mir geht es um Menschenrechte, um Frauenrechte und auch um Minderheitenrechte. Und ich bin eine Verfechterin auch des Universalismus: Allen Menschen sollten die gleichen individuellen Rechte zugestanden werden. Der Wokismus hingegen dividiert Menschen auseinander in Täter und Opfer mit Sonderrechten. Und: Wenn man meint, Muslime seien eine vom Westen unterdrückte Sondergruppe, dann verbietet es sich ja, auf Missstände in muslimischen Communitys hinzuweisen. Damit lassen wir alle Muslime im Stich, die sich gerne wehren würden gegen repressive Verhältnisse.
Die sogenannte „woke Linke“ hat doch auch wichtige Beiträge geleistet. Zum Beispiel, dass man sich als Mitglied der weißen Mehrheitsgesellschaft – wie wir beide – Gedanken macht um das Thema Alltagsrassismus.
Das wären keine schlechten Anliegen, wenn sie nicht sofort in Übertreibungen übergehen würden. Übertreibung provoziert Widerspruch, der dann auch wieder übertrieben wird. Das Anliegen, sensibel mit der sozialen Umwelt umzugehen und sich auch immer wieder zu hinterfragen, ist gut. Aber dem wird man nicht gerecht, wenn man etwa findet, dass Weiße sich nicht zu Fragen des Islam äußern dürfen.
Die Demonstranten, die etwa grüne Politiker niederbrüllten, sind aber sicher keine „woken Linken“.
Da haben Sie absolut recht, und diese Effekte konnte man voraussehen. Wenn von der einen Seite „Safe Spaces“ aufgemacht werden, innerhalb derer die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt wird, dann gibt es eine Reaktion. Mein Appell ist: Die große bürgerliche Mitte muss wieder mehr Vernunft in die Debatte hineinbringen.
Die AfD kommt in ihrem Buch nur ein einziges Mal vor. Sie hat den Kampf gegen linke Positionen wie das Gendern zum politischen Programm gemacht – und das sehr erfolgreich. Fühlen Sie sich dieser Partei verbunden?
Natürlich nicht. Ich bin eine Vertreterin einer multikulturellen Gesellschaft und der Emanzipationsbewegung, wodurch ich mich deutlich von der AfD unterscheide. Ich habe mich mein ganzes wissenschaftliches und soziales Leben lang dafür eingesetzt, dass sexuelle Minderheiten anerkannt werden. Männlichkeit und Weiblichkeit kann auf sehr unterschiedliche Weisen gelebt werden. Dass wir nicht mehr auf feste Rollenbilder beschränkt sind, halte ich für einen großen Gewinn.
In Ihrem Buch schreiben Sie von der „woken Linken“ als „winziger Minderheit“. Stimmt das denn wirklich? Dann müsste man doch eigentlich eine große Mehrheit hören, die es anders sieht.
Ich beziehe mich auf Umfragen. Selbst unter Grünenwählern ist die Mehrheit nicht für das Gendern. Laut dem geplanten neuen „Selbstbestimmungsgesetz“ darf man einmal im Jahr seinen Geschlechtseintrag ändern. Das ist schon ziemlich schrill, und es wird auch von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt, genauso wie die gegenwärtige Migrationspolitik. Das führt dazu, dass Parteien wie die AfD sehr viele Unzufriedene sammeln können, die mit deren Programm ansonsten wenig zu tun haben.
Wenn Sie bestimmen könnten, würden Sie dann nicht auch dafür sorgen, dass manche Menschen, zum Beispiel Antisemiten, sich nicht mehr öffentlich äußern können?
Das ist eine gute Frage. Ich bin Mitgründerin des „Netzwerks Wissenschaftsfreiheit“, da geht es genau um solche Fälle. Wir haben uns sehr eindeutig positioniert, zum Beispiel gegen die Forderungen der AfD, die Gender Studies abzuschaffen, aber auch gegen Cancel Culture von der anderen Seite. Natürlich gibt es rote Linien, auch ich habe sie. Für mich ist diese rote Linie der Antisemitismus.
Ein Linker würde sagen: Für mich ist eben die Grenze Rassismus oder Transphobie, weil diese Positionen demokratiefeindlich sind. Ist es also nicht oft auch eine Frage der Definition, was gegen demokratische Werte verstößt?
Selbstverständlich, deswegen muss man darüber sprechen. Im „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ haben wir uns auch für die Wissenschaftsfreiheit von Akteuren starkgemacht, die wir selber zum Teil nicht mehr gut finden und wo meine persönliche rote Linie woanders wäre.
Zum Beispiel?
Da ging es um Veranstaltungen, die abgesagt worden sind, weil bei den Eingeladenen eben antisemitische Positionen sehr stark vertreten waren. Ich glaube grundsätzlich daran, dass wir gut beraten wären, wenn wir freie Debatten erlauben, auch mit sehr schwierigen Akteuren mit gruseligen Positionen. Die sollte man dann argumentativ enttarnen und entzaubern. Ich glaube an das gute Argument.
Vielen Dank für das Gespräch.
Susanne Schröter (66) ist emeritierte Professorin am Institut für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. 2014 gründete sie das „Forschungszentrum Globaler Islam“ (FFGI), das sie bis heute leitet. Ihr neuestes Buch heißt „Der neue Kulturkampf: Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht“.
Der Artikel ist erstmals in der Ausgabe 2/2024 des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Das Heft können Sie hier kostenlos bestellen.