Philipp Mickenbecker starb öffentlich. Die ganze Welt konnte via Youtube und in den Medien zusehen, wie der junge Mann zuerst in Interviews und eigenen Videos über seine wiedergekehrte Lymphdrüsenkrebserkrankung sprach. Er zeigte Woche für Woche, Monat um Monat, wie die Beule in seiner Brust, der Tumor, wuchs. Mit fortschreitendem Verlauf wurden auch die Videos schwerer zu ertragen. Eine offene Wunde offenbarte das Geschwür, einmal musste er gar zum Arzt, weil der Tumor von Maden befallen war. Schließlich lagen Organe offen, am Ende verblutete Mickenbecker im Krankenhaus. Noch Minuten vor seinem Tod nahm er ein Video auf, das sein Bruder postum veröffentlichte.
Wenn wir so etwas hören, ist unser erster Reflex, zu fragen: Muss denn der Tod so öffentlich sein? Gehört er nicht in den Kreis der Angehörigen? Gebührt dem Sterbenden nicht Ruhe und Frieden? Philipp Mickenbecker hat diese Fragen mit Ja, Nein und Nein beantwortet. Es war sein gutes Recht. Und er hat der Welt damit einen großen Dienst erwiesen.
Im Jahr 2021 ist der Tod aus der Gesellschaft verdrängt. Menschen sterben in Krankenhäusern, und in der Pandemie oft sogar allein. Und wenn nicht letzteres, dann doch nur umringt von den engsten Vertrauten. Das Sterben ist ausgelagert. Es wurde an Experten übermittelt, die Schmerzmittel geben und mehr oder wenig verlässliche Aussagen darüber machen können, wie lange es denn noch dauern wird bis zum Dahinscheiden. Außerdem verlagert sich das Sterben im Lebenslauf immer weiter nach hinten. Männer sterben heute im Schnitt mit 79 Jahren, Frauen mit 84. 1950 lag das durchschnittliche Sterbealter noch bei 65 und 69. Wir sterben also spät und wir sterben isoliert. Die wenigsten jungen Menschen haben wohl Erfahrungen mit dem Tod im Bekannten- und Familienkreis gemacht. Und wenn, dann sind sie meist oberflächlicher Natur. Ein Verwandter kommt ins Krankenhaus. Man besucht ihn noch einmal. Dann erfährt man von dessen Tod, vermutlich per Telefon. Wer von uns weiß schon, wie eine Erkrankung für die Betroffenen verläuft? Wie sie sich am Ende fühlen? Was sie sich noch wünschen?
Was manchen wie eine Erleichterung anmutet, ist in Wahrheit ein Fluch. Denn gestorben wird, ob in unserer unmittelbaren Nähe oder nicht. Doch weil wir keinen Kontakt zu Sterbenden haben, wird der Tod zum unsichtbaren Feind. Das Thema ist angstbesetzt, wir sprechen nicht darüber und wir informieren uns auch ungern dazu. Deshalb sind Debatten wie die über Sterbehilfe in Deutschland von Missverständnissen und Halbwissen geprägt. Wir sprechen ständig über das Sterben, aber wir kennen es nicht. Wir wissen wenig über die Möglichkeiten palliativer Medizin und noch weniger darüber, wie etwa eine Krebserkrankung im Endstadium verlaufen kann. Das Paradigma des selbstbestimmten Sterbens dient dazu, sicherzustellen, dass wir dem unsichtbaren Feind namens Krankheit bereits im Vorfeld ausweichen können. Zumindest gefühlt.
Philipp Mickenbecker hat es seinen Followern ermöglicht, diesem Feind ins Gesicht zu blicken. Das allein ist ein Riesenverdienst. Aber mehr noch: Er hat es tatsächlich geschafft, dem Tod den Schrecken zu nehmen. Das hat ohne Frage mit seinem festen Glauben an Gott zu tun. In jedem Video Mickenbeckers war Zuversicht. Selbst im letzten. Und wenn auch nicht mehr auf ein Weiterleben, dann doch auf eine Ewigkeit im Himmel.
Aber Mickenbecker hat eben auch gezeigt, dass ein Leben mit Krebs nicht weniger lebenswert sein muss. Der „Real Life Guy“, wie er auf Youtube hieß, genoss sein letztes Jahr. Er reiste. Er lernte neue Menschen kennen. Er berichtete von seiner Hoffnung. Er machte weiter Projekte mit seinen Youtube-Kollegen, bis es in den letzten Wochen nicht mehr ging.
Der Ethiker Jean-Pierre Wils hat in seinem neuesten Buch zum Thema Suizid die These aufgestellt, dass Menschen in der heutigen westlichen Gesellschaft vor allen Dingen ihre Biografie perfektionieren wollen. Sie möchten einen guten Job. Eine nette Familie. Spannende Hobbys. Leben in Fülle. Kommen sie irgendwann an den Punkt, an dem sie ihrer Biografie nichts mehr hinzufügen können, wie Wils es nennt, dann erachten sie das Leben auch seltener als wertvoll. Bedeutet: Wer krank wird oder alt, der hat schnell das Gefühl, das Leben lohne sich nicht mehr. Es gebe nichts mehr zu tun.
Mickenbecker hat deutlich gemacht, dass eine Krankheit – auch mit schwerem Verlauf – das Leben nicht weniger lebenswert macht. Im Gegenteil, man hat den Eindruck, dass die letzten Monate des Reisens, des Gottsuchens, des Glaube-Weitergebens, sogar mindestens genauso wertvoll für ihn waren wie alles, was davor geschah.
Mickenbecker ist auf Youtube mit propellerbestückten Badewannen geflogen. Er baute selbst ein U-Boot und ging auf Tauchstation. Er errichtete selbstkonstruierte meterhohe Wasserrutschen an Häuserwänden. Und er betete: „Herr, lass mich Abenteuer erleben“, wie Schauspieler Samuel Koch auf Mickenbeckers Beerdigung berichtete. Und doch hat er es durch Gottvertrauen und sicherlich auch durch den Beistand seiner Freunde geschafft, seine Krankheit als Teil des Lebens anzunehmen. Und damit auch den Tod.
Auf dem zweiten Youtube-Kanal „Life Lion“, den Mickenbecker gemeinsam mit anderen neben dem „Real Life Guys“-Kanal betrieb, sind seit seinem Tod einige Videos erschienen. Sie zeigen seine Beerdigung. Weiße Luftballons steigen auf, als der Sarg in die Erde gelassen wird, die Gäste jubeln. Die Ballons symbolisieren die zum Himmel heraufsteigende Seele. Weitere Videos zeigen, wie seine Freunde im Dunkeln Wunderkerzen entzünden und rufen „Für Philipp!!!“ Sie zeigen, wie dieselben Freunde vor dem Krankenhaus Lobpreislieder singen, als er bereits im Sterben liegt. Sie zeigen Mickenbecker selbst im Krankenhaus, wie er im Angesicht des Todes sagt: „Ich freue mich darauf, euch alle in der Ewigkeit wiederzusehen.“ Ein 23-Jähriger hat dem Tod den Schrecken genommen. Mit Gottes Hilfe.
5 Antworten
Danke an PRO für diesen Artikel. Ich finde, man kann nicht besser in Worte fassen, was das Leben und das Sterben von Philipp Mickenbecker ausgemacht hat. Selbst Leitmedien mit erklärter Distanz zum christlichen Glauben haben respektvoll und anerkennend über den Tod des 23-jährigen berichtet und dabei nicht verschwiegen, welch große Hoffnung er im Glauben hatte. Vielleicht darf das Beispiel von Philipp Mickenbecker gerade solchen Menschen zum Segen werden, die daran gescheitert sind, eine „perfekte“ Biografie zu verwirklichen und die bis dahin nichts mehr von Gott erwartet haben.
Es tut Mir leid, mein Beileid für die Eltern
Das Leben und der Tod von Philipp sind ein Riesensegen. Möge das Samenkorn, das in die Erde fiel und starb, noch viel Frucht bringen.
Er war wie ein Mensch wie nicht von dieser Welt. Er hatte eine Weisheit, eine Hoffnung, eine Energie, einen Antrieb, eine unglaublich tiefe Liebe und ein unbändiges Vertrauen in Gott.
Ein Vorbild für alle Christen und auch allen voran für diejenigen, die es (noch) nicht sind…aber durch ihn vielleicht noch werden…
Gott segne dich Philipp!
Wir haben ähnliches mit einer Person aus der Gemeinde erlebt. Nicht so öffentlich, aber ebenso voller Glauben und Zuversicht und aktivem Leben wurde die Erkrankung bis zum Ende durchgestanden. Ein Riesenzeugnis für die Gottesbeziehung und die Zukunftshoffnung nach dem Sterben. Eine Ermutigung für uns alle.