Glaube und Religion seien in der heutigen Gesellschaft empfindliche Themen. „Wir erleben, dass die Gemüter hochkochen, wenn es um Religion geht“, sagte Markus Heide, Leiter der Zentrale der Hochschul-SMD, bei der Herbstkonferenz der Studentenmission (SMD) in Marburg anlässlich ihres 70-jährigen Bestehens. Ganz aktuell zeigten das die Ereignisse der vergangenen Woche in Halle. Dort verübte ein Rechtsextremist einen antisemitischen Anschlag auf eine Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Zwei Menschen kamen dabei ums Leben, mehrere wurden verletzt.
Der Vortrag des Theologen Michael Herbst zum Thema Religion und Öffentlichkeit sei deshalb aktueller denn je. Herbst, Professor für Praktische Theologie an der Universität Greifswald, sprach darüber, dass Christen und christlicher Glaube immer mehr eine Minderheitenposition einnähmen. In der Gesellschaft entwickele sich eine Gleichgültigkeit gegenüber der Religion. Das zeige unter anderem eine aktuelle Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). „Der Anteil der Christen im Land bewegt sich stetig abwärts. Kirchen schrumpfen, weil sich die Menschen von ihr abwenden. Sie verlieren an Bedeutung“, sagte Herbst. Das zeige sich aber auch an Universitäten, an denen christliche Gruppen wie die der SMD nicht mehr das offizielle Recht als Hochschulgruppen zugestanden bekämen. „Die Entwicklungen sind offensichtlich: Die hartnäckige Überlebensfähigeit des christlichen Glaubens ist nicht Bestandsgarantie für unsere gemütlichen Verhältnisse. “
„Hintern auf die Kirchenbänke!“
Die Wissenschaft nenne diese Entwicklung „Säkulares Driften“. „Seit langem und auch künftig bewegt sich die Gesellschaft in Richtung einer religiösen Gleichgültigkeit, einer mit sich selbst zufriedenen Säkularität. Religion wird nicht bestritten, sie ist gar kein Thema mehr“, zeigte Herbst die kommende Entwicklung auf. Die Kirche werde in Zukunft zu einer Minderheitenkirche. „Es wird nicht einfach sein, zu glauben, wenn nur wenige glauben“, sagte er. Der Theologe zieht aus dieser Entwicklung den Schluss: „Das Evangelium muss zu den Menschen!“ Und er ermutigte die Zuhörer: „Die Wahrheit des christlichen Glaubens wird nicht über Mehrheiten entschieden. Was hätte Paulus sonst machen sollen?“
Christen müssten diese Lage annehmen und diese Spannung aushalten. „Es wird schwieriger sein, Schülerkreis und Hochschulgruppe zu sein“, sagte Herbst. Doch: „Rückzug ist keine Option.“ Es brauche deshalb Orte öffentlicher Verkündigung mit „niedrigen Schwellen“. Herbst konstatierte: „Das Evangelium gehört auf die Dächer, nicht in die Keller.“ Der Theologe warnte davor, sich als Christen abzukapseln und sich nur noch unter seinesgleichen zu bewegen. Stattdessen solle man sich ein Beispiel an der biblischen Figur des Daniel nehmen, der zwar in Babylon lebte und sich unter den Babyloniern integriert hatte, seinen Glauben an Gott aber immer öffentlich bekannt hatte. Herbst zitierte den amerikanischen Theologen und Autoren Chad Bird: „Hintern auf die Kirchenbänke!“ Christen brauchten die Gemeinschaft miteinander, dürften sich aber auch nicht „ins Ghetto“ zurückziehen. „Anders überleben wir nicht“, sagte der Professor für Praktische Theologie.
SMD wird 70
Ein wichtiger Grund, sich nicht von der Gesellschaft zu distanzieren, sei auch der, dass „alle Menschen ein Recht darauf haben, die Botschaft vom Kreuz zu hören“. Herbst sagte: „Wenn man uns dazu Räume öffnet: Fein. Wenn man es nicht tut, gibt es andere Möglichkeiten.“
Die Studentenmission in Deutschland ist ein Netzwerk von Christen in Schule, Hochschule und akademischen Berufen. Zu ihr gehören heute 80 Hochschulgruppen, die etwa 3.000 Studenten regelmäßig erreichen. In diesem Jahr feiert sie 70-jähriges Bestehen. In den vergangenen Jahren erfahren religiöse Hochschulgruppen wie die SMD verstärkt Widerstände. An einigen Universitäten dürfen sie keine Räume mehr nutzen, an anderen keine Flyer verteilen. Damit stellen sich die Hochschulen öffentlich gegen das im Grundgesetz verankerte Menschenrecht der Religionsfreiheit.
Von: Swanhild Zacharias