„Den ersten Platz nach der Theologie gebe ich der Musik!“
Einer der kostbarsten Schätze auf meinem Regalbrett der Luther-Literatur ist der kunstvoll gestaltete Bildband „Dr. Martin Luther der deutsche Reformator, in bildlichen Darstellungen von Gustav König“ von 1900, ein Erbstück von meinem Vater. Als Kind habe ich mir die Gemälde über die Stationen des Lebens Luthers immer wieder angeschaut und eingeprägt.
Ich staune bis heute, wie diese Bilder mein Luther-Bild geprägt haben. Luther mal kantig, derb, radikal, unangepasst, ungestüm und ungeduldig. Einer, der vom Blitz flach gelegt wurde und der heiligen Anna Leib und Leben versprach, einer der im heiligem Zorn ein Poster an die Kirchentür tackerte. Und im Kontrast dazu Martin Luther als der milde, liebevolle, geduldige, besorgte Vater und Ehemann, Freund und Bruder.
Die zartesten Luther-Bilder sind die, die ihn mit einem Musikinstrument zeigen. So schrieb er 1530 in einem Brief von der Veste Coburg, „könnte keine Kunst der Musik gleichkommen, weil allein sie neben der Theologie das gewährt, was an anderer Stelle nur die Theologie schafft, nämlich Ruhe und Freude der Seele“.
In einer Skizze unter dem Titel „Über die Musik“ finden wir dieses Bekenntnis:
Ich liebe die Musik, denn sie ist
- ein Geschenk Gottes, nicht der Menschen
- sie macht fröhliche Herzen
- sie verjagt den Teufel
- sie bereitet unschuldige Freude. Darüber vergehen Zorn, Begierden und Hochmut.
Ich glaube, dass das kantige Temperament Luthers durch die Beschäftigung mit der Musik gerade zu besänftigt wurde. Wir kennen ihn als Texter, Sänger und Instrumentalisten. Bereits in seiner Schulzeit sang er in der Kurrende, im Studium in Erfurt gehörte Musik zum Lehrplan. Wir wissen, dass Luther Querflöte und besonders das Saiteninstrument Laute spielen konnte. Er verstand sich sogar auf die Kunst des „Absetzens“, also Partituren anderer Instrumente für die Laute zu bearbeiten. Vielleicht hat die Liebe zur Musik für Luther eine stimulierende therapeutische Wirkung gehabt, denn es wird berichtet, dass er auf dem Weg nach Worms Musik gespielt habe.
Luther als produktiver Liedtexter
Im Hause Luthers nahm die Musik einen großen Raum ein. Nach der privaten Aufführung einer abendlichen Motette kommentierte Luther derb: „Wenn unser Herrgott in diesem Leben in das Scheißhaus solche edle Gaben gegeben hat, was wird in jenem ewigen Leben geschehen, wo alles perfekt und ergötzlich ist?“
So wurde Luther der Begründer des neuen deutschen evangelischen Kirchenliedes. 1523 begann er mit der neuen evangelischen Gottesdienstordnung. Er teilte Georg Spalatin mit: „Ich habe den Plan, muttersprachliche Psalmen für das Volk zu schaffen, d.h. geistliche Lieder, damit das Wort Gottes auch durch Gesang bei den Leuten bleibt.“ Dabei ging es Luther vor allen Dingen um eine zeitgemäße Sprache: …, um das Volk möglichst einfache und gebräuchliche, freilich reine und passende Worte singen.“ Dieser völlig neue Ansatz fand sogar seinen Weg in den reformiert-calvinistischen Kulturkreis. Als dann 1524 und 1529 das erste Wittenberger Gemeinde Gesangsbuch erschien, „war das eine Neuheit von ungeheurer Wirkmacht!“ (Heinz Schilling, Martin Luther, Rebell in einer Zeit des Umbruchs, Seite 519).
Luther erwies sich als Texter von ausgesprochener Produktivität: Von 34 Lutherliedern waren 24 innerhalb des Jahres 1524 entstanden. Das Kirchenvolk hat diese Lieder mit Begeisterung aufgenommen. Einige seiner Lieder erlangten den Status eines Volksliedes, wie zum Beispiel „Vom Himmel hoch“.
Ich wünsche uns mehr Musik ins Leben. Geistliche Musik taucht unser gehetztes und aufgebrachtes Leben in Gnade und Barmherzigkeit. Für den Reformationstag empfehle ich die Bach-Kantate BWV 79, „Gott, der Herr, ist Sonn und Schild“. Da steckt vitale Heilungskraft drin.