„De Heer is mien Heerder, mi fehlt dat nargens an.“ Wem der Psalm 23 geläufig ist, der versteht vielleicht auch ein wenig die plattdeutsche Version davon (Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln). „Up en gröön Meedland weidt he mi un föhrt mi na frisk Water.“ (Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.) „Wer den Luther-Text kennt, müsste das Plattdeutsche eigentlich nachverfolgen können“, sagt Jann Schmidt. Der ehemalige Kirchenpräsident der evangelisch-reformierten Kirche in Leer hat die Psalmen ins ostfriesische Plattdeutsch übersetzt.
Auch Psalm 24 erkennt der Leser recht schnell, weil aus ihm das bekannte Adventslied „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ entstanden ist: „Maakt de Poorten open, riet de Schötels van de Dören hier un overall up d’ Eer! Dann kann de König mit all sien Herelkheid intrecken.“
Das Plattdeutsche erlebe im hohen Norden derzeit geradezu einen „Hype“, sagt Schmidt gegenüber PRO. „Heute sprechen nicht mehr so viele Menschen Platt, aber es wird derzeit wieder neu entdeckt.“ In Kindergärten und Schulen werde es wieder mit den Kindern gesprochen. „Selbst in den Betrieben und in den Ämtern gibt es plattdeutsche Tage.“ Immer mehr Kinder in Ostfriesland wachsen zweisprachig auf, das eine Elternteil spricht Hochdeutsch, das andere Plattdeutsch. „Plattdeutsch lebt“, fasst Schmidt zusammen.
„Kolk“, „Deepte“ oder „Dümpel“ – alles ein „Teich“
Es gab bereits 1980 eine Fassung mit 60 Psalmen in diesem Dialekt, aber das Platt von damals verstehe heute schon nicht mehr jeder, sagt der Theologe. Die Kirchenleitung bat Schmidt nach dessen Pensionierung, die Werke neu zu überarbeiten. In einer Arbeitsgruppe, in der auch Vertreter des Kommunalverbandes „Ostfriesische Landschaft“ und der Kirchen sitzen, entstand die Idee. Vor einem Jahr hat er bereits das Neue Testament auf Plattdeutsch übersetzt. Vor Kurzem erschienen erstmals alle Psalmen.
Ihm zur Hilfe stand ein Arbeitskreis von Plattdeutsch-Experten, darunter Pastorinnen und Pastoren aus der Region. Manchmal sei es gar nicht so leicht, das richtige Wort zu finden, denn Plattdeutsch unterscheide sich von Region zu Region, so Schmidt. „In Leer spricht man anders als in Aurich oder im Rheiderland.“ Ein Beispiel: Ein Teich ist für die einen ein „Kolk“, für den anderen „Deepte“, der Dritte sagt „Dümpel“. In solchen Fällen musste dann das am weitesten verbreitete Wort gewählt werden.
Für Schmidt war wie für viele Menschen in Ostfriesland das Plattdeutsche die erste Sprache, das Hochdeutsche erlernte er erst als Zweitsprache in der Schule. Noch heute spricht er automatisch „op platt“, wenn er weiß, dass sein Gegenüber es versteht. „Auch wenn ich fluche, falle ich sofort ins Plattdeutsche“, lacht der 76-Jährige.
Geboren wurde Schmidt im ostfriesischen Weener. Nach seinem Theologiestudium war er zunächst Vikar auf Borkum, dann Pfarrer in Ostfriesland und einige Jahre Landesjugendpastor. Danach war er 13 Jahre Pressesprecher der Evangelisch-reformierten Kirche. Von 2004 bis 2013 war er leitender Theologe und höchster Repräsentant der Evangelisch-reformierten Kirche in Leer. Seit zehn Jahren ist er pensioniert.
Bibelverse werden besser verständlich
Plattdeutsch sei eng verwandt mit dem Niederländischen, erklärt Schmidt. Aber auch wenn es eine alte Sprache sei, stehe sie der Sprache Luthers nicht unbedingt näher. Schmidt weiß: „Jede Sprache verändert sich. Die Sprache Luthers hat sich so weit entwickelt, dass wir sie heute nicht mehr komplett verstehen. Genau so ist das mit dem Plattdeutschen. Es unterscheidet sich heute von dem, was man hier vor 80 Jahren gesprochen hat.“
Der Theologe nennt ein Beispiel: Der Satz „Er erquickt meine Seele“ wurde 1980 noch übersetzt mit „He verquickt mien Seel.“ Schmidt sagt: „Das Wort ‚erquicken‘ ist auch im Ostfriesischen nicht mehr geläufig. Darum haben wir daraus gemacht: ‚He gifft mien Seel neei Kracht.‘ Also: Er gibt meiner Seele neue Kraft.“ Eine andere Stelle aus Psalm 23 lautete früher „Ik sall kein Krök lieden.“ Den Satz „Mir wird nichts mangeln“ übersetzte er auf Plattdeutsch aber heute verständlicher mit „Mi fehlt dat nargens an.“
Bei Psalm 90 werde deutlich, dass sich die ostfriesischen Übersetzer näher an den hebräischen Urtext gehalten haben: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen“, hat Schmidt übersetzt mit „Dat wi starven mutten, dat lehr uns, dat wi ennelk klook worden.“ Also: „Dass wir endlich klug werden“, mit Betonung auf „endlich“.
Das plattdeutsche Neue Testament lief bereits sehr erfolgreich, sagt Schmidt. Über 2.000 Exemplare waren schnell verkauft, die Nachfrage sei weiter sehr groß. Und auch die Psalmen seien bereits jetzt sehr gefragt. Vor allem sei das Medieninteresse sehr hoch.
Nach seiner Pensionierung hält Schmidt immer noch regelmäßig Predigten in Gottesdiensten. Und dann natürlich auch gerne auf Platt. Für viele Besucher bringe das Plattdeutsch die Bibel wieder näher, berichtet er. „Dann sagen mir die Leute: ‚So verstehe ich den Bibelvers plötzlich viel besser, weil er in meine Muttersprache übersetzt ist.‘“
Jann Schmidt: „De Psalmen“, Ostfriesland-Verlag, 352 Seiten, 12 Euro, ISBN: 978-3910358157