Contra geben will gelernt sein

Sönke Wortmanns neuer Film „Contra“ erzählt die Geschichte der jungen Jurastudentin Naima, die von ihrem Professor auf einen Debattierwettbewerb vorbereitet werden soll. Für Professor Pohl, der sie zuvor in einer Vorlesung rassistisch beleidigt hat, ist die Aufgabe als Coach seine letzte Chance, um seine Lehrtätigkeit an der Uni zu verteidigen.
Von PRO
Christoph Maria Herbst

Professor Pohl, Meister der Rhetorik und Lehrbeauftragter an der juristischen Fakultät, wird vom Universitätspräsidenten dazu verdonnert, die junge Studentin Naima für einen Debattierwettbewerb fit zu machen. Keine leichte Aufgabe für Pohl, der sich in der Vergangenheit schon oft als eingebildeter Intellektueller mit rassistischen Bemerkungen unter seinen Studenten unbeliebt gemacht hat. Naimas Begeisterung hält sich ebenfalls in Grenzen. Widerwillig lässt sie sich nach anfänglicher Abneigung trotzdem auf die Hilfe des Professors ein, da sie bisher verzweifelt versucht hat, einen Praktikumsplatz in einer Kanzlei zu bekommen. Immer wieder erhält sie Absagen, was sie auf ihre arabische Herkunft zurückführt – oder besser gesagt: auf die Vorurteile gegenüber ihrer arabischen Herkunft. Durch Pohls Hilfe erhofft sie sich, als Bewerberin stärker zu überzeugen. 

Naima ist zunächst unsicher auf der Bühne, da sie auch dort rassistisch beleidigt und gedemütigt wird. Durch Pohls Coaching entpuppt sie sich aber schon bald in den Vorrunden des Debattierwettbewerbs als begabte und intelligente Rednerin, die lernt, ihr Publikum für ihre Standpunkten zu gewinnen. Je weiter sie im Wettbewerb kommt, desto weniger lässt sie sich aus ihrem Konzept bringen. Pohl und Naima scheinen beide Gefallen an der anfänglichen Zweckgemeinschaft zu finden, nehmen Anteil am Leben des Anderen und lernen sich auf einer menschlichen Ebene kennen. 

Als Naima den wahren Grund für Pohls Hilfe erfährt, ist sie enttäuscht und erscheint nicht zum großen Finale des Wettbewerbs. Für Pohl bedeutet dies schlechte Karten im anschließenden Disziplinarverfahren. Da er davon ausgeht, nun seinen Job zu verlieren, verabschiedet er sich von seinen Studenten mit den Worten: „Genießen Sie Ihr privilegiertes Leben und ihre überbezahlten Jobs als Anwälte.“ Naimas Freund Mohammed, der von allen Mo genannt wird, macht Naima klar, dass sie nicht enttäuscht sein muss von Pohl: Er hat ihr viel beigebracht und das sei alles, was zählt. Eigentlich hat sie damit ihr Ziel erreicht. 

Christoph Maria Herbst als Rhetorikgenie

Wider Erwarten platzt Naima am Ende des Films in Pohls Disziplinarverfahren herein und hält eine rhetorisch brillante Rede, in der sie Pohls rassistische Äußerungen zwar verurteilt, aber gleichzeitig als lebendiger Beweis dafür auftritt, dass er ein Meister seines Fachs ist und den Studenten viel Wertvolles beibringen kann. Dass Pohl seinen Job am Ende nicht verliert, hat er Naima zu verdanken. Diesen Dank spricht er auch aus und es kommt zu einer Aussöhnung der beiden.

Christoph Maria Herbst, der sich in fünf Staffeln Stromberg einen Namen gemacht hat, passt perfekt in die Rolle des rhetorischen Meisters, der seine Studenten belächelt, manchmal demütigt und immer wieder ungeniert rassistische Kommentare von sich gibt. Nilam Farooq gibt der Studentin Naima ein Gesicht, die lernen muss, sich in einem Land zu behaupten, das sie nicht immer willkommen heißt. „CONTRA“ ist ein Remake der französischen Komödie „Le brio“ von Yvan Attal und wurde unter anderem in Frankfurt gedreht. Die Dialoge zwischen den beiden sind oft amüsant und zeigen, dass beide Protagonisten schlagfertig sind und sich nicht unterkriegen lassen wollen. In einigen Szenen herrscht aber auch ein derber Ton, wenn sich die beiden auf kameradschaftliche Weise beleidigen und dabei doch ab und zu auch die Grenze des guten Geschmacks überschreiten. Inhaltlich wird die unpassende Art der Beleidigung sogar in einer Szene aufgegriffen, in der sich Pohl von Naima abwendet, die ihn ungewollt mit einer witzig gemeinten Beleidigung an einem sensiblen Punkt erwischt und verletzt.

Die Stärke der Komödie liegt sicherlich in der humorvollen Art und Weise, wie Klischees in Szene gesetzt werden. Mo, der bald einen deutschen Pass bekommt, kann es kaum erwarten, eine „Kartoffelparty“ zu schmeißen und meint: „Ich hab schon richtig Bock auf Socken und Sandalen!“ Worüber sich der eine Zuschauer amüsiert, kann den anderen gleichsam etwas langweilen, da nicht alle Witze wirklich originell sind. Eindeutiger gewinnt Contra durch die Dialoge zwischen dem Rhetorikgenie Pohl und der begabten Naima, in denen letztere viel über die Kunst des Debattierens und Argumentierens lernt. Auch der Zuschauer erfährt dabei den ein oder anderen „Kunstgriff“ der Sprache, von dem Pohl öfters spricht.

Wertschätzung muss für Alle gelten

Gesellschaftskritisch zeigt sich der Film in jenen Szenen, in denen die oft herausfordernde Lebenssituation von Menschen mit Migrationshintergrund dargestellt wird. Auch der alltägliche Rassismus, dem sie oft ausgesetzt sind, wird an vielen Stellen deutlich. Nachdem Naima gelernt hat, sicher aufzutreten und selbstbewusst ihren Standpunkt zu verteidigen, wird sie von einer Anwaltskanzlei um ein Gespräch gebeten, welche zuvor ihre Bewerbungen stets abgelehnt hat. 

Was für Naima den Erfolg ihrer Bemühungen und ihres Coachings durch Professor Pohl belegt, kann man als Zuschauer aber auch als Armutszeugnis einer Gesellschaft verstehen, in der Menschen scheinbar erst dann Anerkennung finden, wenn sie es „zu etwas gebracht“ haben. Fleiß, Engagement und Intelligenz sind wichtig, um sich in eine Gesellschaft zu integrieren. Aber Erfolg sollte nicht der Grund dafür sein, dass Menschen akzeptiert und wertgeschätzt werden. Naima mag es als erfolgreiche Anwältin, die sie später wird, geschafft haben – doch was ist mit ihren Freunden, die deutlich weniger privilegierten Jobs oder vielleicht sogar gar keinen Beschäftigungen nachgehen?

Joseph Joubert, einem französischen Essayisten, werden folgende Worte zugeschrieben, die zu Beginn von Contra auf der Leinwand erscheinen: „Das Ziel eines Konflikts oder einer Auseinandersetzung sollte nicht der Sieg, sondern der Fortschritt sein.“ In diesem Sinne kann die Komödie dazu beitragen, dass Menschen sich die Bedeutung der Debattenkultur wieder vergegenwärtigen und sie schätzen lernen. Die Kunst des guten Argumentierens ist von Bedeutung, wenn über wichtige gesellschaftliche Themen gestritten wird. Gleichzeitig sollte sie nicht zum Maßstab für Anerkennung und Respekt gegenüber Menschen werden – schließlich ist nicht jeder ein Rhetorikkünstler oder Sprachgenie. 

Von: Ellen Fritsche

Contra, 104 Minuten, Regie: Sönke Wortmann, ab 28. Oktober 2021 im Kino

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