Über 20 Jahre lang moderierte O’Reilly die Sendung „The O’Reilly Factor“ auf dem konservativ ausgerichteten Fernsehsender Fox News. Er wurde damit zu einer Instanz in der amerikanischen Medienlandschaft, eine wichtige scharfzüngige, hoch intelligente Stimme der Konservativen, die sogar von den liberalen Medienschaffenden ernst genommen und in ihre Sendungen eingeladen wurde.
Doch dann kam der Fall. Im April kam heraus, dass eine Reihe von Klagen wegen sexueller Belästigungen gegen ihn eingereicht wurden, und Fox News eine interne Untersuchung eingeleitet hatte. Mindestens fünf Frauen hatten von Belästigungen durch den angesehenen Talkmaster berichtet. Er soll Frauen vor allem verbal belästigt haben, dabei meistens am Telefon. Es gab außergerichtliche Einigungen, wobei Gelder in Höhe von 13 Millionen Dollar an die Frauen geflossen sein sollen. Nachdem dies bekannt wurde, sprangen über 50 Werbepartner ab, und der Sender Fox, der besonders christliche Werte wie den der (klassischen) Familie hochhält, konnte sein ehemaliges Zugpferd O’Reilly nicht mehr halten. Vor wenigen Tagen kam zudem heraus, dass O’Reilly noch einer anderen Frau, die er belästigt hatte, sogar ganze 32 Millionen Dollar gezahlt hatte, um sie von einer Klage abzuhalten.
Am Montag sagte O’Reilly in einem Videobeitrag auf seiner eigenen Webseite etwas, das viele Amerikaner verstörte. „Bin ich wütend auf Gott? Ja, ich bin wütend auf ihn. Ich wünschte, ich hätte mehr Schutz bekommen. Ich wünschte, das wäre alles nicht passiert. Ich kann es euch nicht erklären. Ja, ich bin wütend auf ihn.“ Es ist schon seltsam mit anzusehen, wie jemand, der über seine eigenen Fehler gestürzt ist, der Mitarbeiterinnen sexuell belästigte, anschließend Gott ins Spiel bringt, ja, ihn sogar angreift, weil dieser ihn nicht beschützt habe. Es ist eine Sache, wie und ob O’Reilly seine Fehltritte mit Gott löst. Aber es ist eine andere Sache, öffentlich als gefallener Talkshow-Moderator Gott mit verantwortlich für etwas zu machen, was man selbst verbockt hat. Diesen Eindruck jedenfalls erweckte der Moderator.
Der bekannte Comedian Stephen Colbert griff die religiöse Äußerung O’Reillys, der übrigens mehrmals Gast in Colberts Sendung war, sofort auf und ließ Gott höchstpersönlich in seiner Sendung darauf antworten. Eine animierte Illustration Gottes an der Decke des Studios erscheint, und Gott sagt: „Haltet mich da raus! Ich will mit dem Bill-O’Reilly-Kram nichts zu tun haben!“ Aber irgendwie sei er ja tatsächlich auch ein bisschen mitschuldig, denn er habe O’Reilly ja immerhin einen freien Willen gegeben.
Von Bill Cosby zu Harvey Weinstein
Der Fall O’Reillys reiht sich ein in eine Serie von Erschütterungen in der amerikanischen Medienlandschaft. Dass ausgerechnet Bill Cosby viele Frauen betäubt und sie dann missbraucht haben soll, war für viele Amerikaner ein Schock. Denn gerade der beliebte schwarze Schauspieler galt als moralische Instanz. Und noch immer ist das Beben zu spüren, das der Skandal um die sexuellen Einschüchterungen eines der wichtigsten Film-Produzenten in Hollywood, Harvey Weinstein, vor drei Wochen auslöste. In Amerika, aber auch anderswo auf der Welt, hat der Fall dazu geführt, dass immer mehr Frauen von ihren Erfahrungen mit Belästigung, vor allem durch Vorgesetzte und Männer mit viel Macht und Einfluss, berichten.
Bill O’Reilly legte immer viel Wert auf eine faire Auseinandersetzung mit seinem Gegner. Er hielt christliche Werte hoch. Vor drei Jahren veröffentlichte der Moderator sogar ein Buch über Jesus: In „Killing Jesus“ legte er den Focus auf die Verfolgung und Tötung des Messias. Es ist wohl diese Attitüde, eher Opfer als Täter zu sein, von Gott und den Menschen zu Unrecht im Stich gelassen zu sein wie der Messias am Kreuz, die O’Reillys Reaktion auf den Skandal für viele so schwer erträglich macht. Mit keinem Wort hat er sich bisher bei seinen Opfern entschuldigt. Es ist keine Reue zu erkennen. Wenn es Bill O’Reilly wirklich wichtig wäre, was Gott denkt, wäre ein guter Tipp, damit anzufangen, die Schuld bei sich selbst zu suchen und nicht bei den Opfern oder gar bei Gott.
Der amerikanische Journalist Stu Bykofsky kommentierte: „Während sich Weinstein, Ailes [früherer Chef von Fox News], O’Reilly und Bill Cosby durch die Öffentlichkeit schwindeln, erfahren wir offenbar einen fundamentalen Wandel in dem, was amerikanische Frauen – und Männer – tolerieren. Die guten alten Tage der guten alten Männer sind vorbei.“
Von: js