Deutschland ist ein bisschen Papst

Pilger, Proteste, Polizeisicherheit – seit Donnerstag sind wir wieder Papst. Doch der Pontifex erinnert mit seinem Besuch nicht nur an die Freude der Deutschen über seine Ernennung im Jahr 2005. Er hielt am Donnerstag auch eine seiner bereits im Vorfeld umstrittensten Reden. Im Bundestag sprach Benedikt XVI. dann aber nicht wie von vielen erwartet über Finanz- und Schuldenkrise, sondern warnte davor, Gott aus der Gesellschaft auszuklammern.

Von PRO

Es sind stürmische Zeiten, in denen der Papst die Bundesrepublik besucht – und das nicht nur, weil ihm der Berliner Wind sein Gewand am Donnerstag das ein oder andere Mal vors Gesicht wehte. Noch immer ist die katholische Kirche erschüttert von den mittlerweile unzählbar scheinenden Missbrauchsfällen, die vor allem im vergangenen Jahr ans Licht kamen. 180.000 Menschen traten 2010 aus der Institution aus. Zum Vergleich: Im Jahr der Papstwahl waren es nur halb so viele. Dennoch begann der Besuch des Pontifex in Berlin freudig und staatstragend. Mit militärischen Ehren – zum Beispiel mit 21 Salutschüssen am Flughafen Tegel – wurde Benedikt XVI. in der Bundeshauptstadt begrüßt. Die Innenstadt war zeitweise eine Hochsicherheitszone, Gullideckel wurden versiegelt, Straßen abgesperrt und eine Gegendemonstration wegen zu großer Nähe zum Staatsgast verlegt.

Wulff: Antwort auf "Lebensbrüche" finden

Trotz aller Maßnahmen wirkte der Papst fröhlich, fast schon unbekümmert, als die deutsche Nationalhymne zu seinen Ehren im Garten des Schloss Bellevue erklang. Bundespräsident Christian Wulff begrüßte den Pontifex mit den Worten: "Willkommen zu Hause, Heiliger Vater!" In einer Ansprache würdigte er die kirchliche Jugendarbeit sowie Diakonie und Caritas. Berlin sei eine Stadt, in der sich der Glaube behaupten müsse. So betonte Wulff die "große Verantwortung der Kirchen". Angesichts vielfältiger Krisen wachse in der Gesellschaft die Sehnsucht nach Sinn. Darin liege eine Chance für die Glaubensgemeinschaften. Bereits im Vorfeld des Papstbesuchs hatte der Bundespräsident die Praxis der katholischen Kirche, geschiedene Wiederverheiratete von der Kommunion auszuschließen, kritisiert. Er selbst lebt in zweiter Ehe. Auch in seiner Ansprache am Donnerstag fragte Wulff in Anspielung darauf, wie die Kirche etwa mit "Brüchen" in den Biografien der Menschen umgehe. Benedikt XVI. erklärte im Gegenzug, er sei nicht in erster Linie in die Bundesrepublik gereist, um politische Ziele zu verfolgen, sondern "um den Menschen zu begegnen und mit ihnen über Gott zu sprechen". Er beklagte eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber der Religion, dabei sei sie eine der Grundlagen "für ein gelingendes Miteinander".

Der Papst wird sich noch bis Sonntag in der Bundesrepublik aufhalten. Neben Berlin wird er Erfurt, Etzelsbach und Freiburg besuchen und ein "schier unmenschliches Programm" absolvieren, wie der katholische Prälat Karl Jüsten im ZDF sagte. Der 84-Jährige hält im Rahmen des minutiös geplanten Besuchs zahlreiche Reden und feiert fünf Gottesdienste mit mindestens 260.000 Gläubigen, allein ins Berliner Olympiastadion kommen am Donnerstagabend 70.000 Besucher. 25 bis 30 Millionen Euro gibt die katholische Kirche für die Reise des Pontifex aus, allein das Erzbistum Berlin investiert 3,5 Millionen in den Papstbesuch. Am Freitag trifft er auf Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das Zusammenkommen wird als großer Schritt für die Ökmumene gedeutet, findet es doch im Erfurter Augustinerkloster, einer der Wirkungsstätten Martin Luthers, statt.

Gespannt erwartet wurde am Donnerstag vor allem die Ansprache des Pontifex im Deutschen Bundestag. Norbert Lammert (CDU) empfing Benedikt XVI. mit den Worten, "noch nie in der Geschichte" habe ein Papst vor einem "gewählten deutschen Parlament gesprochen", zugleich habe es aber auch noch nie so viel Interesse an einer solchen Bundestagsrede gegeben. Die christliche Glaubenstradition habe die Grundsätze der Republik beeinflusst, doch auch die Trennung von Kirche und Staat sei ein "unaufgebbaren Fortschritt". Der Bundestagspräsident Lammert brachte zudem seine Hoffnung auf einen Fortschritt in der Ökumene zum Ausdruck und würdigte Bemühungen des Papstes zum Dialog der Religionen.

"Anerkennen, dass der Mensch sich nicht selbst gemacht hat"

Benedikt XVI. zeigte sich während seiner Rede dann weniger politisch als erwartet, sondern philosophisch – und das nicht, ohne die ein oder andere Pointe zu platzieren. Gottes Idee von Menschenwürde war am Donnerstag sein Thema. Sie zu verteidigen sei "uns in unserer historischen Stunde aufgegeben". Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her sei die Idee der Menschenrechte und -würde entwickelt worden, sagte der Papst. "Diese Erkenntnisse der Vernunft bilden unser kulturelles Gedächtnis. Es zu ignorieren oder als bloße Vergangenheit zu betrachten, wäre eine Amputation unserer Kultur insgesamt und würde sie ihrer Ganzheit berauben." Im Gegensatz zu anderen Religionen habe das Christentum dem Staat nie eine Rechtsordnung aufgegeben. Stattdessen verweise es auf "Natur und Vernunft" als die "wahren Rechtsquellen". Doch bei all dem dürfe der Mensch nie vergessen, dass er nicht aus sich heraus sei, sondern "aus den Vorräten Gottes" schöpfe.

In seiner Rede würdigte der Papst die ökologische Bewegung, allerdings mit der Einlassung: "Es ist wohl klar, dass ich hier nicht Propaganda für eine bestimmte politische Partei mache." Das Auftreten der Öko-Bewegung in den 70er Jahren sei wie ein "Schrei nach frischer Luft" gewesen, "den man nicht überhören darf und nicht beiseite schieben kann". "Wir müssen auf die Sprache der Natur hören und entsprechend antworten", sagte der Papst. Auch der Mensch habe aber eine Natur, die es zu achten gelte. Diese bestehe auch darin, anzuerkennen, dass er sich eben nicht selbst gemacht habe. So warnte der Papst vor einem rein naturwissenschaftlichen Zugang zur Welt.

Etwa 100 Oppositionspolitiker hatten angekündigt, der Rede des Papstes fernzubleiben. Benedikts Auftritt verstößt für sie gegen die religiöse Neutralität des Staates. Entsprechen blieben einige Plätze im Parlament leer. Der Vatikan zeigte im Vorfeld keinerlei Verständnis für den angekündigten Boykott der Rede. "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages müssen sich der Wirkung dieser Art von Protest im Ausland bewusst sein", sagte der deutsche Kurienkardinal Walter Brandmüller der "Bild"-Zeitung. "Sie verstärken dadurch das Bild vom ‚hässlichen Deutschen‘, das leider immer noch existiert."

"Keine Macht den Dogmen"

Zeitgleich demonstrierten Papstgegner unter dem Motto "Keine Macht den Dogmen". Tausende zogen vom Potsdamer Platz zum Bebelplatz. Organisiert wurde die Gegenveranstaltung von dem durch den Lesben- und Schwulenverband (LSVD) initiierten Bündnis "Der Papst kommt". In einem Schreiben hatte die Gruppierung im Vorfeld die "menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik" des Papstes kritisiert. Benedikt XVI. sei einer der "Hauptverantwortlichen für die Unterdrückung von Lesben, Schwulen und Transgender auf der Welt". Der Vatikan missachte die Rechte der Frauen, wenn es um Gleichberechtigung und Selbstbestimmung gehe. Das zeige vor allem das Verbot von Verhütung und Schwangerschaftsabbruch. Laut den Veranstaltern hatten über 20 Parlamentarier von SPD, Grünen und Linken ebenfalls ihre Teilnahme angekündigt. Der Papst selbst sah den Protesten gelassen entgegen. "Das ist normal in einer freien Gesellschaft", sagte der Papst am Donnerstag auf dem Weg nach Berlin. Dagegen sei nichts zu sagen, wenn man es denn auf zivile Weise tue. Eine wesentlich kleiner Demonstration gab es schließlich aber doch noch am Brandenburger Tor: Knapp 100 frühere Heimkinder trugen eine metergroße Nonnenfigur aus Pappe vor sich her. In der einen Hand hielt sie ein Kreuz, in der anderen einen Stock. "Nie wieder" lautete der Slogan der Demonstranten. (pro/dpa)

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