PRO: Herr Böcking, Sie haben einen sehr ungewöhnlichen Einstieg für Ihr Buch gewählt. Nämlich, dass sie der Falsche seien, dieses zu schreiben.
Daniel Böcking: (lacht) Am Ende habe ich ja hoffentlich deutlich gemacht, dass ich auch gute Gründe hatte, das Buch zu schreiben.
Lassen Sie uns nicht spoilern. Deswegen zunächst: Warum glauben Sie, nicht der Richtige zu sein?
In meinem Buch geht es um Streitfragen. Christentum und Homosexualität, Abtreibung oder auch Identität. Zu diesen Themen erwarten viele wahrscheinlich eine eindeutige Antwort. Die habe ich allerdings nicht. Meistens habe ich sogar gar keine Antwort. Das ist aber auch eine Stärke des Buchs.
Das müssen Sie erklären.
Das Buch lädt ein, in einen Dialog zu treten. Wie der Titel schon sagt: „Lass mal reden“. Ich habe das Gefühl, dass sehr viele Menschen sich entweder in ihrer Meinung bestätigt sehen wollen oder sie wollen sich aufregen. Oder sie erwarten, dass sich nur Theologen oder hochgebildete Menschen dazu äußern. Aber weder bin ich Theologe, noch irgendein Professor. Ich habe allerdings zu den Themen die verschiedensten Positionen gehört. Diese Perspektive findet sich im Buch wieder.
Die meisten Menschen sind keine Theologen. Haben Sie sich aber von welchen beraten lassen?
Ich halte in vielen Gemeinden Vorträge und komme deswegen auch mit den unterschiedlichsten Theologen zusammen. In dem Kontext habe ich mich in den vergangenen Jahren regelmäßig mit Pastoren auch über diese schwierigen Themen ausgetauscht. Das hat mir auch für das Buch sehr geholfen. Und dennoch wollte ich natürlich nichts Falsches schreiben und habe mich deswegen auch konkret mit Theologen über das Buch ausgetauscht. Dabei ging es aber nicht darum, ob mir die Theologen in den einzelnen Positionen zustimmen, sondern ob diese theologisch fundiert sind.
Daniel Böcking
Daniel Böcking, 47 Jahre, kümmert sich bei „Bild“ um die strategische Ansprache des Publikums. Mit seiner Frau und den vier Kindern lebt er bei Berlin. Er ist außerdem Autor der PRO-Kolumne „Kinderglaube“.
Sex, Abtreibung, Mission oder Politik… Gibt es da überhaupt klare Antworten?
Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich glaube, es gibt eine Wahrheit, nämlich Gottes Wahrheit. Und ich bin überzeugt, die ist sehr schwarz oder sehr weiß. Jesus war nicht irgendein flippiger Typ, sondern ist unser Erlöser. Ich glaube aber auch, dass es darüber hinaus sehr viele Themen gibt, zu denen es keine präzise biblische Antwort gibt. Das sind dann allerdings auch die Themen, die das Potenzial haben, ganze Gemeinden zu spalten.
Also haben Sie das Buch auch geschrieben, um Spaltung vorzubeugen?
Ich habe von Gott irgendwann eine Art Impuls bekommen und gemerkt, dass mich zwei Dinge innerlich bewegen. Zum einen stört es mich, wenn Christen mitunter wirklich hart in ihren Meinungen sind und deswegen Wut aufeinander entfachen. Das ist beispielsweise beim Thema Corona so gewesen. Und auf der anderen Seite begegnen andere Menschen Christen häufig mit Vorurteilen. Christen seien beispielsweise alle gegen Abtreibung oder gegen Homosexuelle. Beides stört mich.
Was schlagen Sie als Lösung vor? Diese Themen mit Spaltungspotenzial innerhalb der Gemeinde und nach außen nicht mehr zu kommunizieren?
Nein, ich würde es schade finden, wenn wir nicht mehr über diese Themen sprechen. Der christliche Glaube ist kein Buffet. Wir können uns nicht nur das nehmen, was uns schmeckt, und den Rest liegen lassen. Ja, den christlichen Glauben zu leben kann sehr herausfordernd sein und kann dazu führen, dass man aneckt. Aber ich sehe das eher als ein positives Abenteuer mit einem garantierten Happy End.
In Ihrem Buch packen Sie viele heiße Eisen an. Welches Thema hat Ihnen am meisten Bauchschmerzen bereitet?
Also grundsätzlich hat mir jedes Thema Spaß gemacht – auch weil ich selbst viel gelernt habe. Nehmen wir das Thema Abtreibung. Ich war überrascht, dass es da auch innerhalb der christlichen Welt ein breites Meinungsspektrum gibt. Gleiches gilt für das Thema Geschlechteridentität.
Und Homosexualität?
Dabei hatte und habe ich tatsächlich eine Schwierigkeit. Denn sich zu diesem Thema zu äußern, macht mich, egal in welche Richtung, massiv angreifbar. Zumal es dazu Bibelstellen gibt, die mich echt herausfordern. Ich kenne die Bibelverse, die Homosexualität verurteilen. Mir sind aber auch andere theologisch fundierte Sichtweisen bekannt. Für mich ist Homosexualität aber keine Sünde.
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Das Thema Israel kommt nicht als einzelnes Kapitel vor, sondern wird von Ihnen unter „Wokeness“ behandelt. Warum?
Ursprünglich war das tatsächlich als einzelnes Kapitel geplant. Aus meiner Sicht ist das Thema aber relativ klar. Jesus selbst war Jude. Da sollte es keine zwei Meinungen geben.
Für mich wurde dagegen das Thema Wokeness das erste Mal am Beispiel Israels richtig begreifbar. Zunächst einmal bedeutet Wokeness ja Wachsamkeit. Das ist etwas Gutes. Auch wir Christen sind aufgerufen, zu wachen und zu beten (Matthäus 26,41). In dem Sinne sollten Christen auch woke sein. Wokeness ist mittlerweile jedoch etwas Ideologisches, das besagt, Minderheiten sind immer Opfer. Konkret bedeutet das: Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern sind die Israelis immer die Täter. Dabei wird völlig ignoriert, dass die Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 mehr als 1.000 Juden ermordet und 250 entführt haben. Anstatt gegen den Terror und für die Freilassung der Geiseln zu demonstrieren, gab es in Europa unzählige pro-palästinensische Proteste.
Wie würde ein Kapitel über Journalismus aussehen?
Ich hoffe, dass wir Journalisten nicht absichtlich gegen das biblische Gebot „Du sollst nicht lügen“ verstoßen. Vorwürfe der Lügen- oder Lückenpresse gibt es ja häufiger.
Aber im Ernst. Ich glaube, das Thema stand zu Beginn des Buchprojekts zur Debatte. Aber auch hier gibt es aus christlicher Sicht wahrscheinlich zu wenig kontroverse Meinungen. Spannend ist das Thema Medien aber in einem polarisierenden Kontext, also zum Beispiel mit Blick auf politische Debatten.
Politik behandeln Sie im Buch auch. Würden Sie sagen, Jesus war politisch?
Jesu Handeln war politisch. Und auch die Auswirkungen dessen sind zutiefst politisch. Um das zu erkennen, reicht schon ein Blick in unsere Verfassung. Jesu politisches Handeln war aber nicht durch Machtstreben geprägt. Schließlich ist er Gottes Sohn und war sich des Unterschieds zwischen dem irdischen und dem Reich Gottes bewusst.
Spannend finde ich aber die Frage, ob wir deswegen als Christen heute automatisch zu politischen Themen eine bestimmte Position haben.
Wie würden Sie diese Frage beantworten?
Eigentlich hätte ich vermutet, dass Christen eher konservativ sind und sich mehrheitlich der CDU/CSU verbunden fühlen. Oder Parteien, die rechts neben der Union stehen. Aber das ist gar nicht so. Stattdessen decken Christen ein breites politisches Spektrum ab. Klar, die CDU hat das Christliche im Namen, aber Christen engagieren sich auch bei den Grünen, weil ihnen die Bewahrung der Schöpfung ein Anliegen ist. Es ist herrlich, dass wir diese Vielfalt haben.
Es gibt keine christliche Politik, sondern nur Christen in der Politik.
Das fasst es gut zusammen. Für mich und viele Christen ist der Glaube ein absolutes Wertefundament. Und wenn ich mich für meine Werte einsetzen möchte, dann tue ich das politisch. Und schon bin ich ab der Sekunde ein politischer Christ.
Herr Böcking, vielen Dank für das Gespräch.