Computerspiele machen dumm und brutal, davor warnt der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, seit längerem. Je länger Jungen am Computer spielten und je brutaler die Spiele seien, desto schlechter würden ihre Schulnoten, so Pfeiffer.
Wissenschaftler der Universität Tübingen scheinen ihm nach einer jüngsten Studie Recht zu geben. Und wieder nicht. Denn in der Tat kann der intensive Konsum etwa von so genannten „Killer-Computerspielen“ bei Jugendlichen zu erhöhter Gewaltbereitschaft führen, zeigte die breit angelegte zweijährige Studie. Es muss aber nicht so sein. Günter L. Huber, Professor für Pädagogische Psychologie in Tübingen, der mit seinem Team 1.400 Hauptschüler im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren beobachtet hatte, fasst zusammen: „Computerspiele mit Gewaltinhalten führen öfter zu erhöhten Aggressivitätsleveln als beispielsweise das Ansehen von Horror- oder Gewaltfilmen.“
Doch der Experte warnt zugleich davor, allein Computerspiele für aggressive Jugendliche verantwortlich zu machen. „Es handelt sich bei den Ursachen für Aggressivität vielmehr um ein Quintett an Faktoren, in dem der Medienkonsum aber eine Schlüsselrolle einnimmt“, so Huber. Weitere Schlüsselrollen hätten die schulische Situation, die individuelle Persönlichkeit, das Verhältnis zu Gleichaltrigen und die familiäre Situation. Das bekannte Muster „gewalthaltige Medien provozieren reale Gewalt“ dreht Huber in gewisser Weise um: „Wer in einem Elternhaus aufwächst, in dem Gewalt an der Tagesordnung ist, ist für Gewalt in Medien anfälliger. Umgekehrt werden die Einflüsse von medialer Gewalt in sehr harmonischen und liebevollen Familien stark abgefedert.“
„Die Jugendlichen spielen sich in einen Rausch und sind in ihrer Welt Helden“, warnt Huber. Über die Erfolge im Spiel könnten sie sich Selbstbewusstsein holen. Problematisch werde es, wenn der Absprung nicht mehr geschafft werde und Raum und Zeit durch das Spiel vollkommen in den Hintergrund rückten. „Das ist im Gegensatz zu Gewalt- und Horrorfilmen genau das Problem an derartigen Spielen. Denn die Jugendlichen schalten oftmals nicht nach 90 Minuten ab und gehen danach ihrem sonstigen Leben nach – sondern die Spiele sind teilweise ihr Leben“, so der Forscher.
Statt „Killerspiele“ zu verteufeln oder sie grundsätzlich zu verbieten, solle man die bestehenden Gesetze einhalten, empfiehlt Huber. Es sollten „nur die Leute die Spiele in die Hand bekommen, die dafür auch alt genug sind“, sagt Huber. Zudem appelliert er an Eltern und Schule sich intensiver mit der Materie Medienkonsum auseinander zu setzen.
Der zockende Professor
Der Psychologe Dietrich Dörner, emeritierter Professor von der Universität Bamberg, sieht ein grundsätzliches Missverständnis bei Eltern in Sachen Computerspiele. „Eltern verstehen nicht, dass ihre Kinder von Spielen so fasziniert sind“, sagte Dörner im Interview mit „Welt Online“. Diejenigen, die bei Computerspielen vor allem über die Gefahr sprächen, sähen Dinge, „die sie schockierend finden“. Dörner fügt hinzu: „Wenn ein Fußballfan sich viel um seine Mannschaft kümmert, sich T-Shirts und Schals kauft und so weiter, dann findet das kein Mensch beunruhigend.“ Das Problem sei, dass die Eltern das Hobby ihrer Kinder „nicht kennen und nicht verstehen“. Der Psychologe, der selbst bekennender Computerspieler ist, ist überzeugt: „Das Spiel gehört zum Menschen, es ist Erkunden von neuen Realitäten.“ Psychologen fänden auch stets viel Positives an Computerspielen. „Es ist eher so, dass Menschen mit komplexen Spielen auch sehr viel Lernen können.“ Und da auch die Realität komplex sei, sei es zu begrüßen, dass auch Computerspiele mittlerweile an Komplexität gewonnen hätten. „Schach, das immer als Königsspiel galt, sieht kümmerlich aus gegen viele Computerspiele. Die übliche These, dass wir beim Spielen verdummen, ist Unsinn. Spiele können in uns Fähigkeiten wecken, die auch im normalen Leben helfen.“ Zum Vorwurf, Spiele, in denen gemordet werde, könne auch zu realem Mord führen, sagt Dörner: „Entscheidend ist: Diese Spiele sind realistisch, aber nicht real. Das wissen die Leute sehr, sehr genau. Es ist zum Beispiel sehr schwer, aufgrund eines Spiels wie Counterstrike die reale Handhabung einer Pistole zu erlernen. Das geht nämlich gar nicht.“ Auch im Schach gehe es ja letztendlich um den Königsmord – nur eben abstrahiert.
Scharf greift er den Kriminologen Pfeiffer an. Was der tue, sei keine Wissenschaft, „sondern dem politischen Bereich zuzurechnen“, so Dörner. „Pfeiffer verwechselt Korrelation mit Kausalursache und Symptom mit Ursache. Womöglich reagieren sich auch Leute im Spiel ab, die sonst gewalttätige Neigungen haben. Der eigentliche Hintergrund der Gewalt ist ein ganz anderer, meist familiär.“ Der 69-Jährige berichtet, wie er selbst Erfahrungen mit Computerspielen gemacht habe – auch mit brutaleren: „In einer Zeit nach einer Operation hab ich sogar sehr exzessiv ein sehr gewalttätiges Spiel namens ‚Panzers‘ gespielt. Das gab mir in einem Zustand der Schwäche Signal, sieh mal, du kannst was. Das war eine Demonstration eigener Macht für mich. Genau deswegen spielen 16-jährige Knaben, die bekanntlich genau mit Macht und Selbstwert ihre Probleme haben, solche Spiele. Mit 20 hören die wieder auf.“
Experten: Computerspiele machen nicht unbedingt einsam
Medienpädagogen der Universität Leipzig fanden vor kurzem heraus, dass auch das Bild von den einsam machenden Online-Spielen revidiert werden müsse. „Online-Spiele-Welten sind für Jugendliche soziale Treffpunkte“, sagte Medienpädagogik-Professor Bernd Schorb gegenüber der „Financial Times Deutschland„. Mehr als drei Viertel der Spieler spiele im Internet mit Freunden. Aber auch neue Freunde hätte die Hälfte der rund 1.000 Befragten zwischen elf und 22 Jahren im Netz gefunden. Die Leipziger Online-Studie ist Teil des Forschungsprojektes „Medienkonvergenz Monitoring“, das seit 2003 läuft und von der Sächsischen Landesmedienanstalt finanziert wird.
Computerspiele sind längst in der breiten Gesellschaft angekommen, schreibt die „Zeit„. „Während überkommene Kulturträger wie das Kino und die Popmusik von einer Krise in die nächste stolpern, warten die Elektrospiele ungeduldig darauf, endlich vom Weltgeist zum offiziellen Leitmedium auserkoren zu werden“, so Andreas Rosenfelder, Autor des im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienenen Buchs „Digitale Paradiese: Von der schrecklichen Schönheit der Computerspiele“. Jahrzehntelang hätten die Gamer dafür gekämpft, „dass ihr Hobby im Kanon der anerkannten Künste seinen Platz finden möge, irgendwo zwischen Splatterfilm, Zwölftonmusik und Donald-Duck-Heft. Verzweifelt warben sie darum, nicht wie Psychopathen behandelt zu werden, sondern wie ganz normale Konsumenten. (…) Heute behandelt niemand mehr Gamer als zoologische Sonderspezies. Zahllose Studien führen den Nachweis, dass elektronische Spiele in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.“ Und so berichtet der Computerspiel-Experte René Meyer in der „Zeit“: „Wenn man im Einstellungsgespräch nach seinen Hobbys gefragt wird, dann ist es immer noch besser zu sagen ‚Ich golfe gern‘ als ‚Ich spiele gerne Computerspiele‘. Denn dann heißt es gleich: Was für ein Freak!“
Suchtpotential von Online-Rollenspielen
Der Medienwissenschaftler Stephan Günzel von der Universität Potsdam und Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt „Die Medialität des Computerspiels“ warnt jedoch vor der Suchtgefahr bei Online-Rollenspielen: „(Sie haben ) kein zeitliches Ende. Ökonomisch ist dieses Modell genial: Anstatt einmal 50 Euro für ein Spiel auszugeben, zahlt der Spieler jeden Monat 13 Euro, zumal häufig der ganze Freundeskreis miteinbezogen wird. Moralisch sieht das schon anders aus.“
Auch der Psychologe und Leiter des Instituts für Kinderpsychologie und Lerntherapie in Hannover, Wolfgang Bergmann, betont: „Wir haben es nicht nur mit einer Technik, sondern mit einer tiefgreifenden Veränderung der Kultur zu tun. Das wird oft nicht richtig verstanden.“ Gegenüber Tagesschau.de warnte er ausdrücklich vor der Gefahr der Sucht: „Sucht setzt erst dann ein, wenn die Realität, also die realen Freunde und später die Schule, das Studium oder der Beruf nicht mehr interessieren. Das erste Warnzeichen für eine beginnende Sucht sind die Freunde: Die kommen nicht mehr – und sie werden auch nicht vermisst. Der Junge – 97 Prozent aller Computer-Abhängigen sind männlich – hat das Gefühl, er habe seinen Freundeskreis online.“
Das zweite Warnzeichen sei der eigene Körper. Der spiele für Computersüchtige eine untergeordnete Rolle: „Wichtig sind nur noch die Augen, die Tastatur und der Verstand. (…) Das gesamte Seelische und Körperliche ist dann an den Monitor gefesselt.“ Die Charité in Berlin ging vor zwei Jahren von 400.000 bis 600.000 Computersüchtigen aus, doch Bergmann erklärt, dass es wahrscheinlich mehr seien.
Eltern, deren Kind Probleme mit Computerspielsucht haben, könnten nicht ohne weiteres das Internet abschalten, rät er. „Jugendliche müssen das Internet im Griff haben, zum Beispiel für die Schule.“ Doch wenn ein Kind unter 14 Jahren keine vernünftigen Regelungen zur Kontrolle der Zeit am Computer mehr finden könne, „dann sollte man den Computer für vier Monate auf den Dachboden stellen. „Die Kinder laufen dann drei Tage im Kreis, aber am vierten Tag gehen sie wieder Fußball spielen.“ (PRO)