Um kaum eine Figur des Neuen Testaments ranken sich derart viele Gerüchte wie um Maria aus Magdala. Sie gilt als Prostituierte, als Geliebte Jesu, als von sieben Dämonen Besessene, als Emanze und Jüngerin. Biblisch bezeugt ist nur ein kleiner Teil dieser Zuschreibungen. Selbst die immer mit ihr verbundene Salbung Jesu mit kostbarem Öl ist unter Theologen strittig. Viele nehmen an, dass es eine andere Maria war, die Jesu Füße wusch und mit ihrem Haar trocknete. Die in der Bibel offenbar werdende Nähe zu Jesus und die Tatsache, dass er ihr nach seiner Auferstehung als erster erschien, ließ viele glauben, zwischen beiden sei mehr gewesen als nur Freundschaft. Eine These, die die meisten Historiker und Theologen zurückweisen.
Ein hochkarätig besetzter Kinofilm widmet sich nun dem Leben dieser sagenumwobenen Gestalt. In der kommenden Woche läuft er in Deutschland an. Rooney Mara („Verblendung“) spielt darin Maria, Joaquin Phoenix („Walk the Line“) verkörpert Jesus. Allein diese Besetzung verspricht viel. Mara war bereits für den Oscar nominiert und gilt als extrem vielseitig, was die neue Rolle nur beweist, wurde sie doch durch ihre Darstellung einer gewaltbereiten Punkerin bekannt. Phoenix ist den meisten wohl durch seine Rolle als Countrymusiker Johnny Cash in Erinnerung geblieben. Auch er war für diverse Oscars nominiert.
Ein himmlisches Zusammenspiel
Im Film trifft Jesus Maria, nachdem die heimische Dorfgemeinschaft an ihr den Versuch einer Dämonenaustreibung unternommen hat und sie dabei fast tötete. Nun soll sich Jesus, der in der Region bereits als Heiler bekannt ist, an der Befreiung Marias versuchen. Nach einem kurzen Gespräch mit der tieftraurigen und verletzten Frau stellt er fest: „Hier gibt es keine Dämonen.“ Denn der Film zeigt Maria Magdalena nicht als Kranke, sondern als eine Frau, die sich nicht den Regeln ihrer jüdischen Dorfgemeinschaft unterwerfen will. Eine Heirat kommt für sie nicht in Frage, und das, obwohl es mehr als genug männliche Bewerber gibt.
Maria entschließt sich dazu, Jesus zu folgen. Als einzige Frau wird sie Teil der Gemeinschaft der Jünger. Sie übernachtet mit ihnen in freier Natur, folgt Jesus durch die Einöde Judäas und Galiläas, lauscht seinen Predigten und spricht mit ihm über das Leben und die Ungerechtigkeit der Welt. Mara und Phoenix bilden dabei ein im wahrsten Sinne himmlisches Ensemble. Was gut ist, denn mehr als seine Schauspieler bietet der Film zumindest in der ersten Stunde nicht. Der Zuschauer wird Zeuge davon, wie Jesus gefolgt von seinen Jüngern durch karge Landschaften wandert und Heilungen oder gar Totenerweckungen vollzieht. Die Bilder sind nicht neu, die Geschichte ebensowenig, aber die Darstellungen des Miteinanders haben es in sich.
Warten auf die Revolution
Da diskutieren etwa die Jünger darüber, ob eine Frau in ihrer Mitte nicht die Gruppe zerstört. Sie erzählen ihre Geschichten und sind plötzlich nicht mehr nur fromme Fischer, Familienväter oder Ehemänner, sondern vor allem Menschen, die unter der Herrschaft der Römer leiden und geradezu verzweifelt auf eine Revolution warten. Jesus ist für sie nicht nur der Sohn Gottes, sondern derjenige, der das Leid ihrer Landsleute beenden wird, wenn er sein angekündigtes Reich errichtet. „Maria Magdalena“ lebt nicht von Spezialeffekten, einem tollen Schnitt und aufwändiger Filmmusik. Es ist das Zusammenspiel der Darsteller, dieses ungeschönte menschliche Leid, die Glaubenskämpfe und der Zweifel, die den Film sehenswert machen und dafür sorgen, dass sich hier kein Zuschauer langweilen muss.
Die Art, wie Phoenix Jesus spielt, unterscheidet sich dabei nicht wesentlich davon, wie er bereits andere Charaktere mimte – leicht entrückt, himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, seltsam beherrscht und doch irgendwie fehl am Platz. Das mag nicht jedem gefallen. Vor allem aber ist dieser Sohn Gottes kein Kuscheljesus. Er ist zornig, bestimmt, leidend, nachdenklich, man möchte fast sagen, im besten Sinne männlich – und damit ein wunderbares Gegenstück zur emanzipierten Maria, die das Wort Feminismus noch nicht kannte, dennoch aber mit gesundem Selbstbewusstsein als Frau ihren Weg geht und dabei nicht den Glauben an Gott und das Vertrauen auf Jesus verliert. Das unterscheidet sie von ihren Mitstreitern, die, insbesondere nach der Kreuzigung ihres Vorbilds und Anführers, keinen Stein mehr auf dem anderen sehen.
Jesus wendet sich den Frauen zu
So ist „Maria Magdalena“ ein Film über das Leben einer Frau an Jesu Seite. Stellvertretend steht sie für viele Frauen, die dem Sohn Gottes folgten und in der Bibel weniger gewürdigt wurden. In einer Szene entscheidet sich Jesus dazu, vor einer Gruppe von Frauen zu sprechen, die sich offenbar gerade um das Waschen der Wäsche ihres Ortes kümmern. Die Begegnung entwickelt sich zu einem Gespräch über fromme Ungerechtigkeiten gegenüber dem weiblichen Geschlecht, in dem Jesus versichert, dass Gott jeden Menschen gleich liebt. Biblisch überliefert ist ein solches Treffen nicht. Und doch kann man sich gut vorstellen, dass sich ähnliches zugetragen hat. So räumt „Maria Magdalena“ auch ein Stück weit auf mit dem Bild eines archaischen und patriarchal organisierten Christentums und fordert die Kirchen auf, so manche eigene Praxis zu prüfen.
Regisseur Garth Davis entfernt sich mit seinem Film ein Stück weit von der biblischen Geschichte, ohne aber fragwürdige Botschaften zu verbreiten. Am eindrücklichsten zeigt sich das bei seiner Version des Judas. Diesem verpasst er nämlich ein starkes und eben nicht überliefertes Motiv für den Verrat an Jesus. In einem Gepräch mit Maria berichtet er von seiner Frau und seinem Kind – beide hat er durch die Grausamkeiten der Besatzer verloren. Von Jesus erhofft er sich ein neues Reich, ein Wiederkommen der Toten, ein Zusammentreffen mit seinen Geliebten – und zwar bald. Als Jesus zwar Jerusalem und sogar den Tempel aufsucht, dort aber mitnichten Gottes Herrschaft einläutet, sondern die dortigen Gläubigen beschimpft, verzweifelt Judas. Und beschließt, Jesus zu verraten, damit dieser keine andere Wahl mehr hat, als ernst zu machen mit der Errichtung einer neuen Welt unter Gottes Herrschaft. Dieses Ziel erreicht er, wenn auch anders als gedacht und ohne, dass Judas selbst es noch erlebt.
Diese künstlerische Freiheit mag nicht jeder fromme Zuschauer aushalten wollen. Für die, die sich darauf einlassen können, bietet „Maria Magdalena“ spannende Perspektiven und vor allem Einsichten in die Welt der Jünger und einer Jüngerin. Zumindest, dass es Letztere schon zu Jesu Zeiten zur Genüge gab und dass sie von der Kirche und im Christentum zu selten gewürdigt wurden, ist ein Fakt. Ein Verdienst dieses Films ist es, auf sie aufmerksam zu machen.
Von: Anna Lutz