Die Berliner Pfarrerin Kathrin Oxen hat der Zeitung Christ&Welt ein Interview gegeben. Darin geht es um allerhand Spannendes. Den Mitgliederschwund der Kirche etwa. Oder die Frage, welchen Sinn Glaube heute noch hat. Oxen gibt gewohnt durchdachte und nachdenklich machende Antworten. Nichts anderes war zu erwarten von der Pfarrerin der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Berliner Breitscheidplatz, die zudem Expertin für Predigtkultur ist. Oxen ist es gewohnt, im Licht der Öffentlichkeit zu stehen und sie weiß, mit Sprache umzugehen.
Umso irritierender ist eine Aussage, die sich wie folgt, in dem Gespräch findet:
„C&W: Blicken Sie eigentlich mit Neid auf die vielen Pfingstkirchen, die Evangelikalen, die von Kenia bis Korea gerade Millionen Menschen zum Glauben bringen?
Christ&Welt, 23.3.2023
Oxen: Überhaupt nicht. Der Verzicht auf Vernunft und intellektuelle Durchdringung erschöpft sich irgendwann. Ich sehe Strömungen in diesen Kirchen, da würde ich sagen: Das kann nicht Sinn der Sache sein.
C&W: Lieber keine Kirche als so eine Kirche?
Oxen: Manchmal denke ich das schon. Oder lieber eine kleine Kirche als so eine Kirche.“
Das ist nicht weniger als eine Entgleisung. Will eine Pfarrerin, erst recht eine, die im Zentrum Berlins mit seinen unterschiedlichen Kulturen und christlichen Prägungen arbeitet, allen Ernstes, mit einem Handwisch Millionen Christen von Kenia bis Korea den rechten Glauben absprechen? Allein in Korea machen pfingstlich geprägte Christen die Mehrheit aller christlichen Gläubigen aus. Ist all jenen der „Verzicht auf Vernunft und intellektuelle Durchdringung“ eigen? Wäre es besser, sie gingen nicht in die Kirche?
Oxen will dem nichts hinzufügen
Klingt unfassbar, fand PRO. Deshalb haben wir bei Frau Oxen nachgefragt. Mit dem Hinweis, dass diese Aussage uns irritiert habe, baten wir um ein Gespräch. Und erwarteten zumindest etwas Differenzierung. Die schriftliche Antwort aber war ebenso kurz wie eindeutig: Das Interview gebe sie zutreffend wieder, sie habe nichts hinzuzufügen.
Wir schon: Oxen mag hier einen Seitenhieb gegen tatsächlich kritikwürdige theologische Auswüchse in manchen Pfingstkirchen im Sinn gehabt haben. Doch sie sagt etwas anderes. Sie bedient, angeheizt durch die Frage der Interviewer, kolonialistisches Herrschaftsdenken. Was die westlichen protestantischen Kirchen schon begriffen haben, das ist den charismatisch geprägten Christen in Kenia und Korea noch nicht ganz klar, könnte man diesen Ansatz übersetzen. Der Weg zum Heil führt über den Intellekt. Und der ist da eben nicht ganz so ausgeprägt. Oxen lässt sich sogar dazu verleiten, den Satz der Interviewer zu bestätigen: „Lieber keine Kirche als so eine Kirche“.
Das ist arrogant. Die Evangelische Kirche offenbart hier: Sie begreift sich als auserwählte Minderheit im Lichte aller fehlglaubenden Christen weltweit. Als intellektuelle Bastion der Reformation in der Welt. Als Predigtelite. Sie tritt Werte, mit denen sie sich gerne schmückt, mit Füßen. Kulturelle Vielfalt etwa. Liberalität im Glauben. Weltgewandtheit.
Eine solche Kirche hat nichts anderes als Mitgliederschwund verdient.
In einer früheren Version war von „lutherischen Kirchen“ und der evangelischen Kirche als „Bastion Martin Luthers“ die Rede. Frau Oxen ist hingegen reformiert. Um Missverständnisse zu vermeiden, haben wir die Formulierungen geändert.