Am 18. Juli jährt sich der Todestag des „ersten evangelischen Märtyrers“, wie ihn Dietrich Bonhoeffer nannte, zum 75. Mal. Die Rede ist von Pfarrer Paul Schneider.
Eines der wenigen Bilder, auf denen Paul Schneider mit Hakenkreuzfahne zu sehen ist. Er merkte bald, dass diese Ideologie nicht mit der Bibel vereinbar ist
Bibelverse hallen über das Außengelände des Konzentrationslagers Buchenwald, als sich die Häftlinge zum Morgenappell versammeln. „So spricht der Herr. Ich bin die Auferstehung und das Leben“, bekennt der „Prediger von Buchenwald“, Paul Schneider, lautstark im Konzentrationslager. Mit Schlägen versuchen die Nazi-Schergen den Rufenden einzuschüchtern.
Nicht zum ersten Mal verweigerte Paul Schneider damals das, was geboten schien: Schon beim Fahnenappell zu Hitlers Geburtstag verweigert er den Hitlergruß. An Ostern 1939 rief er den Häftlingen aus seiner Zelle die Osterbotschaft zu. Wichtig war ihm, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.
Theologie in der Eisenhütte
Als sich der 1897 geborene Paul Schneider mit 18 Jahren nach dem Notabitur als Freiwilliger zum Kriegsdienst meldet, will er eigentlich Arzt werden. Doch drei Jahre später beginnt er, in Gießen Evangelische Theologie zu studieren, und tritt damit in die Fußstapfen seines Vaters. Das Studium der liberalen Theologie in Gießen und Marburg bringt ihn in große innere Konflikte.
Der Wechsel in das konservativere Tübingen verändert nicht nur seine Theologie, er lernt auch seine spätere Ehefrau Margarete kennen. Nach dem Ersten Theologischen Examen sammelt er Erfahrungen in einer Dortmunder Eisenhütte, in der er gerne „Arbeiter unter Arbeitern“ sein möchte, wie seine Frau später in seiner Biografie schreibt. Nach dem Zweiten Theologischen Examen arbeitet er in der Stadtmission Berlin, .
Ende Januar 1925 wird Paul Schneider in der Gemeinde seines Vaters im mittelhessischen Hochelheim ordiniert. Er tritt in dessen Fußstapfen, als dieser 1926 an den Folgen eines Schlaganfalls stirbt. Als Pfarrer erweist sich Schneider immer dann als kompromisslos, wenn die Wahrheit des Evangeliums öffentlich angegriffen wird. Bei dem, was Deutschland politisch erwartet, sollte ihm dies noch einige Schwierigkeiten bereiten.
Der Theologe merkt früh, dass die Ziele der Nationalsozialisten nicht mit den Aussagen der Bibel übereinstimmen. Als im März 1933 der neue Reichstag zusammentritt, weigert sich Schneider, gegen den Willen seines Kirchenvorstandes, die Glocken zu läuten – kann sich damit aber nicht durchsetzen. Schneider schließt sich früh der Bekennenden Kirche an, die den Einfluss der Nazis auf die Kirche zurückdrängen wollte. Er kritisiert, dass sich anstelle des Glaubens an das „ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus der Glaube an das ewige Deutschland“ setze.
Konflikte mit dem Presbyterium gibt es auch wegen der Zulassung zum Abendmahl. Schneider stört es, dass Menschen zum Abendmahl gehen, obwohl „Buße, Sündenerkenntnis und die Bereitschaft, sich von Christus zu beschenken lassen“, nicht vorhanden seien. Schneiders Frau Margarete hält dies schriftlich in dem Buch „Der Prediger von Buchenwald“ fest. Diese „billige und folgenlose Gnade“, wenn die Menschen ihre Sünden nicht bereuen, will er nicht akzeptieren. „Dieser Mensch gehört in ein Konzentrationslager und nicht auf die Kanzel“, schreibt die NSDAP-Kreisleitung über den rebellierenden Pfarrer. Der öffentliche Druck auf Schneider wächst. Im Januar 1934 predigt er das letzte Mal in Mittelhessen.
Er wird in den Hunsrück versetzt, bleibt aber gegenüber dem NS-Regime geradlinig. Bei der Beerdigung eines Hitlerjungen wünscht der NS-Kreisleiter, dass der Verstorbene in den „himmlischen Sturm Horst Wessel“ eingehen werde. Schneider widerspricht: Er hoffe, dass Gott „den Jungen segnen und ihn in sein Reich aufnehmen“ möge. Sein Auftrag sei es, das Wort Gottes unverfälscht zu verkünden. Die Gemeinde geht schweigend auseinander. Schneider wird am Tag darauf erstmals in Schutzhaft genommen. Weil er auch die Schreiben der Bekennenden Kirche – etwa gegen die „rassisch-völkische Weltanschauung“ – von der Kanzel verliest, muss er später drei weitere Tage in Haft.
Eine Wahl ohne Auswahl
An den Reichstagswahlen 1936, bei denen das Volk keine Wahl hat und nur mit Ja stimmen darf, nehmen die Schneiders nicht teil. Anonyme beschmieren daraufhin das Pfarrhaus. Als zwei Männer ihre Kinder aus dem Konfirmandenunterricht abmelden wollen, um sie von einem deutsch-christlichen Pfarrer konfirmieren zu lassen, stellt sich das Presbyterium hinter Schneider. Dieser lehnt den Wunsch als nicht vertretbar ab, da es sich nicht um eine „kirchentreue“ Gemeinde handele. Die Gemeindeleitung möchte den Familienvätern alle kirchlichen Rechte entziehen. Nach der zweiten Ankündigung in der Gemeinde merkt Schneider aber, dass die Gemeinde noch nicht soweit ist. Zur dritten ANkündigung im Gottesdienst, die den Beschluss rechtskräftig gemacht hätte, kommt es nicht mehr.
„Die deutsche Jugend gehört weder Adolf Hitler noch Baldur von Schirach, sondern einzig und allein Jesus Christus“, bekennt Schneider. Sein Verhalten bringt für die Nazis das Fass zum Überlaufen. Im Mai 1937 wird Schneider erneut verhaftet, weil er den ganzen Hunsrück gegen die Gestapo aufwiegele. Dieses Mal kommt er in Schutzhaft nach Koblenz. Nach der Freilassung verbietet der Staat ihm, in die Rheinprovinz, zu der seine Gemeinde gehört, zurückzukehren. Schneider beeindruckt dies nicht. Er macht sich auf den Weg nach Dickenschied zu seiner Frau und den sechs Kindern. Der Staat habe nicht das Recht, in die Kirche hineinzuregieren, begründet er in einem ausführlichen Brief.
Auf dem Weg zum Erntedank-Gottesdienst in Womrath wird Schneider wieder verhaftet. Nach wenigen Wochen im Gestapo-Gefängnis Koblenz kommt er in das neu errichtete KZ Buchenwald. Dorthin darf der Theologe noch nicht einmal seine Bibel mitnehmen. Die tägliche Arbeit im Straßenbau verkraftet er gut. Er unterstützt sogar die anderen Häftlinge bei ihrer Arbeit. Für seine morgendlichen Andachten muss er Schläge und Misshandlungen durch die Scharführer einstecken. „Er gab uns, den Ärmsten der Armen, wieder Hoffnung“, sollte ein anderer Häftling später schreiben.
Folter und schwerste Misshandlungen hinterlassen bei Schneider körperliche und seelische Spuren. Trotzdem wird er nicht müde, das Evangelium aus seiner Einzelzelle heraus zu verkünden. Am Ostersonntag soll er sich trotz größter Schmerzen an den Gitterstäben seiner Zelle hochgezogen und tausenden Häftlingen auf dem Appellplatz zugerufen haben: „Kameraden, hört mich. Hier spricht Pfarrer Paul Schneider. Hier wird gefoltert und gemordet. So spricht der Herr: ‚Ich bin die Auferstehung und das Leben!‘“ Weiter kommt er nicht.
Obwohl er am Ende nur noch ein Wrack ist, sind die Briefe an seine Frau, die immer seltener werden, ein Zeugnis seines Gottvertrauens. „Lieber alle Kreaturen preisgeben, denn im Geringsten wider Gottes Willen tun: Wer Gott fürchtet, der hat eine sichere Zuflucht, und seine Kinder werden auch beschirmt“, schreibt er kurz vor seinem Tod. Auch für die Zukunft wolle er der „gnädigen und wunderbaren Durchhilfe unseres Gottes“ vertrauen.
Das Presbyterium seiner Heimatgemeinde bemüht sich derweil um Schneiders Freilassung und viele beten für ihn. Mit der Hilfe kirchlicher Institutionen kann Schneider nicht rechnen. Er hätte das Konzentrationslager verlassen können, wenn er sich dem Ausweisungsbefehl aus der Rheinprovinz gebeugt hätte. Er tut es nicht, weil er Gott mehr gehorchen will als den Menschen. Die Kirchenleitung will eine Versetzung Schneiders in den Wartestand herbeiführen und begründet dies mit seinem „staatsfeindlichen Verhalten“ und dem „Fehlen einer positiven und vorbehaltlosen Bejahung des heutigen Staates“.
Dazu kommt es nicht mehr: Der zuständige Lagerarzt tötet Paul Schneider am 18. Juli 1939 mit einer Überdosis Strophanthin, nur wenige Wochen vor dem Angriff der Nationalsozialisten auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Seine Beerdigung in Dickenschied wird zu einer unvergesslichen Stunde der Gemeinschaft der Bekennenden Kirche. Pfarrer Johannes Schlingensiepen würdigt Schneider am Grab als Theologen, der der SS gegenüber unerschrocken den christlichen Glauben verteidigte. „Er lebte von der Gnade dessen, den er verkündigte.“ Schneider selbst hatte in Briefen an seine Frau immer wieder geschrieben: „Zugleich wollen wir uns auch das eine sagen lassen: Gott macht keine Fehler.“
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