Derzeit geht alles so drunter und drüber in der Weltpolitik, dass so manche Kuriosität kaum mehr auffällt. Mir ging es so, als ich ein TV-Interview mit Marco Rubio sah. Der US-Außenminister verteidigte die Politik seines Chefs im Weißen Haus – und trug dabei ein deutlich sichtbares Aschekreuz auf der Stirn.
Rubio, von Donald Trump einst „Little Marco“ genannt und beleidigt, ist als Katholik aufgewachsen, war später Anhänger der Heiligen der Letzten Tage („Mormonen“), dann Baptist und später wieder Katholik. Seinen Glauben will er mit dem Aschekreuz, das katholische Priester den Gläubigen an Aschermittwoch aufmalen, also auch in der Öffentlichkeit bezeugen. So könnte man es zumindest positiv deuten.
Ich freue mich eigentlich, wenn Menschen auf breiter Bühne zu ihrem Glauben stehen. Hier wurde es mir aber mulmig. Das Kreuz wirkte kaum wie ein Bekenntnis zu Demut und Vergebung, sondern wie das, wozu es leider seit Jahrhunderten in der Kirchengeschichte missbraucht wurde: ein Machtsymbol.
Demütigung vor laufender Kamera
Denn das, was der kreuztragende Rubio da so überzeugt verteidigte, war nichts anderes als ein Angriff des Weißen Hauses auf die weltweite Sicherheitsordnung.
Präsident Trump und sein Vize J.D. Vance hatten den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor laufenden Kameras gedemütigt, ihm fehlende Dankbarkeit vorgeworfen (obwohl der sich zigmal bei den Amerikanern bedankt hatte). Und zwar weil Selenskyj es gewagt hatte, die beiden Herren darauf hinzuweisen, dass Putin bisher jeden Vertrag mit den Ukrainern gebrochen hatte, und weil er sie fragte, wie sie denn gedenken, einen künftigen Waffenstillstand abzusichern. „Sicherheitsgarantien“ nennt man das auch.
Dass der folgende Wutausbruch spontan war, ist unwahrscheinlich. Vance hätte nie dermaßen mit den diplomatischen Gepflogenheiten gebrochen, einen Gast, der sein überfallenes Land verteidigen will, vor der Weltbühne bloßzustellen, wenn er sich nicht der Rückendeckung seines Chefs gewiss gewesen wäre. Ein geplantes Drama wie in einer 2000er Talkshow.
Fiskalische Zeitenwende in Europa
Es folgte ein unerträgliches Schauspiel von acht Minuten Länge. Dabei ist egal, was in den 40 Minuten zuvor gesagt wurde: Trump und Vance warfen Selenskyj vor, er riskiere den dritten Weltkrieg, er wolle gar keinen Frieden, er sei undankbar und zudem respektlos. Eine beispiellose Entgleisung, die selbst Trump-Kenner erschrocken verfolgten. Kein Wunder, dass der Außenpolitikexperte Rubio, der neben Vance Platz genommen hatte, minütlich tiefer ins Sofa rutschte.
Trump und Vance haben die Welt mit der Einstellung der Hilfen für die Ukraine sehr viel unsicherer gemacht. Sicherheitsgarantien, die die USA den Ukrainern einst zugesichert haben, sind offenbar nichts mehr wert. Das gilt auch für die NATO: Auf den Paukenschlag im Weißen Haus folgte eine fiskalische Zeitenwende in Europa. Neue Schulden in Höhe von 400 Milliarden Euro will CDU-Chef Friedrich Merz und sein designierter Koalitionspartner SPD in die Verteidigung stecken. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) will gar 800 Milliarden für einen europäischen Wehretat in die Hand nehmen. Weil auf die USA, die unsere Sicherheit über Jahrzehnte garantiert haben, kein Verlass mehr ist.
Und warum? Weil der ukrainische Präsident nicht bereit für einen russischen Diktat-„Frieden“ ist, an dem sich die USA unter Trump in Form eines Mineralien-Deals bereichern wollen, und der den Kreml für seinen Imperialismus belohnen würde. Weil Trump und sein Team permanent infrage stellen, ob sie einem angegriffenen Partner zu Hilfe kommen würden, wenn zu wenig für sie dabei herausspringt. Wodurch auch wir als Europäer bedroht sind.
Statt Demut, Entschuldigungen und noch mehr Dankbarkeit von Opfern russischer Großmachtambitionen zu fordern, sollten gerade Christen in den USA aufstehen gegen die Bigotterie, für die die zweite Trump-Administration in vielen Feldern steht. Unabhängig davon, dass man ihr in Teilen natürlich zustimmen darf.
Wenn der Priester in der Messe das Aschekreuz aufmalt, spricht er dabei zum Gläubigen einen von zwei Versen, es sind Aufrufe zur Umkehr und Demut. Der erste: „Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst“ (Gen 3,19). Der zweite: „Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15).
Marco Rubio hat hoffentlich genau zugehört.
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