Seit 1972 saß Wolfgang Schäuble für die CDU im Bundestag – bis zu seinem Tod im Dezember 2023. Er hatte viele wichtige politische Ämter inne und galt als einer der einflussreichsten deutschen Politiker. Sein Buch „Erinnerungen. Mein Leben in der Politik“, das bei Klett-Cotta erschienen ist, beschreibt einen loyalen Politiker, der viel für die Politik geopfert hat.
In dem über 600 Seiten starken Buch nehmen der Glaube und die Religion eine untergeordnete Rolle ein. Das hat vermutlich aber auch damit zu tun, dass der CDU-Politiker an so vielen anderen wichtigen Entscheidungen der vergangenen Jahrzehnte beteiligt war, die erzählt werden müssen.
Schäuble beschreibt, wie konfliktbeladen konfessionelle Unterschiede in seiner Kindheit waren. Sein katholischer Vater habe evangelisch geheiratet. Dies sei nicht nur für dessen Mutter eine „richtige Gewissensnot“ gewesen. Dass der Vater den Sohn auch noch evangelisch erzieht, kostet dem Vater die Kirchenzugehörigkeit. Die Kirche exkommuniziert Schäuble senior.
„Kirche als Stachel im Fleisch der Gesellschaft“
Dieser habe eher selten Gottesdienste besucht, als politischer Repräsentant des Dorfes aber gute Beziehungen zur Kirche gepflegt. Als er im Nachbarort einmal als Bürgermeister antreten sollte, habe das Erzbischöfliche Ordinariat in Freiburg interveniert. Ein von den Sakramenten ausgeschlossener Katholik war in dieser Führungsposition nicht diskutabel.
Als Schäuble 1972 selbst das erste Mal für den Bundestag kandidiert, hätten die konfessionellen Unterschiede in seinem katholisch geprägten Wahlkreis nur noch eine untergeordnete Rolle gespielt. Schäuble betont in dem Buch, dass er sich in seiner evangelischen Kirche zu Hause fühle, „auch wenn in den Leitungsgremien oft andere politische Meinungen als meine eigene vertreten werden“.
Die Kirche sieht der CDU-Politiker als „notwendigen Stachel im Fleisch der Gesellschaft“. Sie weise mit darauf hin, nicht bei „unseren Wohlstandsproblemen stehenzubleiben“ und zugleich appelliere sie, „in unserem Umfeld und mit unseren Möglichkeiten Verantwortung zu übernehmen“. Wichtig sei, dass sie dabei nicht im „Mainstream der Political Correctness“ untergehe.
„Konfrontiert mit einer erlösungsbedürftigen Welt“
Christen würden in der Politik mit einer Welt konfrontiert, die noch „erlösungsbedürftig“ sei: „Man kann das als Zumutung begreifen. Resignieren dürfen wir trotzdem nicht.“ Weder als politisch Verantwortliche noch als Christen. „Ein Politiker muss zuversichtlich sein, sonst würde er von der Unlösbarkeit all dessen, was auf uns einstürzt, und von der Unvorhersehbarkeit erdrückt“, schreibt der CDU-Grande.
Seine Gewissheit hat Wolfgang Schäuble im christlichen Glauben gefunden. Daraus schöpfte er Kraft und Zuversicht, auch wenn das politische Engagement viele Opfer forderte, wie bei dem Attentat auf ihn, in dessen Folge er querschnittgelähmt war. Schäuble lebte in der Klarheit, dass Christen eben immer noch nur für die „vorletzten Dinge“ zuständig seien. Seine Politik habe er immer als Arbeit in Verantwortung vor Gott und den Menschen verstanden.
Er habe seine Arbeit getan, in dem er sich selbst nicht zu wichtig nehme. Der christliche Glaube habe ihn auch für alle „Widrigkeiten des Lebens besser gerüstet“. Er selbst sieht sich nicht als besonders fromm, habe aber seinen Konfirmandenglauben bewahrt. Der Halt im Glauben sorge für eine „ungemein tröstende Kraft“ und ermögliche eine realistische Perspektive für das Leben.
Super-Protestant Schäuble
Das Wochenmagazin „Spiegel“ hat den CDU-Politiker als einen Menschen porträtiert, der sich durch seine Prägung zum Superprotestanten entwickelt hat: „Fleißig, gläubig, immer bereit, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen“. Ansonsten ist das Buch, das er mit den Wissenschaftlern Jens Hacke und Hilmar Sack geschrieben hat, eine reichhaltige Geschichtsstunde. Es beleuchtet Schäubles Beitrag zur deutschen Wiedervereinigung, wie er mit den Krisen der Weltgeschichte umgegangen ist, seinen Bruch mit Helmut Kohl und seine Loyalität zu Angela Merkel.
Schäuble gestaltete die deutsche Politik als Minister, Fraktions- und Parteichef. Die Kanzlerschaft und das Amt des Bundespräsidenten blieben ihm verwehrt. Von seiner jahrelangen Krebserkrankung erfuhr die Öffentlichkeit bis zu seinem Tod nichts. Am zweiten Weihnachtsfeiertag ist Schäuble im Kreise seiner Familie gestorben, nicht ohne vorher noch einmal gemeinsam mit der Familie den Gottesdienst zu besuchen: „Er wollte uns nochmal ein gemeinsames Weihnachten schenken“, sagte seine Tochter Christiane Strobl an Schäubles Sarg.
Wolfgang Schäuble, Erinnerungen – Mein Leben in der Politik, Klett-Cotta, 656 Seiten, ISBN 9783608987041, 38 Euro.