„Computerspiele legen die Aufmerksamkeit in Ketten“

Kinder sollten kein iSpielzeug in die Hände bekommen, sonst landen sie im "elektronischen Fegefeuer". Diese Ansicht vertritt der US-amerikanische Computerwissenschaftler David Gelernter, der in einem Gastbeitrag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für "die wirkliche Welt" plädiert.
Von PRO

Ein Kind, "das an seinem Pad oder Pod oder Laptop oder Handy herumspielt", beschäftige sich mit einem flachen Stückchen Welt, das weder Leben noch Substanz hat. Zu dieser Überzeugung kommt ausgerechnet ein Wissenschaftler, der als "Netz-Vordenker" gilt und der mit seinem Buch "Mirror Worlds" (etwa: "Spiegelwelten") bereits 1991 die wichtigsten Entwicklungen digitaler Kommunikation aus den vergangenen zwei Jahrzehnten vorweg nimmt. Schon damals entwarf er eine Vision des Internets und der Datenwolke "Cloud". Mit Hilfe seines Webbrowsers betrachte das Kind "eine reduzierte Welt, ohne sie zu fühlen oder zu riechen oder ihre verborgenen Echos oder ein fernes Murmeln zu hören".

Fegefeuer mit iPhones

Modernes iSpielzeug erlaube kein Abschweifen der Gedanken, schreibt Gelernter. "Wenn Dante sein Fegefeuer heute neu schriebe, würden die Protagonisten mit iPhones herumlaufen, sie müssten mit Apps spielen und einander ständig anrufen, bis sie ihre Strafe verbüßt haben; sie würden nicht arbeiten, nicht ruhen, nichts schaffen, an das sie sich mit Freude oder Stolz erinnern." Jeder Mensch brauche Ruhe und Tätigkeit. "Wir entspannen uns, wenn wir die Gedanken schweifen lassen, wenn wir ihnen erlauben, ziellos umherzutreiben, hier und da innezuhalten und durch die weite Welt der Erinnerung zu streifen." Das Denken arbeite, wenn die Eindrücke alle Sinne auf einmal ansprächen, wenn man unter lebendigen Menschen sei, wenn man durch eine Stadt streife, durch ein Dorf oder eine Landschaft mit Menschen, Wolken, fernen Bergen oder wenn man ein Buch lese. "Computerspiele legen die Aufmerksamkeit jedoch in Ketten, so dass die Gedanken nicht abschweifen können und der Kopf nicht die Ruhe findet, die er braucht", schreibt Gelernter.

"Kinder lernen nicht mehr, bei einem schwierigen Thema nicht gleich wegzurennen", beklagt der Experte, der heute Computerwissenschaft in Yale lehrt. Aber inzwischen seien SMS und das ständige Telefonieren noch perfekter geeignet, das elektronische Kind in eine Komödie zu verwandeln, in der es dauernd zu Unterbrechungen komme. "Das Kind wartet gespannt auf den Klingelton und die allerneuste SMS, es ist immer bereit, sich unterbrechen zu lassen, um seine Zeit auf möglichst viele Weisen zu vergeuden."

Vor 20 Jahren ließ Gelernter sein Buch "Mirror Worlds" ambivalent schließen: "Der Epilog war ein Streitgespräch zwischen den beiden Seiten in mir, die eine für, die andere gegen die aufregende neue Software, die dazu führen werde, dass die reale Welt sich in der Cybersphäre spiegeln wird wie ein Dorf im Wasser eines stillen Weihers." Im Buch gewann der Skeptiker, der diese Entwicklung kritisch sah. "Heute, da die Mirror World immer realer wird, bin ich sehr wohl für das Internet und die Cybersphäre und moderne iMaschinen und Alkohol und notfalls Schlaftabletten", räumt der Autor ein. "Aber bitte nicht in Kinderhand." (pro)

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