In den Medien sei das Bild eines gewaltbereiten Islam dominierend, stellte Schirrmacher vom Institut für Islamfragen der Evangelischen Allianz fest. Die Gefahr, die etwa von antidemokratischen Salafisten ausgehe, sei auch nicht zu unterschätzen, dennoch sei es eine Minderheit. Doch dies solle einer friedfertigen Begegnung mit Muslimen nicht im Wege stehen. „Christen sind gut beraten, nicht zu Extremen zu neigen und nicht alle Muslime in einen Topf zu werfen.“ Entsprechend sei es nicht angebracht, Muslimen mit Angst oder Vorurteilen zu begegnen.
Viele Muslime hätten zudem Interesse an Begegnung und Gespräch mit Christen. Die Ursache für das Interesse am Christentum liege unter anderem an der „Sonderrolle“ Jesu im Islam, etwa weil er im Koran als sündlos gelte. „Allerdings stellt der Koran Jesus als Prophet dar und Vorläufer Muhammads, nicht als Gottes Sohn. Auch die Gottesvorstellung ist im Islam und Christentum sehr unterschiedlich“,sagte Schirrmacher.
Auf der Suche nach Identität
Viele Muslime in Deutschland seien auf der Suche nach ihrer Identität. In westlichen Gemeinschaften fühlten sie sich teilweise entwurzelt, irritiert von der Beliebigkeit der Werte. Ein eindeutiges Bekenntnis zu Werten wie Ehe und Familie sowie enger Gemeinschaft biete der Islam. Dies sei auch eine der Ursachen für Konvertiten vom Christentum zum Islam, manchmal „aus der Mitte von Kirchen und Gemeinden“. Für Schirrmacher ist dies ein „interessanter Anreiz, über das Klima in Kirchen und Gemeinden neu nachzudenken“.
Christen fordert die Islamwissenschaftlerin daher auf, für Muslime einen Unterschied in der Gesellschaft zu machen und sich für sie zu engagieren. Gesellschaftliche Zurückweisung sei einer der Faktoren, der diese in die Hände der Extremisten treibe.„Christen müssen ihren Teil zum Gespräch und zur Begegnung beitragen“, sagte Schirrmacher.
Hindernisse im Gespräch
Christen sollten sich auch über die Unterschiede zwischen den Religionen klar sein. Aus muslimischer Sicht hätten Christen einen verfälschten Glauben, da sie Jesus als Gottessohn und einen dreieinen Gott verehrten. Christen seien aus Sicht des Islam zwar keine völlig „Ungläubigen“. Doch da sie Mohammed nicht als letzten Propheten anerkennen, sei ihr Glaube falsch und irregeleitet.
Auch der geringe Stellenwert der Bildung bei vielen türkischstämmigen Muslimen sei ein Hindernis für die Integration, meint Schirrmacher. Kinder hätten oft wenig Unterstützung beim Lernen durch das Elternhaus. Doch sei dies heute vielfach entscheidend für den Bildungserfolg. Mangelnde Bildung wiederum verhindere nicht nur die Integration. Der damit verbundene wirtschaftliche Misserfolg mache Betroffene auch offener für den Radikalismus des politischen Islam.
Ein weiteres Problem für die Integration sei die mangelnde Organisation der Muslime in Deutschland. „Das ist auch ein Grund, weshalb wir so wenig Protest von Muslimen gegen Selbstmordattentate vernehmen.“ Islamverbände wie die türkische DITIB behaupten, für alle Muslime zu sprechen. Dabei verträten die Verbände nur eine Minderheit der Muslime. Durch diese mangelnde Organisation habe der Staat bei der muslimischen Glaubensgemeinschaft keinen Ansprechpartner.
Der Islam befände sich gegenwärtig in einem intensiven Diskussionsprozess, erklärte Schirrmacher. Umstritten sei die Frage, was den „wahren Islam“ ausmache, und wie Muslime in einer säkular geprägten, westlichen Gesellschaft leben sollen. Schirrmacher sieht bei diesen Fragen die islamische Theologie gefordert. „Wenn manche islamischen Theologen nicht aufhören, junge Menschen zurückzurufen zum 7. Jahrhundert, in dem Muhammad Gesetzgeber, Prediger und Heerführer war und dies als Ideal für die heutige Moderne propagieren, dann wird der Islam das Problem einer Politik im Namen des Islam und einer Berufung auf Gewalt nicht loswerden.“ (pro)