Jesus in der Primetime – „Die Passion“ hat viele bewegt. Eine kuriose Mischung von Promis aus dem Vorabendprogramm, Pop und sogar Volksmusik erzählten mit Moderator Thomas Gottschalk die Leidensgeschichte Jesu für das TV-Publikum des Jahres 2022.
RTL hat mit dem Event viel gewagt – aber auch viel gewonnen. Mehr als drei Millionen Menschen schalteten ein und machten die Produktion zu einem solch großen kommerziellen Erfolg, dass es eine Fortsetzung geben soll.
Rainer Schacke leitet das Berliner Institut für urbane Transformation, und er ist Experte dafür, wie das Evangelium in die Kultur unserer Zeit passt. PRO hat ihn gefragt, warum „Die Passion“ so viele Menschen erreicht hat – und ob Kirchen sich von dem Ansatz etwas abschauen sollten.
PRO: Herr Schacke, „Die Passion“, die auf RTL lief, liegt jetzt schon einige Wochen zurück. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie „Die Passion“ sahen?
Rainer Schacke: Mich hat die Sendung durchaus berührt und angesprochen. Eine sehr gute Möglichkeit, das Evangelium in die heutige Zeit zu sprechen. Ich war positiv überrascht, wie manche Dinge umgesetzt wurden.
Zum Beispiel?
Die lebendigen Zeugnisse der Kreuzträger zum Beispiel, die bei der Prozession das Lichtkreuz durch die Straßen Essens vom Marktplatz zum Burgplatz getragen haben. Sie wurden sehr wertschätzend interviewt. Da kamen echte Glaubenserfahrungen rüber.
Promis aus dem Vorabendprogramm, von Schauspiel über Pop bis zur Volksmusik plus Thomas Gottschalk – und das in Verbindung mit der Leidensgeschichte Jesu. Mutig.
Ja, und das fand ich spannend. Das Evangelium gehört auch in die Populärkultur von heute, kultureller Snobismus verbietet sich da aus meiner Sicht. Es gab nachher kritische Stimmen über die „Andreas-Bouranisierung der Bibel“ und „Trashkultur“. Aber es wurden Milieus angesprochen, die man sonst kaum in traditionellen Kirchen sieht. Das Evangelium wurde mitten in diese Zeit gedacht. Das ist gut. Und die Songtexte haben überraschend gut gepasst und viele Menschen emotional angesprochen. Liebeslieder zwischen Menschen, die nun auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch gedeutet werden, assoziativ-metaphorisch: ein Passionsspiel für die Postmoderne.
Was hätten Sie anders gemacht?
Meinen Musikgeschmack hat es nicht immer getroffen, aber das ist egal. Schöner wäre es sicher ohne Werbung gewesen. Aber ich will hier nicht die Haare in der Suppe finden. Dass zur Primetime so viele Menschen mit dem Evangelium erreicht wurden, ist für Christen ein Grund zum Freuen. Ohne das arrogant zu meinen: Ich glaube, mit „Die Passion“ kam mehr Evangelium rüber als in manchen Gottesdiensten.
Viele Menschen wurden positiv berührt, andere empfanden eher Fremdscham, vor allem auf Twitter. Warum?
Ich finde das nicht schlimm. Paulus hat sich auf dem Markt in Athen auch mit der Populärkultur auseinandergesetzt und später Poesie zitiert, um das Evangelium zu vermitteln. Es folgte Spott von den Intellektuellen. Aber er hat auch einige von ihnen erreicht. Stadtgespräch zu sein oder auf Twitter zu trenden, ist erstmal positiv, weil Menschen dann auch über das Evangelium sprechen. Natürlich kann man sich auch am Stil von „Die Passion“ reiben. Kritik gehört eben dazu.
Glauben Sie, dass „Die Passion“ eher Christen oder eher kirchenferne Menschen erreicht hat?
Ich schätze, dass das Event auch viele Kirchenferne erreicht hat. Allein die Songs und die Stars haben ihren Teil dazu beigetragen. Mit Sicherheit wurden auch Leute angesprochen, die mit Kirche nichts zu tun haben. Wenn sich „Die Passion“ auch längerfristig etabliert, wird das Wissen über Ostern, das Leiden, Sterben und die Auferstehung Jesu Christi sehr wahrscheinlich zunehmen. Das ist in den Niederlanden nachweisbar.
Studien zeigen, dass die traditionellen Liturgien großen Teilen der Bevölkerung nichts mehr zu sagen haben. Stark religiös oder traditionell orientierte Menschen, gerne aus höheren Bildungsmilieus, fühlen sich da vielleicht noch wohl – doch sie sind eine Minderheit. Das Evangelium gehört in alle Milieus, auch in die breite Masse der Gesellschaft. Die Form sollte dabei im Dialog mit dem kulturellen Kontext entwickelt werden. Der Inhalt, der Kern des Evangeliums, ist derselbe.
Kontextualisierung, wie die Missionswissenschaftler sagen.
Ja – natürlich geht das auch um inhaltliche Fragen wie die Betonung mancher Aspekte. Aber ob ich zum Beispiel einen Gottesdienst mit einem passenden Popsong eröffnen will, das bestimmt primär die Frage, wen ich damit erreichen will. Wir leben in einer post-christentümlichen Gesellschaft, und unsere christlichen Traditionen gehen an einem Großteil vorbei. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.
„Die Passion“ lief nicht bei den Öffentlich-Rechtlichen, wo es verordnete Sendezeit für die Kirchen gibt, sondern auf einem Privatsender. Und: Es war eine private Initiative, die Amtskirchen hatten damit so gut wie nichts zu tun. Müssen sich die Kirchen ändern, wenn sie überleben wollen?
„Die Passion“ hat inhaltlich das Evangelium klar kommuniziert. Das wäre die erste Lektion. Ich will mich nicht mit platter Liturgiekritik über bestimmte Kirchenformen stellen, und sicherlich ist nicht alle Tradition falsch. Wir dürfen aber von Medienmachern lernen. Die Kathedralen unserer Zeit sind die Event-Arenen oder Open-Air-Konzerte. Da werden Menschen emotional und inhaltlich berührt. Davon darf Kirche sich inspirieren lassen. Wenn wir krampfhaft an Formen festhalten, verlieren wir am Ende auch den Inhalt.
Eine persönliche Frage: Welchen Song würden Sie für das Finale im kommenden Jahr auswählen?
„Halt dich an mir fest“ von Revolverheld fand ich schon sehr passend. Um hier noch andere deutschsprachige Popsongs zu finden, müsste ich einen Kontextualisierungs-Kakao mit meiner Teenagertochter trinken und mich beraten lassen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Eine Antwort
Danke Rainer Schacke, Du hast all meine Gedanken zur Passion auf RTL in super Worte gekleidet. Herzlichen Dank!!! Ein wertvoller Bericht!!!