Das Magazin Der Spiegel befasst sich in seiner aktuellen Ausgabe kurz vor Ostern in seinem Titelthema mit der Vergebung. „Die Kunst des Verzeihens. Wie man vergibt. Warum es guttut. Und wann es falsch ist“, lautet der Titel. Die Autoren beschäftigen sich mit der Frage, wann und wie man anderen und sich selbst vergeben kann und beleuchten die Frage, ob das Verzeihen auch die heutige polarisierte Gesellschaft wieder mehr zusammenführt.
Ostern sei eine gute Zeit, um über das Verzeihen nachzudenken, schreiben die Autoren. „Denn an Ostern verzeiht Gott den Menschen ihre Sünden. Für die Vergebung ihrer Sünden ließ er seinen Sohn sterben – das ist der Grundgedanke.“
Verzeihen und Vergebung könne mit Qualen verbunden sein, das zeige die biblische Ostergeschichte. Doch es lohne sich, da es nach einem vermeintlichen Ende weitergehe und am Ende die Hoffnung stünde. Die Ostergeschichte zeige zudem: „Es gibt kein Leben ohne Schuld, sodass es richtig sein kann, anderen Menschen ihre Schuld nachzusehen – und möglicherweise sich selbst die eigene Schuld.“
Verschiedene Wissenschaftler und Experten kommen im Text zu Wort, außerdem verschiedene Studien, die sich mit dem Thema Vergebung auseinandergesetzt haben. Die Soziologin Sonja Fücker vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Hannover, erklärt zum Beispiel, wie Vergebung im Zwischenmenschlichen funktionieren kann. „Verzeihen funktioniert nur, wenn beide mitmachen, man kann niemandem Vergebung anbieten, der das nicht will“, sagt sie.
Wer verzeihen kann, lebt gesünder
Psychiaterin und Psychologin Angela Merkl-Maßmann, Professorin an der Medical School Berlin, kommt zu Wort, die den Vorgang des Verzeihens im menschlichen Gehirn erforscht. Ihre Forschungen ergaben unter anderem: „Eine große emotionale Nähe scheint die Bereitschaft, unfaire Situationen zu akzeptieren – gewissermaßen also zu verzeihen –, zu vergrößern.“
Der Spiegel-Artikel zitiert auch verschiedene Studien zum Thema. Zum Beispiel eine aus dem Jahr 2019, die zeigt, dass, wer verzeiht, emotionalen Stress abbaut und gesünder lebt.
Der Zürcher Psychologe Mathias Allemand erklärt, warum die Bereitschaft zu verzeihen mit dem Alter zunimmt. „Die Lebenserfahrung hilft im Umgang mit Kränkungen. Und auch das Bedürfnis nach innerem Frieden, das zum Ende des Lebens bei vielen Menschen zunimmt.“
Vergebung ist nicht immer möglich
Die Autoren beschäftigen sich aber auch mit der Frage, wann Vergeben besonders schwer und wann auch unangebracht ist. Es sei nicht in jedem Fall gut und richtig zu verzeihen, sagt Allemand: „Wenn man von der gleichen Person immer wieder gekränkt wird und immer wieder verzeiht, setzt man sich einer dauerhaften seelischen Verletzung aus.“ Da sei es manchmal besser, diesen Menschen zu meiden: „Ich kann nur davor warnen, sich zum Verzeihen zu zwingen. Solch ein Pseudoverzeihen führt in der Regel nicht dazu, dass sich negative Gefühle verändern.“
Auch wenn es um Missbrauch, Vergewaltigung und schwere seelische Verletzungen gehe, seien die üblichen Mechanismen des Verzeihens nicht angebracht. In solchen Situationen gehe es zunächst darum, dafür zu sorgen, dass die psychische und körperliche Belastung bei den Leidtragenden reduziert werde, bis diese wieder einigermaßen Kontrolle über ihr Leben gewinnen. Erst dann werde das Verzeihen zu einer Möglichkeit, die aber nicht ergriffen werden müsse.
Die Autoren beleuchten das Thema Vergebung auch historisch. In der Antike habe das zum Beispiel noch keine große Rolle gespielt. Das zeigten Dichtungen wie die Ilias und die Odyssee von Homer. Da sei eher die Rede von Rache und Zorn.
Im Zuge des historischen Exkurses zählen die Autoren auch die Evangelien und die Geschichte von Jesus auf. Zwar nennen sie Jesus einen „Wanderprediger“, dass Vergebung das zentrale Thema der Evangelien ist und der Tod am Kreuz da zentrale Element, wird aber trotzdem deutlich.
Auch das Geschäft mit der Vergebung, wie dem Ablasshandel in der katholischen Kirche, wird erklärt. Die Verfolgung von Juden im Nationalsozialismus und die Beendigung der Apartheid werden ebenso im historischen Überblick erklärt.
Schließlich geht es noch das Sich-selbst-Verzeihen und um Jens Spahn und seine Äußerung „Wir werden einander viel verzeihen müssen“, und sein gleichnamiges Buch. „Dieser Satz beinhaltet das Eingeständnis, dass man selbst Fehler macht, dass man aber auch Fehler bei anderen akzeptiert. Und zugleich, dass es eine Zukunft gibt, in der das Vorgefallene neu eingeschätzt wird“, schließen die Autoren.