Christlicher Mediziner: „Der Bejahung des Suizides liegt ein Werturteil für dieses Leben zu Grunde“

In Deutschland muss die gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe neu geregelt werden. pro wollte vom Koordinator des „Arbeitskreises Ethik“ in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner (ACM), Markus Frenz, wissen, ob es aus der Sicht christlicher Mediziner „selbstbestimmtes Sterben“ gibt und was zu dem Thema vor der Neuregelung noch diskutiert werden sollte.
Von Norbert Schäfer
Der Internist Markus Frenz koordiniert den Arbeitskreis Ethik in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner

In Spanien haben die Volksvertreter in der vergangenen Woche ein Sterbehilfe-Gesetz gebilligt. Nach Angaben von Deutschlandradio vom Freitag könnte das Gesetz bereits im Januar in Kraft treten, wenn der Senat des Landes dem zustimmt. Auch in Deutschland wird, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe gekippt hatte, an einer Neuregelung der gesetzlichen Bestimmungen gearbeitet. Nach Informationen der Tagesschau vom vergangenen Mittwoch sollen Mitte Januar 2021 erste Vorschläge zur Diskussion gestellt werden.

Ebenfalls am vergangenen Mittwoch hatte sich der Präsident der Ärztekammer, Klaus Reinhardt, zum Thema Sterbehilfe zu Wort gemeldet. Reinhardt hatte in Frage gestellt, ob ein entsprechendes Verbot zur Suizidassistenz, wie sie in der Muster-Berufsordnung der Ärzte verankert sei, länger aufrechterhalten werden können, wenn das Bundesverfassungsgericht feststelle, dass der Staat keine Berechtigung habe, anderen Menschen die Hilfe zur Selbsttötung zu verbieten.

Die Muster-Berufsordnung der Ärzte, auf die sich Reinhardt bezieht, sieht unter Paragraf 16 und der Überschrift „Beistand für Sterbende“ vor: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“

Herr Frenz, gibt es aus Ihrer Sicht den in der Diskussion oft bemühten Begriff des „selbstbestimmten Sterbens“?

Markus Frenz: Aus unserer Sicht ist dieser Begriff ein lebensfremdes Konstrukt, da wir als Menschen in einer Vielzahl von sozialen und individuellen Zusammenhängen eingebunden sind. Er blendet die sich aus diesen Zusammenhängen ergebende Verantwortung für andere aus und idealisiert Autonomie als letzten Ausdruck der Persönlichkeit.

Wie bewerten Sie die Überlegung von Ärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt, das in der Berufsordnung der Ärzte enthaltene Verbot der Hilfe zur Selbsttötung ersatzlos zu streichen?

Das ist in Folge des Bundesverfassungsgerichtsurteils konsequent, da die Muster-Berufsordnung eine, wie Herr Reinhardt feststellt, untergesetzliche Norm darstellt. Dabei muss aber ganz klar darauf hingewiesen werden, dass aus dem „du sollst nicht“ kein „du musst“ werden kann. Eine Verpflichtung an Ärzte oder andere Berufsgruppen, eine Suizidassistenz zu gewährleisten oder durchzuführen, wurde vom Bundesverfassungsgericht klar verneint.

Was wäre aus Ihrer Sicht vor der geplanten gesetzlichen Neuregelung noch zu diskutieren?

Die Entscheidung zum Suizid beinhaltet in der Regel ein Selbsturteil über den Sinn und Wert des eigenen Lebens. Die Zustimmung, die sich in Umfragen immer wieder für eine Suizidassistenz abzeichnet, entspringt oft einem Mitgefühl mit der Schilderung des Suizidwilligen über die Unerträglichkeit seines Weiterlebens. Auch wenn diese im Einzelfall emotional nachvollziehbar ist, liegt der Bejahung des Suizides dabei immer ein Werturteil für dieses Leben zu Grunde. Aus unserer Sicht ist damit die Tür zur Diskussion vom Wert und Unwert eines Lebens geöffnet. Wir haben manchmal den Eindruck, dies ist der Öffentlichkeit nicht bewusst.

Was sollte bedacht werden, wenn über Hilfe zur Selbsttötung und selbstbestimmtes Sterben diskutiert wird?

Die gesamtgesellschaftliche Verpflichtung zum Lebensschutz sollte in der Diskussion um die Frage der Suizidassistenz und auch neuer Gesetzgebung immer im Vordergrund stehen. Natürlich muss die Selbstbestimmung des Einzelnen gewahrt und respektiert werden, Suizid ist aber kein Regelfall von Selbstbestimmung.

Was wäre ein guter Weg, um Menschen, die willentlich sterben möchten, auf ihrem letzten Weg zu begleiten?

Durch die sehr weite Öffnung der Suizidassistenz durch das Bundesverfassungsgericht, die nicht nur für terminal kranke Menschen möglich sein soll, sondern auch für Suizidwillige aus anderen Beweggründen geöffnet wurde, ergeben sich eine Vielzahl möglicher Szenarien. Ein Suizidwunsch ist oftmals ein Hilferuf, der auf jeden Fall ernst genommen werden muss. In vielen Fällen liegt dem Suizidwunsch eine Belastungssituation zugrunde, die durch geeignete professionelle Hilfe herausgearbeitet werden kann. In solchen Fällen kann oft durch psychologische Beratung Hilfestellung erfolgen.

Im Rahmen der Betreuung schwer kranker Menschen muss offen und frühzeitig über Therapieziele und Grenzen gesprochen werden. Eine aus verschiedenen Fachrichtungen und Experten bestehende Betreuung kann hilfreich sein, scheinbar aussichtslose Situationen beherrschbar zu machen. Die verantwortungsbewusste Begutachtung sowie die Erfüllung eines Suizidverlangens setzen ein hohes Maß an professioneller Kompetenz voraus, insbesondere hinsichtlich der vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Freiwilligkeit des Suizidwilligen und der beteiligten Personen.

Was fordern Sie vom Gesetzgeber bei der Neuregelung der Sterbehilfe?

Einmal muss die Abgrenzung zwischen einem autonomen Entschluss zum Suizid und einer psychiatrisch behandlungsbedürftigen Suizidalität vor allem bei Menschen mit psychischer Erkrankung ausreichend Schutz gewährleisten.

Dann erfordert aus unserer Sicht eine gesetzliche Regelung der Suizidassistenz zwingend die gleichzeitige Stärkung palliativmedizinischer sowie therapeutischer und supportiver psychosozialer Angebote, um Suizidwilligen eine wahrhaft autonome Entscheidung zu ermöglichen.

Eine Forderung ist auch, dass sowohl die Begutachtung als auch die Begleitung eines Wunsches nach Suizidhilfe nur durch hierfür qualifiziertes, multidisziplinäres Fachpersonal erfolgen darf und im Sinne eines legislativen Schutzkonzeptes entsprechende Fristen zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit und Festigkeit der Entscheidung beinhalten muss.

Um die Gefahr des Missbrauches der Suizidassistenz oder einer tendenziösen Beratung mit Einfluss auf die Autonomie zu reduzieren, muss eine Gewinnorientierung der beteiligten Personen und Organisationen gesetzlich ausgeschlossen werden. Hierzu gehört auch ein Verbot der Werbung für Suizidassistenz und das Verbot der Annahme von Geschenken und Erbschaften.

Letztlich ist zur Sicherstellung des Einhaltens der gesetzlichen Vorgaben eine sorgfältige Dokumentation und Meldepflicht zu fordern.

Das Interview haben wir schriftlich geführt. Markus Frenz ist Internist. Er koordiniert den Arbeitskreis Ethik in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner (ACM), der zur Neuregelung der Suizidassistenz eine Stellungnahme veröffentlicht hat. Die ACM ist eine Fachgruppe der Studentenmission in Deutschland (SMD), einem Netzwerk von Christen in Schule, Hochschule und Beruf.

Von: Norbert Schäfer

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