Die Gefahr, dass aus einer Inzest-Beziehung behinderte Kinder entstehen könnten, lässt der Ethikrat nicht als Verbotsgrund gelten. Schließlich sei es anderen Risikogruppen wie älteren Frauen, Rauchern oder an Mukoviszidose leidenden Menschen ebenfalls erlaubt, sich fortzupflanzen. Fast überall gelte Inzest zwar als moralisches Tabu. Allerdings sei das Strafrecht nicht dafür da, um moralische Standards zu schützen, lautet die Argumentation. Bis an diesen Punkt erscheinen die Ausführungen des Ethikrates durchaus nachvollziehbar.
Problematisch ist, wie die Experten den Familienbegriff deuten. Sie interpretieren ihn rein von seiner Funktion her und nicht von biologischen Gegebenheiten. Die Deutung des Begriffs ist deswegen wichtig, weil ein Grund für das derzeitige Inzestverbot ist, dass die „Familie“ geschützt werden müsse.
Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht zweier erwachsener Geschwister sei bedeutsamer als das „abstrakte Schutzgut der Familie“, sagt der Ethikrat. Er spricht daher nicht schlicht von „Familie“, sondern von „tatsächlich gelebtem Familienverbund“, teilweise auch von „real existierendem familialen Lebenszusammenhang“, um damit anzudeuten, dass die Kluft zwischen Theorie und Praxis, zwischen Biologie und Gesellschaft, groß ist.