Am Donnerstag machten Medienberichte die Runde, dass Alexandra Föderl-Schmid, stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ), vermisst werde. Später wurde öffentlich, dass ein Abschiedsschreiben von Föderl-Schmid gefunden worden sei. Der Verdacht lag seitdem nahe, dass die unter Druck geratene Journalisten Suizidgedanken hatte. Eine eingeleitete Suche nach der Frau blieb zunächst erfolglos. Erst am Freitagmittag dann die Nachricht: Alexandra Föderl-Schmid lebt. Die vermisste Journalistin wurde von österreichischen Polizisten gefunden.
Was war passiert? Föderl-Schmid hat sich am Montag wegen massiver Plagiatsvorwürfe von den Tagesgeschäften in der Redaktion zurückgezogen. Das teilte die Tageszeitung zu Wochenbeginn auf ihrer Website mit und kündigte an, dass eine Kommission den Umgang von Föderl-Schmid mit Quellen in ihrer journalistischen Arbeit prüfen soll. Die Journalistin habe die Universität Salzburg gebeten, ihre Promotionsschrift zu prüfen.
Auslöser für die Verlautbarung der SZ dürfte eine Recherche des Online-Portals „Nius“ gewesen sein. Dessen Kopf ist der geschasste ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Das Portal hatte den Plagiatsjäger Stefan Weber gegen eine vierstellige Summe damit beauftragt, die Doktorarbeit von Föderl-Schmid auf mögliche Täuschungsversuche hin zu überprüfen.
Zur Person
Alexandra Föderl-Schmid, geboren 1971, kam 2017 zur Süddeutschen Zeitung und war zunächst als Korrespondentin für Israel und die palästinensischen Gebiete tätig. Seit 2020 ist sie stellvertretende Chefredakteurin. Zuvor war die Österreicherin in ihrem Heimatland als Chefredakteurin und Co-Herausgeberin beim „Standard“. Föderl-Schmid hat für ihre journalistische Arbeit mehrere Preise erhalten. Ihre Doktorarbeit schrieb sie über das duale Rundfunksystem in Deutschland.
Offenbar hatte der Kommunikationswissenschaftler Weber bei „Nius“ seine Dienste angeboten, nachdem er vom Branchenmedium „Medieninsider“ kein Geld dafür bekommen habe. So berichtet es unter anderem die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Chefredaktion der SZ sei vor der Veröffentlichung mit den Erkenntnissen und den Plagiatsfunden Webers konfrontiert worden, heißt es in einem Beitrag von „Nius“.
Ein Maulwurf in der Redaktion
Was noch weiter zurück liegt: Bereits im Dezember wurden Plagiats-Vorwürfe gegen Föderl-Schmid laut, die journalistische Texte betrafen. Daraufhin diskutierte die Redaktion am 20. Dezember in einer Redaktionskonferenz über journalistische Standards. Das Brisante daran: Verlauf und Inhalt dieser Redaktionskonferenz wurden anschließend beim Portal „Medieninsider“ am 21. Dezember ausführlich und teils in wörtlichen Passagen wiedergegeben. Die SZ sieht darin unter anderem eine Verletzung des Redaktionsgeheimnisses.
Daraufhin prüfte die Chefredaktion im Einvernehmen mit dem Betriebsrat, ob es Datenverkehr zwischen den IP-Adressen der Redaktion und des Branchendienstes „Medieninsider“ gegeben habe. Die Prüfung habe kein Ergebnis gebracht, „weitergehende Maßnahmen“ seien nicht erfolgt, erklärte die SZ am Sonntag. Die Redaktion sei darüber in einer Vollversammlung am 30. Januar informiert worden. Erneut seien aus dieser Versammlung vertrauliche Informationen, zum Teil im Wortlaut, nach außen gegeben worden, hieß es seitens der SZ.
Am Mittwoch legte „Nius“ nach und berichtete, Plagiatsjäger Weber habe begonnen, mehrere tausend Artikel Föderl-Schmids zu überprüfen. Bereits nach einem kleinen Teil der Beiträge habe Weber Belege dafür gefunden, dass die Journalistin Passagen anderer Texte teilweise wortgleich übernommen habe.
Misstrauen ist keine gute Basis
Und dann war Föderl-Schmid etwa einen Tag lang verschwunden. Sorge um einen Suizid der Journalistin machte sich breit. Nun herrscht aber in der Branche und bei der SZ selbst vor allem Erleichterung, dass sie unterkühlt, aber lebend unter einer Brücke am Inn gefunden wurde.
Was bleibt? Ein zutiefst erschüttertes Medienhaus, das eigentlich zu den angesehensten Europas gehört – auch wegen seiner eigenen investigativen Leistungen. Es sind nicht nur die Zweifel an der journalistischen Professionalität der Zeitung, die bei den Vorwürfen gegen eine führende Mitarbeiterin automatisch mitschwingen.
Wenn Redaktionskonferenzen förmlich bespitzelt, vertrauliche Informationen aus Redaktion nach außen getragen werden, schwindet das Vertrauen der Journalisten untereinander. Grundlegendes Misstrauen unter Berufskollegen kann keine Basis für qualitativ hochwertigen Journalismus sein – das geht über die Grenzen eines einzelnen Unternehmens hinaus. Und auch Informanten werden sich genau überlegen, wem sie sich anvertrauen, wenn eine Redaktion selbst nicht „dicht“ ist.
Ist der Skandal alternativlos?
Es bleibt aber auch ein düsteres Bild von der Branche selbst, wenn durch den Drang nach Transparenz und die gnadenlose Jagd nach einem Fehler Menschen so arg in Bedrängnis geraten wie mutmaßlich Föderl-Schmid. Der Journalismus steht im Dienst des öffentlichen Interesses und es ist gut, dass er sich auch selbst kritisch durchleuchtet. Es gehört zum Selbstverständnis und zu den wesentlichen Aufgaben von kritischem Journalismus, Dinge publik zu machen, die gravierend falsch laufen.
Aber die Mechanismen in diesem System können Menschen zusetzen oder sie auch vernichten: die Mechanismen, wie Fehler in die Öffentlichkeit gelangen, wie immer neue Vorwürfe erhoben werden, immer mehr Medien darüber berichten, der Druck immer höher wird.
Hilfe bei Suizidgedanken
Denken Sie darüber nach, sich das Leben zu nehmen? Holen Sie sich Hilfe, zum Beispiel bei der Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.
Neu ist das nicht. Die SZ musste sich im vorigen Jahr beispielsweise selbst Kritik dafür anhören, wie sie in der „Flugblattaffäre“ über den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger berichtet hatte. Nun stand diesmal eine Journalistin selbst im Zentrum. Kurzzeitig war unklar, ob sie sich aufgrund des Drucks das Leben genommen haben könnte. Dass dieser Gedanke überhaupt im Raum stand, sollte dem ganzen Medienbetrieb ein Ausrufe-, oder besser, ein Fragezeichen sein.
Ist das Skandalisieren von Problemen alternativlos? Sind die Fehler der Anderen ein sinnvolles Geschäftsmodell? Eines, das das Zusammenleben in unserer Gesellschaft fördert? Braucht es Öffentlichkeit um jeden Preis? Oder wie Rainer Esser, Geschäftsführer des Medienhauses „Die Zeit“, zum Fall Föderl-Schmid auf dem Berufsnetzwerk „Linkedin“ formulierte: „Könnte dies nicht ein dringender Weckruf sein, uns an die Bedeutung von Mitgefühl und Vergebung auch bei kleinsten Fehltritten zu erinnern? Eine eindringliche Mahnung, uns von Hass und Schadenfreude abzuwenden, um stattdessen einen Pfad der Menschlichkeit und des Verständnisses zu beschreiten?“
Von: Norbert Schäfer und Jonathan Steinert, mit epd-Material