Eine gute Führungspersönlichkeit habe die Fähigkeit, anderen Menschen dabei zu helfen, ihre Qualitäten und Talente zu entdecken, so Rice. "Jedes Leben ist wertvoll, und in jedem Menschen steckt das Potential zur Großartigkeit." Gott liebe alle Menschen, schließlich sei Jesus ja für sie gestorben. Das Potential des Einzelnen werde am besten durch Bildung gefördert: "In einer Demokratie ist niemand zu den Lebensumständen verdammt, in die er hineingeboren wurde." Und weiter: "Aber eine stabile Demokratie ist mehr, als nur die Institutionalisierung von Rechten. Es gehört das Verständnis dazu, dass die Starken die Schwachen nicht ausbeuten dürfen. Die Regierung kann dabei nur einen kleinen Teil beitragen. Es sind die Starken, die die Schwachen stärken müssen, und zwar überall auf der Welt."
"Mitgefühl kann nicht durch eine Regierung verordnet werden – es wird von Menschen entwickelt, die das Leben für wertvoll erachten, und darum muss genau dieser Gedanke von den Kirchen kommuniziert werden", sagte Rice vor mehreren Tausend Pastoren und Leitern, die zu der jährlichen Konferenz nach Chicago gereist waren. Die Vorträge der Veranstaltung wurden an zahlreiche Orte in Nordmerika übertragen.
"Die Schlagzeilen von heute sind nicht das Urteil der Geschichte"
Die Politikerin und Pastorentochter, die von 2001 bis 2005 als Nationale Sicherheitsberaterin und danach bis 2009 als Außenministerin dem Kabinett von George W. Bush angehörte, reflektierte offen darüber, woher sie als Christ in schwierigen Zeiten ihre Kraft nimmt. "Die Schagzeilen von heute sind nicht das Urteil der Geschichte", sagte sie mit Blick auf das harte politische Tagesgeschäft. Rice las aus dem 5. Kapitel des Römerbriefes vor, wonach sich Christen auch in Auseinandersetzungen und im Leid geduldig und dankbar zeigen sollten: "Es ist ein Vorrecht, um etwas zu ringen, und wir sollten dankbar sein, wenn wir es tun dürfen", erklärte die 57-Jährige und gab Beispiele aus ihrem eigenen Leben.
"Gute Leiter haben die Welt im Blick, wie sie sein sollte, und nicht, wie sie ist", sagte Rice. Projekte, die vor Beginn unmöglich erschienen, könnten sich im Nachhinein als einfach herausstellen. Und auch, wenn das nicht der Fall sei: "Für uns Christen ist immer klar – auf jeden Freitag folgt ein Sonntag."
"Stille Zeit in den Alltag einplanen"
Im Anschluss an ihren Vortrag beantwortete die Stanford-Professorin Fragen von Willow-Creek-Gründer Bill Hybels, die sich vor allem auf ihre politische Laufbahn bezogen. Mit zahlreichen Mitarbeitern der Regierung Bush sei sie bis heute befreundet, den früheren Präsidenten eingeschlossen. Wenn dieser sie anderen Staatschafs vorgestellt habe, habe er manchmal gesagt: "Sie ist wie eine Schwester für mich." Sie habe mit Bush immer schonungslos ehrlich gesprochen: "Eine gute Freundschaft kann auch schwierige Gespräche aushalten", so Rice. "Wenn du ein Leiter bist, dann brauchst du Menschen um dich herum, die dir ehrlich ihre Meinung sagen." Dies solle aber immer unter vier Augen geschehen.
Ihr persönlich falle es nicht immer leicht, ihre Stille Zeit, "in der der heilige Geist die Kontrolle übernimmt", in ihren Tagesablauf einzuplanen. Sie bete aber täglich und lese in der Bibel, außderdem erlebt die viel gelobte Pianistin Rice Gott in der Musik: "Wie kann man Musik hören, ohne zu glauben, dass Gott uns inspiriert?" Im Gottesdienst sucht Rice in erster Linie Stille – "und eine biblisch fundierte Predigt, die mir hilft, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen". Ihr derzeitiger Pastor ist der durch seine Bücher weltweit bekannte Bibellehrer John Ortberg.
Die in den letzten Jahren immer wieder aufgekommene Frage nach einer Präsidentschaftskadidatur beantwortete Rice eindeutig: "Ich liebe die Politikwissenschaft, nicht die Politik. Ich bin nicht zur Präsidentin berufen. Ich diene der Gesellschaft lieber an anderer Stelle." (pro)