„Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa, der 1939 vom nationalsozialistischen Deutschland entfesselt worden war. Mehr als 50 Millionen Menschen fielen ihm zum Opfer.“ Mit diesen Worten beginnt das Dokument mit dem Titel „Deutsche Bischöfe im Weltkrieg“, das die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) am Mittwoch der Öffentlichkeit präsentierte. Am 8. Mai 2020 wird an den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs gedacht. „Sowohl im September 1939 als auch danach blieb der offene Protest der deutschen Bischöfe gegen den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg aus“, heißt es im Text.
In der Pressekonferenz, die wegen des Coronavirus per Video übertragen wurde, sagte der Vorsitzende der DBK, Bischof Georg Bätzing, viele Aspekte des umfassenden Themenfelds „Kirche im Nationalsozialismus“ seien inzwischen gut ausgeleuchtet; anders verhalte es sich bei der Frage, wie es die katholischen Bischöfe mit dem Krieg gehalten hätten. „Diesbezüglich gibt es – so sagen viele – eine ‚Erinnerungslücke‘, wohl auch eine ‚Bekenntnislücke‘“, so Bischof Bätzing.
Es falle „nicht ganz leicht“, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, sagte er. „Denn wir wissen, dass uns die Rolle des Richters über unsere Vorgänger nicht gut zu Gesicht steht. Keine Generation ist frei von zeitbedingten Urteilen und Vorurteilen. Dennoch müssen sich die Nachgeborenen der Geschichte stellen, um aus ihr zu lernen für Gegenwart und Zukunft.“
Bischof Heiner Wilmer, Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax, sagte, die historischen Fakten zeigten „ein Bild der Verstrickung“. Die katholische Kirche in Deutschland sei Teil der Kriegsgesellschaft gewesen. Die Leiden des eigenen (deutschen) Volkes hätten in der Bewertung im Vordergrund gestanden. „Die Leiden der Anderen kamen nur ungenügend in den Blick“, sagte Wilmer. Der Bischof zitierte einen Kernsatz des vorgestellten Dokuments: „Indem die Bischöfe dem Krieg kein eindeutiges ‚Nein‘ entgegenstellten, sondern die meisten von ihnen den Willen zum Durchhalten stärkten, machten sie sich mitschuldig am Krieg.“
„Hunderte Militärgeistliche“
Mit dem Angriff auf Polen im September 1939, mit dem die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler ihren weltanschaulichen Vernichtungskrieg begannen, wurden „fast zwei Millionen Polinnen und Polen zur Zwangsarbeit in deutsche Betriebe verschleppt – auch in viele Einrichtungen der katholischen Kirche in Deutschland“, heißt es weiter. „Als Divisions-, Lazarett- oder Gefängnispfarrer waren Hunderte Militärgeistliche seelsorglich in den Einsatzgebieten der Wehrmacht tätig. Priester, Seminaristen und Ordensleute waren im Rahmen der Wehrpflicht im Heer als Sanitäter eingebunden. Mehrere Tausend klösterliche und kirchliche Häuser dienten Lazarettzwecken, Zehntausende Ordensfrauen erfüllten vor allem in Krankenhäusern ihre ‚vaterländische Pflicht‘.“
Die Autoren nennen kaum konkrete Zahlen oder die Namen in dieser Sache bedeutsamer Personen, vielmehr bleibt die Veröffentlichung eher allgemein. „Nach dem Sieg über Frankreich 1940 läuteten im Reich die Glocken“, heißt es. An anderer Stelle: „Zwar teilten die Bischöfe nicht die rasseideologische Begründung des Krieges durch die Nationalsozialisten, aber ihre Worte und Bilder bestärkten sowohl Soldaten als auch das kriegsführende Regime, indem sie dem Krieg einen zusätzlichen Sinn verliehen.“ Wo anfangs noch eine „euphemistische Vorstellung vom Krieg“ geherrscht habe, machte sich zusehends ein „Entsetzen über das enorme Leiden und Sterben der Soldaten“ breit.
Auch Widerständler in der Kirche nennt das Dokument kaum, es spricht an einer Stelle von der „bekanntesten“ scharfen Kritik des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen an den Euthanasieverbrechen. Erst am 19. August 1943 habe sich Bischofskonferenz, zu einem gemeinsamen Hirtenbrief („Über die zehn Gebote als Lebensgesetz der Völker“) durchringen können. In dem Dokument habe sie „die Bindung jeder staatlichen Ordnung an Wahrheit und göttliches Recht, den Schutz von Ehe und Familie, die Rückbindung des Gehorsams an das Gewissen, das bedingungslose Recht auf Leben und den Schutz des Eigentums“ öffentlich eingeklagt. „Das änderte aber nichts daran, dass die Soldaten weiterhin zu treuer Pflichterfüllung aufgerufen wurden“, schreiben die Autoren der Studie.
„Botschaft des Evangeliums kennt keine Landesgrenze“
Im letzten Kapitel versuchen die Autoren „Lehren für die Zukunft“ aufzustellen. Es sei beschämend, „dass für die Leiden und die Opfer der Anderen lange Zeit jeder Blick fehlte“. Der Austausch und „die Wege der Versöhnung mit unseren Nachbarn, insbesondere mit Frankreich und Polen“ hätten geholfen, „diese von Vermeidung, Verdrängung und eigenem Schmerz geprägten verengten Sichtweisen hinter uns zu lassen“, heißt es weiter.
Im Hinblick auf die heutige Kirche heißt es: „Die Kirche versteht sich heute berufen und verpflichtet, die in der Gottesebenbildlichkeit gründende Würde aller Menschen, die unveräußerlichen Menschenrechte, die sittlichen Grundsätze über die soziale Ordnung und alles, was dem Heil der Seelen dient, in jedem Staat und von jeder Regierung einzufordern und selbst zur Verwirklichung beizutragen. (…) Wir haben zudem wiederentdeckt, dass die Botschaft des Evangeliums nicht an der eigenen Landesgrenze endet und Solidarität im christlichen Sinn nicht auf das eigene Volk begrenzt ist.“
Von: Jörn Schumacher