Pastor Samuel: „Unsere Kirchen sind von der lokalen hindu-nationalistischen Regierung nicht anerkannt. Die Hindu-Extremisten wollen eine christenfreie Region, sie unterbrechen und verbieten die Gottesdienste. In jüngster Zeit gab es einige solche Vorfälle. Ein lokales Gericht hat geurteilt, dass man eine Genehmigung von der örtlichen Polizei benötigt, um Gottesdienste zu veranstalten. Und gleich darauf sind die Behörden in die Kirchen gekommen und haben gefragt, wo die polizeiliche Genehmigung für den Gottesdienst sei. Auf dieser Grundlage wurden mehrere Kirchen im Norden Indiens geschlossen.
Diese Situation ist in ganz Indien typisch für die Gemeinden auf dem Land. Das gibt es jeden Sonntag, dass die Polizei vorbeikommt und fragt: ‚Wo ist die Genehmigung? Warum feiert ihr hier Gottesdienst? Das ist ein Haus, keine Kirche. Ihr schafft Missstimmung in der Dorfgemeinschaft.‘ Allerdings gibt es auf dem Land und in den Dörfern keine richtigen Kirchen. Die Polizei verpflichtet Pastoren darauf, den öffentlichen Frieden nicht zu stören. Wenn dann irgendetwas im Dorf passiert, nimmt sie den Pastor fest und behandelt ihn wie einen Kriminellen. Das Amt des Pastors wird also kriminalisiert.
Im vergangenen Jahr gab es eine Zählung von Angriffen auf Kirchen, demnach ist so etwas mehr als 650 Mal passiert. Die meisten Vorfälle gingen von Behörden der Regierung aus, indem sie das Gesetz missbrauchten oder auch das Anti-Konversionsgesetz anwandten, wonach es verboten ist, jemanden zu bekehren. Aber es gibt auch immer wieder Attacken von extremistischen Hindus auf Gottesdienste, Pastoren, Familien; viele Frauen werden vergewaltigt, viele Pastoren haben ihr Leben verloren. Und sogar Kinder werden nicht verschont: Es gab Fälle, wo Hindu-Extremisten christliche Mädchen vergewaltigten, die gerade mal sieben und vier Jahre alt waren. Von solchen Geschichten gibt es viele. Es ist so schwierig, den christlichen Glauben in diesem Land zu leben. Jeder Tag, in dem die Kirche etwas aus dem Glauben heraus tut, ist eine große Herausforderung.“
Pastor Alex: „Ich wurde einmal von der Polizei festgenommen. Sie brachten mich auf die Wache und fragten mich, warum ich Menschen zum Gottesdienst versammle. Ich antwortete, dass mir die indische Verfassung die Freiheit gibt, Gottesdienst zu feiern. Sie sagten: ‚Die Verfassung gibt dir die Freiheit, aber die Regierung nicht.‘ Ich sollte sofort aufhören, bei mir zu Hause eine Kirche zu leiten, sonst würden sie mich nicht schützen können, wenn fanatische Gruppen mich angreifen. Sie erklärten mir, dass jeden Sonntag 80 bis 100 Fanatiker bereit seien, irgendeine Kirche anzugreifen. Sie wussten sehr genau, dass wir Christen immer anfällig sind für solche Überfälle. Ich war sehr verängstigt und wusste nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Vor zwei Wochen hat ein Freund von mir Gottesdienst gehalten und wurde dabei attackiert. Die Polizei hat die Angreifer begleitet. Mein Freund rannte um sein Leben. Insgesamt 25 Familien folgten in seinem Dorf Jesus nach. Sie wurden enorm unter Druck gesetzt und gezwungen, ihren Glauben aufzugeben und zum Hinduismus zu konvertieren.“
Pastor Samuel: „Wir feiern unsere Gottesdienste nicht auf einem christlichen Campus oder in einem Kirchengebäude, wir sind in unseren Wohnungen. Durchschnittlich kommen 100 bis 200 Menschen zum Gottesdienst. Meine Kirche wurde bisher noch nicht angegriffen, aber Kirchen in unserem Netzwerk schon. Wir können jederzeit Ziel eines Angriffs werden oder ins Gefängnis kommen. Auch die registrierten Kirchen wie die katholische oder die evangelische stehen unter Druck. Die Regierung versucht, auch deren Institutionen und Besitztümer zu kontrollieren, und schleust ihre Leute in die Kirche ein, um sie besser überwachen zu können. Wenn die registrierten Kirchen angegriffen werden, gibt es offizielle Proteste. Aber die Hauskirchen in den ländlichen Gebieten haben keine große Stimme in der Öffentlichkeit. Deshalb greifen die Fanatiker auch immer diesen Teil des Leibes Christi an. In den großen Metropolen wie Delhi oder Mumbai geschieht das weniger. Es konzentriert sich vor allem auf einige Provinzen, in Punjab ist es am schlimmsten, dann folgen Jarkhand und andere.“
Pastor Alex: „Das Kastensystem ist der Schlüssel für die Verfolgung. Die Angehörigen der höheren drei Kasten sind die Minderheit in der Gesellschaft, die Mehrheit bilden die Dalit in der vierten, der unteren Kaste. Sie werden seit tausenden von Jahren unterdrückt und nicht als Menschen behandelt. Als die Liebe Jesu Christi sie erreichte, waren sie offen für das Evangelium. Sie hatten zuvor kein Recht auf Bildung, aber die Christen ermöglichten Menschen aller Klassen und Kasten Bildung, auch denen, für die das gesellschaftlich nicht vorgesehen war. Denn Christen glauben, dass jeder Mensch gleichwertig ist. Die Menschen aus niedrigen Klassen sind die Quelle für das Einkommen der Menschen aus höheren Klassen. Als sie Zugang zu Bildung erhielten, verstanden sie, dass sie ausgebeutet wurden. Sie begannen, ihre Stimme dagegen zu erheben. Der Grund für den Zorn auf Christen ist, dass sie für ein anderes Selbstwertgefühl der Menschen in niedrigen Klassen gesorgt haben, und dass viele von denen dann auch selbst Christen geworden sind.“
Pastor Samuel: „Christen in Deutschland sollten für Christen in Indien beten, besonders für die Pastoren, Evangelisten und diejenigen, die Gemeindedienste ausführen. Auch für politische Veränderungen, damit wir mehr Freiheit haben, das Evangelium zu predigen.“
Pastor Alex: „Deutschland ist eine bedeutende Macht in der UN und im Europäischen Parlament: Bringt dorthin unsere Stimme, dass Indien nur auf dem Papier ein säkulares Land ist und dass die Art und Weise, wie mit Minderheiten umgegangen wird, nicht gesund ist für die Nation und auch nicht für die Weltwirtschaft. Wir wollen, dass unsere Regierung unter Druck gesetzt wird, sich an die Verfassung zu halten. Und weil die Verfassung uns Christen gleiche Rechte garantiert, sollte die Regierung aufhören, uns als Nicht-Bürger zu behandeln.“
Pastor Samuel: „Die politische Agenda unserer Regierung ist es, Indien zu einer Hindu-Nation zu machen. Dieses Ziel gibt es nicht erst seit zwei Jahren, sondern schon seit 1925, als die hindu-nationalistische Organisation RSS gegründet wurde, die heute mit der Partei BJP das Parlament und die Regierung kontrolliert. Damals hatte sie noch nicht so einen großen gesellschaftlichen Einfluss und konnte diesen Plan nicht erfolgreich umsetzen. Wenn man heute einen ganz normalen Bürger fragt, ob Indien ein säkulares oder hinduistisches Land ist, würde er sagen: ein hinduistisches. Die Vorstellung der meisten Menschen ist, dass dieses Land den Hindus gehört und alle anderen Religionen gehen sollten.
Einer dieser RSS-Führer sagte 2014, als die BJP die Macht übernahm, dass am 31. Dezember 2021 der letzte Tag der Christen in Indien sein werde. Als er das sagte, erschien das wie ein verrücktes Statement. Wie kann jemand so etwas sagen? Die Regierung unternahm nichts gegen ihn und sagte, das sei seine persönliche Meinung, nicht die Position der Regierung. Aber die Dinge, die heute geschehen, die Art und Weise, wie sie die Kirchen kontrollieren und Christen angreifen – sie versuchen tatsächlich die Kirche auszulöschen. Aber die Kirche, das Christentum kann nicht aus dem Land vertilgt werden. Denn je mehr Verfolgung herrscht, desto stärker wachsen die Gemeinden. Wir wissen, dass am 1. Januar 2022 die Kirche als eine sehr starke Kirche auferstanden sein wird. Amen.“
Aufgezeichnet von Jonathan Steinert