Was hat Thomas Schirrmacher in Nordkorea am meisten überrascht? „Es ist erstaunlich, wie erfolgreich die Gehirnwäsche war und ist“, antwortet der Theologe auf diese Frage. So etwas wie eine Zivilgesellschaft gebe es eigentlich nicht. Selbst Bürger, die in Bereichen tätig sind, wo man ein bisschen mehr Kontakt nach außen hat, wüssten kaum etwas über den Rest der Welt. „Zum Beispiel darüber, dass auf anderen Teilen der Erde Menschen jeden Tag genug zu essen haben“, berichtet Schirrmacher. Gemäß des Hilfswerks Open Doors ist ein Großteil der Bevölkerung unterernährt. Schirrmacher war als stellvertretender Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz und als Präsident des Internationalen Rates der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Korea.
Die Einschränkungen des alltäglichen Lebens betreffen in Nordkorea nicht nur Christen. Auch alle anderen könnten sich nicht einfach frei versammeln. Was die Unterdrückung der Christen so effektiv mache, sei die Tatsache, dass ein Christ nur dann halbwegs normal leben könne, wenn keiner etwas von seiner Überzeugung weiß. Sobald sich der Glaube auch äußerlich zeigt, also im täglichen Leben, sei es mit der Freiheit vorbei. Dies bestätigt auch Open Doors. Die meisten Eltern in Nordkorea erzählen ihren Kindern nicht von ihrem christlichen Glauben, damit sie sich im Falle einer Befragung nicht verraten.
Predigten als Sprachrohr der Regierung
Auch wenn es von der Regierung geduldete Gottesdienste gibt, so könne man diese an der Hand abzählen. Wer diese Gottesdienste besuchen darf, werde handverlesen. Auch bei Besuchern des Landes entscheide die Regierung, in welchen Gottesdienst man geht. Komme man beispielsweise als Katholik, bekomme man einen katholischen Gottesdienst vorgeführt. Die Predigten, die vorher von der Regierung abgesegnet werden müssen, seien ein weiterer Kanal, die gewünschte Botschaft unters Volk zu bringen. Wie viel vom Evangelium da überhaupt noch gepredigt werden kann, sei fraglich. De facto müsse es aber irgendwie trotzdem laufen, da es immer wieder Leute gebe, die Christen werden. Der Personenkult um Diktator Kim Jong-un ist so groß, dass er der Verehrung eines Gottes gleich kommt. Jede Verehrung eines anderen Gottes gilt damit als Gefährdung des Staates.
Deutsche Wiedervereinigung als Vorbild
Laut Open Doors gibt es 300.000 Christen in Nordkorea, eine große Anzahl von ihnen in Arbeitslagern. Schirrmacher sieht in diesem Bereich noch großen Forschungsbedarf. In keinem Land sei die Zahl der verfolgten Christen so schwer herauszufinden wie in Nordkorea. Der Blick zurück in die Geschichte zeige, dass es vor dem Zweiten Weltkrieg viele Christen in Nordkorea gab und die eigentliche Erweckung dort stattfand – nicht in Südkorea. Unter den Experten gebe es nun eine große Diskussion, ob diese Christen geflohen oder gestorben oder in großen Zahlen in den Arbeitslagern gefangen seien.
Beeindruckend sei das leidenschaftliche Gebet der Südkoreaner für eine friedliche Lösung. Wie Schirrmacher berichtet, ist es Teil des Sonntagsgottesdienstes. Außerdem sei es normalerweise das erste Gebetsanliegen in den Frühgottesdiensten, die reine Gebetsgottesdienste seien. Die deutsche Wiedervereinigung sei ein großes Vorbild für die Koreaner, weil sie die Friedlichkeit dieses Ereignisses als Folge der Gebete der Christen sehen“. Sie wünschen sich auch eine Lösung, die ohne Opfer, Gewalt und Blutvergießen umzusetzen ist.
Von: jea