Christine Schirrmacher, die wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Islamfragen der Deutschen Evangelischen Allianz, sagte, die Christen in der Region befänden sich in einer "Randsituation". Grund dafür sei eine historisch im Islam verwurzelte Diskriminierung Andersgläubiger. In arabischen und islamischen Staaten seien zwei Gruppen zu unterscheiden: Juden und Christen, die als anerkannte Minderheiten eingeschränkte Rechte hätten, und nicht anerkannte Minderheiten wie die Bahai und Konvertiten, denen es noch wesentlich schlechter gehe. Schirrmacher wies auch auf die verheerende Situation jüdischer Minderheiten in der Region hin. Viele der dortigen Staaten seien heute fast "judenfrei".
Mit Blick auf Ägypten sagte sie, die Muslimbrüder seien keinesfalls so gemäßigt wie hierzulande angenommen. Zu ihren zentralen Standpunkten gehöre das Festhalten an der Scharia. "Die säkulare Definition von Toleranz hat im Nahen Osten derzeit wenige Anhänger", sagte Schirrmacher weiter. Sie könne "überhaupt keine" Entwicklung hin zu einer säkularen Gesetzgebung oder zu Minderheitenrechten erkennen. Eine positive Veränderung müsse aus dem Islam selbst kommen. Dazu bedürfe es einer Aufklärung und einer Entwicklung weg vom uneingeschränkten Vorbildfaktor Mohammeds.
Raheb: Systematische Benachteiligung in Israel
Mitri Raheb, Pfarrer in Betlehem, verglich die Lage religiöser Minderheiten in den palästinensischen Gebieten und Israel. Seiner Meinung nach wird jeder, der nicht jüdisch ist, in Israel systematisch benachteiligt. Der Staat betrachte jeden Christen automatisch als Palästinenser, die Christen in Gaza und der Westbank wiederum litten unter der israelischen Besatzung. Er kritisierte zudem eine "extern gelenkte Medienkampagne christlicher Zionisten", die vorgebe, die palästinensische Autonomiebehörde diskriminiere Christen.
Ruth Jüttner von "Amnesty International" erklärte, in allen Staaten der Region werde das Recht auf freie Religionsausübung eingeschränkt. Im Iran impliziere schon die totalitäre Staatsdoktrin eine massive Diskriminierung. Es gebe Berichte aus dem Irak über Tötungen, Übergriffe und Diskriminierungen religiöser Minderheiten. Sie plädierte vor allem für eine bessere Ausbildung von Medienmachern und betonte deren "unrühmliche Rolle" in den betreffenden Staaten. Europa diene den Menschen im Nahen Osten jedoch keinesfalls als Vorbild. Die Zusammenarbeit mit Diktatoren habe den Ruf der Staatengemeinschaft schwer beschädigt.
Christen leiden vor allem in Saudi-Arabien
Ob sich die Lage der Christen durch den arabischen Frühling allgemein verschlechtert habe, sei ungewiss, erklärte Otmar Oehring von "Missio". Man wisse aber von vermehrten Übergriffen auf Christen in Ägypten. Maria Haarmann, Religionsreferentin für den Nahen Osten und Nordafrika beim Hilfswerk "Misereor", nannte Saudi-Arabien als das Land, in dem es religiösen Minderheiten am schlechtesten ginge. Im Libanon hingegen hätten Andersgläubige einen verhältnismäßig guten Stand. In Ägypten sichere die Scharia den Christen zwar bestimmte Freiheiten zu, von Gleichheit könne aber keine Rede sein. Die Erneuerung von Kirchen benötige die staatliche Zustimmung, bestimmte universitäre Laufbahnen seien etwa den Kopten verboten, eine Konversion vom Islam zum Christentum sei "schwierig bis unmöglich". Fritz Erich Anhelm, ehemaliger Direktor der Evangelischen Akademie Loccum, stellte fest, es gebe keine systematische, politisch lancierte Verletzung der Religionsfreiheit in Nordafrika und dem Nahen Osten. Dennoch lebten Minderheiten in einem "komplexen Feld ständig neuer und Konflikte". (pro)