pro: Warum haben Sie Philosophie studiert?
Frank Hofmann: Um meine letzten Fragen, die ich an das Leben hatte, besser beantworten zu können und eigentlich auch, um meinen Atheismus besser begründen zu können.
Hat es sich für Sie gelohnt?
Ja. Das Studium hat mir im Laufe der Zeit gezeigt, dass ein rein philosophischer Zugang zum Leben defizitär ist. Denn die wirklich entscheidenden Fragen im Leben werden von der Philosophie erst einmal mit einem riesigen methodischen Aufwand vorbereitet. Man bewegt sich schon in dieser Vorbereitung des Werkzeugkoffers, in der Methodenlehre, auf immer unsicherer werdendem Eis. Und wenn es an Inhalte geht, wird es ganz dünn. Konkret zum Beispiel in der Frage der Ethik. Die Philosophie kann noch nicht einmal die Frage „Was ist gut?“ beantworten. Zu jeder Definition von „gut“ kann man immer sagen: OK, ich sehe, das ist so und so, aber ist es wirklich gut? Das hat man in der Theologie nicht, da man sich einfach auf Gottes Offenbarung bezieht. Damit handelt man sich natürlich andere methodische Probleme ein, aber man hat einen festen Bezugspunkt, und den gibt es in der Philosophie nicht.
Sie studieren derzeit Theologie?
Ja, das ist ein besonderer Studiengang, der leider nur alle drei Jahre angeboten wird. Da gehen dann die guten Professoren von Marburg für eine Woche nach Hofgeismar, und zwischendurch läuft das über Lernplattformen im Internet. Das ist nur für Leute, die schon ein abgeschlossenes Studium und fünf Jahre Berufserfahrung haben. Das schließt mit einem Master ab und berechtigt zu einem Vikariat in bestimmten Landeskirchen.
Und wollen Sie anschließend ein Vikariat machen?
Das hatte ich zumindest geplant, als ich das Studium vor einem Jahr angefangen habe. Dann kam schon wenige Monate nach Beginn diese tolle berufliche Perspektive, als Chefredakteur zu „Andere Zeiten“ zu wechseln, dem ökumenischen Verein, der ja theologisch arbeitet. Ob ich dann noch den Schritt in die Gemeinde und ein Vikariat mache, weiß ich noch nicht. Ich bin ja noch jung bei „Kirchens“.
Ein wichtiger Punkt in Ihrem Leben ist das Laufen. Was bedeutet es Ihnen?
Das kam erst relativ spät, mit Mitte 30. Angefangen hat es damit, dass ich eine persönliche Herausforderung suchte. Und als jemand, der zu Sport bislang nie einen Bezug hatte, war es beim Laufen für mich erstmal eine neue Entdeckung, was man da alles aus seinem Körper herausholen kann. Ich habe auch Triathlon gemacht, auch Langstrecken-Triathlon, da sieht man: Deine Grenzen gehen viel weiter, als du es jemals gedacht hast. Heute laufe ich immer noch täglich, aber heute schätze ich daran, dass ich eine Stunde am Tag für mich habe, in der mir niemand vorschreiben kann, was ich zu denken habe, in der ich keine Dinge gedanklich strukturieren muss, sondern in der ich einfach zulassen kann, was mir in den Kopf kommt. Das nutze ich täglich auch ganz bewusst, um zu beten, um mit Gott in Verbindung zu treten oder um über bestimmte Dinge zu meditieren.
Wie sind Sie zum Glauben gekommen?
Zum einen war das Kennenlernen meiner jetzigen Frau ganz entscheidend, die evangelische Christin ist, und darauf bestanden hat, dass wir kirchlich heiraten. Dadurch war schon einmal ein gewisser Druck geschaffen, sich mit solchen Themen zu beschäftigen, und der Wunsch, diese geistige Dimension mit meiner Frau zu teilen. Außerdem war sehr entscheidend ein Interview mit Margot Käßmann, in dem es um ihre Laufgewohnheiten ging und wo sie mir mit ganz einfachen Worten und ohne fromme Emphase ganz nüchtern erzählte, dass sie das Laufen auch als Gebet nutzt. Das hat mich sehr beeindruckt und mich dazu geführt, das selber umzusetzen.
Was ist „Spirituelles Laufen“?
Es ist der Versuch, die positiven Kräfte, die beim Laufen in vielen Dimensionen wirksam werden, dafür zu nutzen, in Verbindung mit Gott zu treten. Der Körper kommt durch das Laufen in einen ganz speziellen Zustand. Das lässt sich sehr klar zeigen, etwa am Hormonsystem, der Sauerstoffversorgung, am Kreislauf und so weiter. Unser Körper wartet regelrecht darauf, weil er evolutionär optimiert ist, sich zu bewegen. Der Rhythmus des Laufens sorgt für eine Verlässlichkeit, und wenn das Gehirn das spürt, ist es bereit, neue Freiräume aufzumachen. Es fühlt sich sicher und bietet dann kreative Freiräume an, die wir ansonsten nicht haben. Jeder kennt vielleicht den Effekt, wenn er läuft: Man startet mit einem Problem, das einem schier unlösbar erscheint, und man läuft und hinterher denkt man: Na klar, so kann ich‘s ja mal angehen! Ich glaube, dass all dies notwendig ist, um ein wirklich intensives Gebet zu führen. Luther hat mal gesagt: In meinem ganzen Leben ist mir kein einziges Gebet ohne störenden Gedanken gelungen. Möglicherweise liegt das daran, dass Martin Luther kein begeisterter Läufer war (lacht).
War Jesus ein Läufer?
Jesus war ein Wandercharismatiker. Das Thema der körperlichen Bewegung zieht sich durch die ganze Bibel. Wenn Sie die Reiseroute von Abraham nehmen, dann stellen Sie fest, dass er sich rund 20 Kilometer am Tag bewegt hat. Natürlich nicht unbedingt gelaufen, aber gegangen, und das mit Tieren, durch die Steppe. Beim Volk Israel wird eine ganze Heilsgeschichte in Form einer riesigen Wanderung dargestellt. Jesus hatte keine feste Bleibe, er war immer unterwegs. Es gibt diese wunderbare Stelle im Lukas-Evangelium, wo es um Nachfolge geht. Einer sagt: Ich will noch ganz kurz meiner Familie Tschüss sagen, und Jesus sagt: Sorry, dann ist es zu spät. Das kann man nur als Läufer verstehen. Wenn Sie laufen und jemand fragt Sie nach dem Weg, dann kommen Sie in einen Konflikt, dann sagen Sie: Frag doch einen anderen, du siehst doch, ich laufe! Oder lauf mit, dann erkläre ich dir gerne, wo es langgeht. Dieses ständige In-Bewegung-Sein zieht sich durch die Bibel, bis hin zu dem größten Reisenden, Paulus, der ungefähr 30.000 Kilometer zurückgelegt hat, davon ein Drittel zu Fuß.
Gibt es noch mehr solcher Beispiele?
Eine wunderschöne Lauf-Geschichte ist die von Elias, nachdem er am Berg Karmel die Baals-Priester bezwungen hat, danach rannte er „um sein Leben“, wie es in der Bibel heißt, vom Berg Karmel bist nach Be‘er Scheba. Das sind rund 150 Kilometer, und jeder Ultraläufer, der mal 100 Kilometer am Stück gelaufen ist, der weiß: Wenn man 150 Kilometer um sein Leben läuft, dann ist man ganz schön fertig. Und in der Bibel steht: Er sitzt dann völlig erschöpft unter einem Wacholder, und der Engel des Herrn sagt zu ihm: Steh auf und iss, du hast eine weite Reise vor Dir! Dann steht er auf und isst und geht nochmal 40 Tage und Nächte bis zum Berg Horeb. Mose fastete 40 Tage auf dem Sinai, er rannte dauernd rauf und runter. Und Jesus fastete nicht nur nach der Taufe, sondern er ging bewusst in die Wüste, er bewegte sich.
Übrigens, in der griechischen Vorstellung haben wir ja von Aristoteles Gott als „Unbewegten Beweger“, da ist Gott ganz still. In der Bibel bewegt sich Gott, und zwar als Wolkensäule oder als Feuersäule vor seinem Volk. Also auch Gott ist in Bewegung. Das finde ich einen wunderschönen Gedanken im Alten Testament.
Wenn man nach der Verbindung zwischen Laufen und Bibel sucht, dann kommt man meistens auf die Paulus-Briefe, denn da gibt es drei, vier Stellen. Aber die finde ich, ehrlich gesagt, gar nicht so ergiebig. Eine der Heimatgemeinden von Paulus war Korinth, und die Isthmischen Spiele in Korinth waren die zweitgrößten Spiele nach den Olympischen Spielen, und diese Gemeinde war total sportlich; und deshalb hat er da einige Bilder aus dem Bereich des Sports in seinen Briefen verwendet. Aber die sind meines Erachtens nicht so tief. Theologisch finde ich es ergiebiger, das Gesamtbild zu sehen, und dann erschließt sich die Bibel als das größte Laufbuch, das wir überhaupt haben.
Was bedeutet Jesus für Sie?
Jesus ist für mich die eine und endgültige Offenbarung Gottes, der Mensch gewordene Gott, der mir dadurch zeigt, dass alles, was ich erlebe, ihm nicht fremd ist und er das größte Leid, das man sich vorstellen kann, kennt. Mehr kann man auch auf die Theodizeefrage nicht erwarten, aber das ist schon unheimlich viel.
Also können Sie – so geht das auch aus Ihrem Buch „Marathon zu Gott“ hervor – mit dem Sühnetod Jesu für die Sünden der Menschen nicht so viel anfangen?
Ich glaube, dass der Kreuzestod und die Auferstehung Jesu ein so großes Ereignis sind, dass man es mit Sprache nie letztendlich beschreiben kann. Ich finde es billig, wenn heute Theologen meinen, dieses Bild des Sühnetodes komplett auseinandernehmen zu müssen. Es hat für viele Millionen Menschen Hoffnung gegeben, das bedeutet ja nicht, man müsste es heute in Predigten wieder stark machen. Es gibt andere Bilder. Ich glaube auch nicht, dass wir uns unser Verhältnis zu Gott so vorstellen müssen, dass da einer einen Blankoscheck für unsere Sünden bezahlt hat und wir auf dessen Kosten hier unser Leben fristen, dieses Weltbild passt heute nicht mehr. Mit dieser Sühne-Theologie habe ich meine Schwierigkeiten.
Auch Wunder wie die Jungfrauengeburt Marias relativieren Sie in Ihrem Buch.
Ich glaube, dass die Wunder, die Jesus tut, eigentlich hauptsächlich entmystifizieren. Also indem er Dämonen austreibt, setzt er bei diesem Dämonenglauben an, mit dem er konfrontiert war, und sagt: Es sind nicht die Dämonen, die die Menschen schlecht machen. Er trennt sich von diesem Weltbild, und ich denke, das sollen uns diese Dämonenaustreibungen sagen. Was die Jungfrauengeburt angeht: Wir haben fünf historische Berichte über Jesus, von denen wissen die beiden ältesten nichts von einer Jungfrauengeburt. Man muss an die Jungfrauengeburt auch nicht glauben, um Christ zu sein, aber Wunder sagen trotzdem auch eine Wahrheit, nämlich dass der Mensch Jesu von Nazareth nicht nur ein Mensch war wie wir alle, sondern dass es eine göttliche Offenbarung war.
Was werden Sie beim Verein „Andere Zeiten“ machen?
Ich werde dort Chefredakteur sein und betreue inhaltlich zusammen mit den Teams den Kalender „Der andere Advent“, das Magazin zum Kirchenjahr, die Fastenbriefe und alles, was an sonstigen Publikationen dort entsteht. Ich finde die Idee faszinierend, zu versuchen, die heilsame Wirkung des Kirchenjahres auch für Leute verständlich zu machen, die nicht in die Kirche gehen und die vielleicht auch nicht so eine fromme Sprache sprechen, und dann deutlich zu machen, wie das, was an Ideen dahinter steckt, auch in anderen Texten aufscheint. Ich glaube, das ist auch das Erfolgsgeheimnis des Kalenders, und das ist auch das Prinzip für alle anderen Publikationen. Das ist schon christlich-missionarisch, aber in einer Sprache, die vielseitiger ist als das, was man in der Kirche hört.
Vielen Dank für das Gespräch!