Auf dem 5. Christlichen Medienkongress, der vom 11. bis 13. Januar 2018 auf dem Schönblick in Schwäbisch Gmünd stattfindet, wollen christliche Medienschaffende darüber beraten, wie die christliche Botschaft wirkungsvoll über die Medien verbreitet werden kann. Der Unternehmensberater und Autor Karl-Heinz Land, der sich selbst „Digitaldarwinist“ nennt und 2006 vom Nachrichtenmagazin Time sowie dem Weltwirtschaftsforum als „Technology Pioneer“ ausgezeichnet wurde, erkennt in der Digitalisierung und den Sozialen Medien Potenzial für die Kirchen. Im Gespräch mit pro erklärt er, vor welchen Herausforderungen die Kirchen beim Übergang ins digitale Zeitalter stehen und wie sie ihre Botschaft mittels der neuen Technologien verbreiten können.
pro: Herr Land, wie bewerten Sie den Stand der Digitalisierung in den Kirchen?
Karl-Heinz Land: Die beiden Kirchen sind höchst undigital unterwegs. Ich glaube, die Kirche hat mehr Angst vor der Digitalisierung, als die Chancen zu sehen. Das war in fast jeder industriellen Revolution der Fall. Denken Sie an die Erfindung von Dampfmaschine, Webstuhl, Elektrizität und Auto. Die beiden Kirchen müssen verstehen, dass die physische Welt und die digitale schon heute, aber noch viel mehr in der Zukunft, untrennbar zusammengehören.
Die Kirchen haben ihre Berechtigung in den Bereichen der Bildung und der Information. Sie nutzen das Internet, um Dinge zu verbreiten und in Kontakt zu kommen, aus meiner Sicht noch zu wenig. Die Kirche konzentriert sich auf die Kirche als solche – die immer leerer wird – und vergisst dabei, digitale Inhalte zu produzieren. Mir ist es egal, wie ein Mensch zu meiner Kirche findet: Ob er das über das Smartphone macht, oder ob er physisch am Sonntag in der Messe steht. Ich muss die Angebote für jeden Kanal bereitstellen.
Sie bringen die Digitalisierung mit dem Darwinismus in Verbindung. Was bedeutet das?
Von Charles Darwin stammt die Idee des „Survival of the fittest“, „Pass dich an oder stirb“. Diese Regel gilt für die digitale Welt auch. Unternehmen und Organisationen, die Digitalisierung nicht verstehen, wird es in naher Zukunft einfach nicht mehr geben. Sie sterben aus. Digitaler Darwinismus ist, wenn sich Technologie und Gesellschaft schneller ändern, als Firmen oder Organisationen sich an diese neuen Gegebenheiten anpassen können.
Welche Bedeutung hat die zeitliche Komponente bei der Entwicklung?
Der Faktor Zeit wird bei der Digitalisierung von Managern und Politikern unterschätzt. Auch von den Kirchen. Ein Grund dafür ist, dass sich die Technik exponentiell entwickelt. Wer hatte vor zehn Jahren ein Smartphone? Die Kirchen dürfen sich nicht von der Digitalisierung treiben lassen, sondern müssen den Prozess gestalten und die Innovationen in ihren Dienst stellen. Im nächsten Jahr werden wir fünf Milliarden Smartphones auf dem Planeten haben bei siebeneinhalb Milliarden Menschen. Durch die Digitalisierung verschmelzen Privatleben und Beruf zunehmend. In einer hypervernetzten Welt sind Menschen mit dem Smartphone immer und überall verbunden. Darauf müssen die Kirchen reagieren.
Welche Effekte der Digitalisierung sind für Kirchen interessant?
Die Digitalisierung schafft unglaubliche Reichweite. Die kleine Dorfkirche erreicht vielleicht nur 30 Menschen, wenn darin jemand eine tolle Predigt hält. Warum sollte die Predigt nicht online zu finden sein? Die Kirchen müssen die Mechanik der Digitalisierung nutzen, auch weil die Grenzkosten nahezu bei null liegen. Immer wenn etwas digital wird, habe ich die Reichweite der Welt. Deshalb ist Amazon so erfolgreich. Das könnte genauso bei einer Organisation funktionieren, die den christlichen Glauben weiterbringt. Die Kirche muss sich öffnen und fragen: Was kann die Digitalisierung für uns tun?
Wie kann sich Kirche die Digitalisierung nutzbar machen?
Etwa im Bereich der Entwicklungshilfe oder der Diakonie, der Mission. Es gibt Projekte, die brauchen viel Geld. Wo nutzt die Kirche denn beispielsweise Crowdfunding? Die Hilfs- und Spendenbereitschaft der Deutschen ist ja da – das könnten die Kirchen noch viel besser nutzen. Ein zweiter Punkt: Es gibt in jeder Stadt Alkoholismus, Drogenkonsum und Menschen, die darunter leiden. Die Kirche kann die Menschen abholen, wo sie sind. Jeder Junky hat ein Smartphone. Das Ding wird von jedem genutzt. Damit kann ich Menschen erreichen, die ich niemals in der Kirche, also im Gebäude, erreichen würde. Das wird kaum verstanden. Ich behaupte, man lässt eine wichtige Chance liegen.
Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?
Die Digitalisierung erlaubt direkte Hilfe, Peer to Peer. Stellen Sie sich vor, die Kirche würde eine Partnerschaft mit Edeka machen. „Round up“ – immer wenn ich irgendeinen ungeraden Betrag habe, wird der aufgerundet. 65 Cent gehen in einen Topf – der gehört zunächst mal der Kirche. Dieser Topf wird verteilt, über eine Plattform, einmal im Monat. Nutzt die Digitalisierung, um Gutes zu tun. Da sind Plattformen. Da ist der Überfluss, den man damit verwaltet kann. Ohne Bürokratie, ohne Korruption. Ich könnte mit der Plattform auch Lebensmittelkarten verteilen, mit denen man Reis kaufen kann. Das ist eine unglaubliche Chance zur direkten Hilfe.
Bei den Kirchen geht es ja auch immer um die Vermittlung einer Botschaft. Geht das auch in der digitalisierten Welt?
Ja klar! Das sieht man an den TV-Sendern, die es mal gab oder immer noch gibt. Nehmen sie Bibel TV. Die größten Kirchen in den USA sind Fernseh, Video- und YouTube-Kirchen. Die haben Millionen Besucher am Wochenende. In den USA wurden die Medien viel früher von den Kirchen genutzt. Das kann man sich als Beispiel nehmen für das Gute, das Schlechte kann man durchaus weglassen. Dass das Medium funktioniert, daran kann kein Zweifel bestehen. Kirche produziert Inhalt. Da gibt es mit dem Alten und dem Neuen Testament viel Content.
Heute bestimmen Influencer, die in sozialen Netzwerken besonders großen Einfluss haben, was gerade hip ist. Wie kommt die Kirche da mit?
Die Evangelisten waren in dem Sinne die ersten Influencer. Die Digitalisierung kann den Kirchen auch dabei helfen, ihren Einfluss, den sie immer noch hat, stärker zu unterstreichen. Denken sie an den Papst. Da kommen Hunderttausende auf den Petersplatz. Der aktuelle Papst ist ein Influencer im besten Sinne, der müsste allerdings sein Marketing in den sozialen Kanälen noch besser machen. Das könnte viele junge Menschen dazu ermutigen, nicht nur mit Ellenbogen, sondern mit christlichen Werten ihr Leben zu gestalten.
Wie kann das gehen?
Das muss nicht immer die Sonntagspredigt sein. Würde sich die Kirche mit den Dingen beschäftigen, die Jugendliche beschäftigt, dann hätte sie auf jeden Fall den richtigen Inhalt. Ein Aufruf an Jugendliche auf YouTube zu einer gemeinsamen Aktion, damit würden Sie in Köln Hunderte erreichen. Sie können das, was an Reichweite da ist, für sich nutzen und die Leute finden. Im E-Commerce gibt es 100 verschiedene Angebote – und jede Gruppe, jedes Produkt, findet seinen Abnehmer. Es wird immer mehr Spezialisierung in den Angeboten geben. Das müssten die Kirchen genauso machen. Unter einem Dach der Kirche Inhalte verbreiten, für Jugendliche, für Rentner, für jedes Alter – und Sie finden immer den, den es trifft. Das Ganze geht überregional. Die drei Tanten und Omas, die gehen nur noch in die Kirche, weil sie schon immer dahin gegangen sind.
Wie ist es um die Sprachfähigkeit der Kirchen in der digitalen Welt bestellt?
Ich bin fest davon überzeugt, dass man Kirche und Glaube auch mit 280 Zeichen vermitteln kann. Auf Facebook, Google, Instagram, Twitter, da kann man kurz und bündig Inhalte transportieren. Kirche hat so unglaublich viel Content. Und die Kirchen habe eine tolle Story. Eine 2.000 Jahre alte Geschichte. Das in diesen Kanälen weiterzugeben, ist so einfach. Der Text ist nicht mehr so wichtig. Die bewegten Bilder haben mehr Gewicht. Darauf sollte sich Kirche ebenfalls einstellen. Das Christentum ist eine tolle Geschichte. Das ist transportabel. Wir hören nur noch das Schlechte, deshalb glauben wir, die Welt sei schlecht. Das ist sie nicht. Die Kirchen tun so viel Gutes, darüber sollten sie reden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Norbert Schäfer