Wer gedacht hatte, dass es am historischen Tag der Vertrauensfrage nachdenkliche Worte im Deutschen Bundestag zu hören geben könnte, der wurde am Montagnachmittag eines Besseren belehrt. Quer durch alle Parteien machten die Redner deutlich: Der Wahlkampf ist eröffnet. Und den Anfang machte der Bundeskanzler selbst.
Olaf Scholz begann seine Erklärung zur Vertrauensfrage mit einer Bemerkung, die streng genommen falsch ist. Er wolle Neuwahlen herbeiführen. „Die Vertrauensfrage richte ich deshalb an die Wählerinnen und Wähler. Sie lautet: Trauen wir uns zu, als starkes Land kraftvoll in unsere Zukunft zu investieren?“
Nein, die Vertrauensfrage richtet sich natürlich an niemand anderen als die Abgeordneten des Bundestages. Dass Scholz sie wie geplant verlor (207: Ja; 394: Nein; 116: Enthaltung), geriet dabei fast zur Randnotiz angesichts der markigen Worte, warum die eigene Partei die jeweils einzige Lösung aller großen Probleme sei, die wiederum von den jeweils anderen Parteien maßgeblich verursacht worden seien.
Scholz klagte abermals über die Liberalen und ihre Rolle beim Ampel-Aus („wochenlange Sabotage“) und warf, später sekundiert von seinem Parteigenossen Rolf Mützenich, FDP-Chef Christian Lindner „mangelnde sittliche Reife“ vor. Wirklich souverän ließ das den Bundeskanzler nicht wirken, der offenbar sichergehen will, dass sein Narrativ des Koalitionsende auch das wirklich gültige ist. Ein Hauch von Selbstkritik statt bloßes Fingerzeigen hätte Scholz gutgetan, doch darauf wird man wohl lange warten müssen.
Heftiger Schlagabtausch
Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) keilte seinerseits gegen Scholz und attestierte ihm Unfähigkeit. Er wies zudem darauf hin, dass die SPD in 22 der vergangenen 26 Jahre mitregiert habe, Scholz also nicht unschuldig an der jetzigen Situation in Deutschland sei, die dieser jetzt beklage.
Auch an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ließ er kein gutes Haar, sprach von „selbstinszenierten Selbstzweifeln“ in dessen Kommunikationsstil, der vermittle, alle anderen seien „dann geistig minderbemittelt, die das wagen, das noch zu kritisieren. Nein, Herr Wirtschaftsminister, Sie sind das Gesicht der Wirtschaftskrise!“, wetterte er. Merz hat laut Umfragen gute Chancen aufs Kanzleramt. Ob er als Regierungschef genauso gut wie als Redner ist, muss er allerdings erst noch beweisen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) holte ebenfalls zum Schlag gegen die FDP aus: „Man kann in einer Regierung nicht gegen eine Regierung sein. Man darf, liebe FDP, man darf sie verlassen, wenn man meint, es geht nicht weiter. Das ist dann so. Aber man darf sie nicht von innen zerstören wollen“, sagte er. Sein Ziel war klar: Die Grünen als Anker der Stabilität darzustellen, die ihre Zusammenarbeit anbietet und der größeren Sache dient.
Habeck nannte dabei in Richtung der Unionsfraktion auch gleich ein paar Projekte, die „doch keine parteipolitische Farbe“ hätten und schnell umzusetzen seien – dazu zählte er die Abschaffung des Abtreibungsverbots (Paragraf 218 im Strafgesetzbuch). Warum dieses höchst umstrittene rot-rot-grüne Vorhaben „keine parteipolitische Farbe“ hat, bleibt wohl Habecks Geheimnis.
Die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel nutzte ihre Redezeit wie gewohnt zum Rundumschlag gegen die anderen Parteien, sprach von „NGO-Stasis“ und Politikern, die unbescholtene Bürger „zum Schweigen bringen“ wollten.
Ein Bibelvers zum Ende
Auch Alexander Dobrindt feuerte eine scharfe Rede in Richtung Regierungsbank, endete mit den Worten: „Gehen Sie mit Gott, aber gehen Sie!“
Und dann kam sogar noch ein Bibelwort zum Einsatz. Die Sozialdemokratin Frauke Heiligenstadt sprach darüber, dass die Menschen bei der voraussichtlichen Neuwahl im Februar herausfinden könnten, welche Partei sie für die beste Wahl sei: „Es gibt eine Jahreslosung für 2025, die heißt: ‚Prüft alles und bewahrt das Gute‘, und ich denke, in dem Sinne werden die Wählerinnen und Wähler auch entscheiden im Februar.“