Der Vertrauensverlust der Kirchen schreitet aus Sicht des Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack weiter voran. Begonnen hat für den Wissenschaftler dieser Prozess schon in den 60er Jahren. Der Wohlstand der Menschen habe dazu geführt, dass diese sich selbst verwirklichen und auch religiös darüber entscheiden wollten, was sie glauben und was nicht.
Die Kirchen könnten den christlichen Glauben aber nicht völlig individualisieren. Daraus ergebe sich eine grundsätzliche Spannung zwischen Religion und Moderne. Aktuell fragten sich auch immer mehr Menschen, warum sie Kirchensteuer bezahlen sollten, ohne kirchliche Angebote zu nutzen.
Pollack vermutet, dass sich der Mitgliederverlust der Kirche weiter beschleunigen wird. Derzeit sei nur noch für 30 Prozent der Protestanten die Kirchenmitgliedschaft selbstverständlich. Dass das Christentum ganz verschwindet, glaubt Pollack dagegen nicht: „Es gibt ja auch noch evangelikale Gemeinden und Freikirchen.“ Zudem kenne er keinen Landstrich weltweit ohne Religion.
„Viele Menschen fokussieren sich auf die vorletzten Dinge“
Während Christen nach den „letzten Dinge“ fragten, fokussierten sich viele Menschen auf die vorletzten Dinge, weil diese für sie erfüllend genug seien. Die Situation für Religion in der Moderne sei vertrackt. Sie bräuchte einerseits positive Bezüge zur Mehrheitskultur, dürfe andererseits aber nicht unterschiedslos in ihr aufgehen.
Ohne Christentum würde der Gesellschaft etwas fehlen, betont Pollack gegenüber der FAS. Gläubige Menschen vertrauen ihren Mitmenschen mehr und seien auch ehrenamtlich aktiver. Die westlichen Gesellschaften seien viel stärker durch das Christentum geprägt, als ihre Bewohner das wahrnehmen.
Allerdings betont Pollack, dass ethische Orientierungen unabhängig vom Christentum existierten und auf eigenen säkularen Füßen stehen könnten. Pollack würde die Kirchensteuer trotzdem nicht streichen. Dann breche viel kirchliche Arbeit zusammen und auf freiwilliger Basis kämen diese Spenden nicht zusammen.
Den katholischen Reformprozess „Synodaler Weg“ sieht Pollack kritisch. „Mein Eindruck ist, dass viele Befürworter des Synodalen Wegs ein unterkomplexes Bewusstsein von der Reformierbarkeit ihrer Kirche haben.“ Alleine durch diese Reformen sei die Anschlussfähigkeit an die moderne Gesellschaft nicht herzustellen.
Detlef Pollack ist einer der renommiertesten Religionssoziologen in Deutschland. Aktuell forscht er an der Universität Münster unter anderem zum religiösen Wandel in West- und Osteuropa und in den USA. Pollack ist verheiratet mit der Historikerin Hedwig Richter.