PRO: Herr Pöner, mit welchen Eindrücken kehren Sie von Ihrer viertägigen Reise in die Ukraine zurück?
Ulrich Pöner: Es waren spannende und angespannte Tage. Obwohl wir als Gäste natürlich privilegiert waren, haben wir etwas von den alltäglichen Schwierigkeiten der Menschen mitbekommen: den Problemen beim Reisen, weil immer wieder Schienenwege zerstört werden; den langen Schlangen vor den Tankstellen, nachdem das Benzin überall knapp geworden ist; den Unsicherheiten, die durch den häufigen Luftalarm ausgelöst werden. Auch in Kiew und Lviv, wo unsere Delegation Gespräche mit den Kirchenoberen geführt hat, war der Krieg ständig anwesend – obwohl diese Städte derzeit kein unmittelbares Kriegsgebiet sind. Es war eindrucksvoll zu sehen, mit welcher Disziplin und mindestens äußerlichen Gelassenheit die allermeisten Menschen die Probleme annehmen.
Was war für Sie der beeindruckendste Moment?
Wir waren in Butcha, jenem Ort in der Nähe von Kiew, der wegen der russischen Gewaltexzesse gegen die Zivilbevölkerung inzwischen weltbekannt geworden ist. Dort trafen wir mit der Vize-Bürgermeisterin und einem einheimischen Journalisten zusammen. Beide waren von den furchtbaren Ereignissen in ihrer Stadt schwer gezeichnet – und doch entschlossen, dort auszuhalten, um die Erinnerung an das Grauen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und um internationale Hilfe für die traumatisierte Bevölkerung zu werben. Das waren Gespräche, die unter die Haut gingen.
Was war für Sie der beklemmendste Moment?
Das ist schwer zu entscheiden. Es war beklemmend, in Butcha das vormalige Massengrab zu sehen, in das unzählige ermordete Zivilisten hineingeworfen worden waren. Es war ebenso beklemmend, die Stadt Irpin – ebenfalls nicht weit von Kiew entfernt – zu besuchen, die in weiten Teilen zerstört ist. Man fragt sich, warum so viele Bildungs- und Kultureinrichtungen vernichtet wurden. Der Gedanke liegt nahe, dass hier gezielt Orte angegriffen wurden, die die kulturelle Identität der Ukrainer verkörpern.
Welchen Einfluss haben die Kirchen in dem Konflikt?
Alle Kirchen in der Ukraine – orthodoxe, katholische, protestantische – stellen sich entschlossen gegen den russischen Angriffskrieg. Das gilt selbst für die ukrainische orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats, die durch die Invasion in eine tiefe Krise geraten ist. Nachdrücklich bestärken die Kirchen die Entschlossenheit der Ukrainer, ihr Land zur verteidigen.
Ist es aus ihrer Sicht sinnvoll, Waffen in die Ukraine zu liefern, oder verschärft das den Konflikt?
Die aus dem Ausland kommenden Waffen erlauben es der Ukraine, den Invasoren entgegenzutreten. Das kann man eine Verschärfung des Konflikts nennen. Aber ohne die Waffen hätten die Ukrainer wohl schon längst kapitulieren müssen. Erkennbar wollen sie das nicht. Während der ganzen Reise habe ich niemanden getroffen, der (und wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand) für eine Kapitulation plädiert hätte. Ich denke, es ist das Recht und die Pflicht der Ukrainer, in eigener Verantwortung über ihre Selbstverteidigung zu entscheiden – und insofern halte ich es mindestens für vertretbar, sie militärisch zu unterstützen. Die Grenze ist aber eine unmittelbare Konfrontation des Westens mit Russland, die in einen Krieg mit unabsehbaren Folgen münden könnte.
Welches Bild hat Ihnen der Austausch mit den ukrainischen Geistlichen vermittelt?
Wir sind dem Großerzbischof der griechisch-katholischen Kirche, dem Vorsitzenden der römisch-katholischen Bischofskonferenz, dem Metropoliten der eigenständigen ukrainisch-orthodoxen Kirche und einem Bischof der orthodoxen Ukrainer des russischen Patriarchats begegnet. Wie schon gesagt: Alle stehen an der Seite der kämpfenden Ukraine. Aber man spürt nichts von Kriegsbegeisterung oder Radikalismus. Die Kirchenoberen wissen und sagen es auch, dass Gewalt immer ein Übel ist und auch im Krieg die christliche Gesinnung des Friedens nie verloren gehen darf.
Welche Wünsche haben diese Ihnen mit auf den Weg gegeben?
Die Kirchenführer haben zunächst einmal für die Solidarität gedankt, die die Ukraine von Deutschland und insbesondere auch von den Kirchen in Deutschland erfährt. Das betrifft ausdrücklich auch die Aufnahme der vielen Flüchtlinge. Man wünscht sich, dass wir im Westen den langen Atem haben, um in dieser Solidarität nicht nachzulassen – gerade wenn der Krieg nicht mehr die Schlagzeilen dominiert und stattdessen die Lasten und Kosten, die die Sanktionen gegen Russland verursachen, für ganz normale Menschen immer schmerzlicher werden. Man spürt die Sorge hinter diesem Wunsch. Ich kann sie nachvollziehen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Ulrich Pöner hat die Fragen aus zeitlichen Gründen schriftlich beantwortet.