PRO: Herr Faix, hätten Sie mit 30 gedacht, dass Sie mal Hochschulrektor werden würden?
Tobias Faix: Definitiv nicht. (lacht) Da war ich Jugendreferent einer Freikirche und habe bestimmt nicht daran gedacht, dass ich mal Rektor einer christlichen Hochschule werde.
Wofür hat Ihr Herz damals geschlagen und wofür schlägt es heute?
Das ist heute tatsächlich ganz ähnlich wie damals: Ich will junge Menschen für das Reich Gottes gewinnen und begleiten. Damals eher aktiv in der Jugendarbeit in der Gemeinde und heute in der Ausbildung für die Felder Jugendarbeit in der Kirche, aber natürlich auch für Diakonie und Soziale Arbeit.
Wie viele Studierende gibt es derzeit an der CVJM-Hochschule?
Wir haben aktuell 450 Studierende.
Welcher Studiengang ist am beliebtesten?
Wir haben einen Präsenz-Bachelor, der die beiden Disziplinen „Soziale Arbeit“ und „Gemeinde- und Religionspädagogik“ integriert, man bekommt also einen doppelten Abschluss für mehrere Berufsbilder in Kirche und Gesellschaft. Im berufsbegleitenden Studiengang „Soziale Arbeit“ gibt es auch noch sogenannte Fast-Track-Einstiegsmöglichkeiten, zum Beispiel für Erzieherinnen und Erzieher oder Heilerziehungspflegerinnen und Heilerziehungspfleger. Außerdem gibt es den Master „Transformationsstudien: Öffentliche Theologie und Soziale Arbeit“. Dort qualifizieren wir für die Leitungsebene in Kirche, Diakonie und Sozialer Arbeit. Der Schwerpunkt dabei liegt in der Frage: Wie können wir in einer sich verändernden Gesellschaft aktiv in unserem Bereich mitgestalten, statt nur von den großen Transformationsprozessen gestaltet zu werden?
In welche Berufe gehen die Studierenden später?
Ein Teil geht in die Jugendarbeit von CVJM, freien Werken wie dem EC, Kirchen und Freikirchen. Ein anderer Teil geht in die vielfältigen Handlungsfelder der Sozialen Arbeit, etwa im Jugendamt oder auch bei den frei gemeinnützigen Trägern wie der Diakonie oder Caritas. Und natürlich haben wir immer wieder Alumni, die noch weiter studieren oder forschen wollen.
Sie sind erfolgreicher Referent und Podcaster und Sie schaffen es regelmäßig, mit Ihren Buchveröffentlichungen einen Nerv zu treffen. Als Rektor haben Sie nun mehr mit Organisation und Verwaltung zu tun. Liegt Ihnen das auch?
Jein. Mein Interesse und auch mein Gabenprofil liegen eher im Entwicklerischen. Ich bin ganz gut darin, wenn es um Theorie-Praxis-Dialoge geht oder darum, wie sich Kirche in neuen gesellschaftlichen Veränderungen zeigt – und was das mit der Theologie macht. Natürlich bin ich jetzt auch schon älter und leite den Masterstudiengang seit vielen Jahren im Forschungsinstitut empirica und da gehört immer auch finanzielle und personelle Verantwortung dazu. Und: Als Rektor leite ich nicht alleine, sondern in einem Team, das sich die Arbeit aufteilt. Da gibt es tolle Leute, die besser als ich in Verwaltungsfragen sind und diese Aufgaben auch mit übernehmen. Natürlich habe ich auch damit zu tun, aber das wird nicht mein Schwerpunkt sein.
Vor welchen Herausforderungen stehen christliche Hochschulen?
DerBildungssektor verändert sich gerade sehr stark, auch christliche Ausbildungsstätten und Hochschulen werden sich in den kommenden Jahren stark verändern. Aus demografischer Sicht gibt es immer weniger Jugendliche, die überhaupt studieren. Die Kirchen schrumpfen, dadurch haben die Kirchen weniger Geld, das sie in die Ausbildung investieren können. Und wir erleben, dass der Beruf als Pastor oder Pastorin, als Gemeinde- und Jugendreferentin nicht mehr die ganz großen Traumberufe sind. Theologische Fakultäten haben immer weniger Studierende: Marburg, Tübingen, Göttingen – auch die großen theologischen Fakultäten verzeichnen einen Einbruch an Studierenden. Bei den Freikirchen ist es leider nicht viel besser. Wir müssen also mit der Jugend- und Gemeindearbeit in den Ortsgemeinden zusammen überlegen, wie theologische Ausbildung der Zukunft aussehen muss. Dieser Frage will ich mich gerne widmen.
Soziale Arbeit, Gemeindepädagogik oder Theologie kann man auch an staatlichen Hochschulen studieren. Warum sollten junge Leute ausgerechnet an die CVJM-Hochschule kommen?
Eine unserer Stärken ist, dass wir Spiritualität erleben, zum Beispiel in Gottesdiensten und Andachten und in der Beschäftigung mit der Bibel, und dabei gleichzeitig einen wissenschaftlichen Anspruch haben. Wir sind in allen wissenschaftlichen Gremien vertreten, in der Theologie, aber auch in der Sozialen Arbeit. Diese beiden Seiten wollen wir zusammenbringen. Unser Master-Transformationsstudiengang ist einmalig. Ein theologisch reflektiertes Studium, verbunden mit einer starken gesellschaftlich-analytischen Komponente. Das Dreieck Kirche, Diakonie und Sozialraum wird für Kirchen und Freikirchen ganz entscheidend sein, um zukunftsfähig zu bleiben oder zu werden. Dafür ist dieser Master sehr wichtig.
Trotzdem gibt es einen eklatanten Nachwuchsmangel, was Pfarr- und Pastorenstellen angeht. Warum ist dieser Beruf so unattraktiv für junge Leute?
Immer weniger junge Menschen knüpfen an die Sprache und Struktur der Kirchen und Gemeinden an. Das Theologiestudium bildet zudem für ein verschwindendes Berufsbild eines Pfarrers oder einer Pfarrerin aus, der oder die alles kann. Das wird es in zehn Jahren schon nicht mehr geben. Es wird viel mehr Miteinander und Kooperationen geben, zum Beispiel in „multiprofessionellen Teams“. Für die junge Generation ist Konfession kein Identity-Marker (Erkennungsmerkmal, d. Red.) mehr als noch vor zwei, drei Generationen. Vor Ort wird es viel Fluidität geben, auch zwischen Freikirchen, evangelischer Kirche und katholischer Kirche. Ein Beispiel dafür ist die Mehr-Konferenz. Da werden im Januar wieder 10.000 Leute zu einer eigentlich katholischen Konferenz zusammenkommen – aus einem sehr bunten spirituellen Spektrum. Die evangelischen Teilnehmer dürfen zwar nicht an der Eucharistiefeier teilnehmen, das scheint aber wenig zu stören. Denn es geht um bestimmte Frömmigkeitserfahrungen, die so eine verbindende Identität bilden, dass die Konfession einfach zurücksteht. Das wird es in Zukunft häufiger geben. Die Grenzen verschieben sich. Die neue Generation wird erst mal fragen: Was gibt mir das? Fühle ich mich hier wohl? Bin ich angenommen? Hilft mir das in meinem aktuellen Leben? Erst an zweiter, dritter oder vierter Stelle werden sie fragen, welche Konfession und welche Kirche das eigentlich ist.
Auch wenn Sie erst ein paar Tage im Amt sind: Was sind Ihre Ziele für die CVJM-Hochschule, die Sie nun leiten?
Mir ist es wichtig, die CVJM-Hochschule in herausfordernden Zeiten sicher zu führen, damit die Studierenden eine qualitative, geistlich-theologische, fachliche Ausbildung und Abschlüsse machen können. Dafür braucht es eine gute Verwaltung, eine gute Vision und eine gute Anbindung im Kontext eines starken CVJM, der übrigens der größte Jugendverband Deutschlands ist. Die DNA des CVJM soll sich auch an der Hochschule widerspiegeln. Des Weiteren wünsche ich uns, dass wir in dieser Zeit, die ich krisenhaft wahrnehme, ein Impulsgeber sein können in der Frage, wie Kirche in Zukunft aussehen kann und welche Rolle sie für junge Menschen spielen wird. Das wird nur in starken Kooperationsverbünden möglich sein, in denen wir als Christinnen und Christen gemeinsam – auch im Bildungssektor – zusammenarbeiten.
Vielen Dank für das Gespräch.