Fundamentalismus entstehe, wenn eine Religion aus ihrer Kultur herausgelöst werde. Religion und Gesellschaft könnten sich dann nicht mehr gegenseitig formen und korrigieren, sagte Roy im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Der Orientalist erforscht am European University Institute im italienischen Fiesole die Ursprünge des Fundamentalismus. Er selbst ist Protestant. In seinem Buch „Heilige Einfalt“ erklärt er seine Idee, dass Kultur und Religion sich gegenseitig beeinflussen müssten, um gut zu funktionieren. Nur so bekomme die Gesellschaft eine Werte-Basis und die Religion passe sich den Anforderungen des Lebens an.
Genau das sei beim islamischen – und auch beim christlichen – Fundamentalismus aber nicht gegeben. Osama bin Laden habe den Prozess in Gang gesetzt, dem Islam die Kultur zu entziehen. An Theologie sei bin Laden nicht interessiert gewesen. Er habe den Islam als globale Ideologie attraktiv gemacht. Dschihadismus und Islam müssten deshalb getrennt voneinander betrachtet werden. Es helfe deshalb auch nicht, an den moderaten Islam zu appellieren, um den Islamischen Staat (IS) in den Griff zu bekommen. „Wir glauben in Europa: Erst muss man Salafist werden, und dann wird man nach ein paar Jahren religiöser Radikalisierung Dschihadist. So funktioniert das nicht“, sagt Roy. Als Beleg dafür nennt er das Beispiel der Konvertiten, die sich für den Dschihad rekrutieren lassen. Dschihadistische Organisationen hätten den höchsten Zulauf von Konvertiten – mehr als jede andere muslimische Organisation.