„Ich leite lieber eine Bibelschule hier in Indien als in Schweden“, erklärt Maria. Ihren vollständigen Namen möchte sie nicht öffentlich nennen, sie befürchtet Repressalien. „Indien ist intensiv, bunt und chaotisch mit seinem verrückten Verkehr, der Umweltverschmutzung, den Kühen auf den Straßen und der drückenden Hitze, aber die Menschen sind wunderbar“, schwärmt sie.
Mitten in diesem Chaos begann ihre Reise. Vor 25 Jahren kamen sie und ihr Mann aus Schweden hierher, um bedürftige Kinder zu unterstützen und ihnen Hoffnung für die Zukunft zu geben. „Ich bin so froh, dass wir in der Lage sind, den Kreislauf der Armut zu durchbrechen und nicht nur für einzelne Kinder, sondern auch für ihre Familien etwas zu bewirken.“
Das haben sie geschafft. Sie leiten derzeit eine Schule mit etwa 180 Schülern im Alter von drei bis zwölf Jahren. Die Kinder sind fröhlich und ausgelassen. Auf dem Schulgelände gibt es einen Spielplatz, einen Computerraum und eine Bibliothek. Alles ist gepflegt und in gutem Zustand. Es sind Kinder aus benachteiligten Verhältnissen, um die sich sonst niemand kümmert.
Sie erhalten hier eine hervorragende Bildung. Einige der älteren Kinder haben noch nie eine Schule besucht, und einige haben Lernschwierigkeiten, sind in anderen Schulen gescheitert. Sozialarbeiter und Psychologen holen Kinder von der Straße, die eine Schulausbildung benötigen. „In einigen Fällen bringen wir sie in Wohnheimen oder Pflegefamilien unter. Wir versuchen auch, die Eltern durch Beratung und Ausbildung zu rehabilitieren. Manchmal geben wir den bedürftigen Familien zusätzliche Lebensmittel“, erklärt Maria.
Indirekt wird christliche Arbeit behindert
Ihr Handeln ist christlich motiviert. Auch wenn es gut ist und den Menschen ihn diesem Umfeld ein besseres Leben gibt, ist es dennoch den Obrigkeiten ein Dorn im Auge. Offiziell können sie nichts gegen die Missionsarbeit tun, doch indirekt behindern und torpedieren sie die Arbeit der Christen. So wurde etwa ein ganzer Gebäudeteil gesperrt, mit der Behauptung, er sei in einem schlechten Zustand. Eine Baulizenz gibt es jedoch nicht.
„Wir könnten viel mehr Kinder aufnehmen“, sagt Maria. Doch ihr sind die Hände gebunden. Selbst wenn die Christen in Tamil Nadu, Südindien, im Vergleich zu Nordindien noch viele Freiheiten genießen: Der Staat ist wachsam. Er hat alles in Händen in Indien und hält auch zusätzlich gerne die Hände auf. Bürokratie, Bestechung, Korruption sind an der Tagesordnung.
Seit 2014 ist Narendra Damodardas Modi amtierender Premierminister Indiens. „Indien den Hindus“ ist seine Wahlparole. Er gehört der BJP an, der Bharatiya Janata Party, einer rechtskonservativen, auch als rechtsextrem bewerteten hindu-nationalistischen Partei. Deren Ideologie zufolge sind nur Hindus vollwertige Mitglieder der Gesellschaft.
Staatliche Auflagen sind erdrückend
Es trifft auch die „Glorious Gospel Mission“, die Gemeinde von Pfarrer George Muller. Seine Mission begann in Chennai in einer Hütte aus Stroh. Er und seine Frau kümmern sich um Menschen, die keine Bleibe haben, ihren Lebensunterhalt nicht verdienen können; Drogenabhängige, Alkoholiker und Waisenkinder, Menschen, die von ihren Herren in Knechtschaft gehalten werden; alte, kranke Menschen, insbesondere Frauen, die von ihren Familien nicht versorgt werden, und vor allem arme Menschen auf der Straße – Dalits, die niedrigsten des Hindu-Kastensystems.
Ein Gemeinde- und Gebetshaus soll ihnen Zuflucht bieten. Pfarrer George Muller verkaufte sein eigenes Grundstück, um ein Gemeindezentrum zu bauen. Euphorisch wurde 2011 das Fundament des Gebäudes gelegt. Doch dann ging das Geld aus. Bürokratisch aufwendige Genehmigungsverfahren verschlangen die Rücklagen.
Seit gut zwölf Jahren ist es nun eine Bauruine. Um die Bauarbeiten fortzusetzen, das Dach des Zentrums zu decken, muss Muller mindestens 12.000 US-Dollar aufbringen. Fast unmöglich, in diesem Umfeld der Armut. Pfarrer Muller betet und hofft auf Hilfe aus dem Ausland.
„Im christlichen Dienst hier in Indien zu stehen, ist kein Spaß“, erklärt ein Pastor der reformierten Kirche auf die Frage, wie es Christen in Indien in diesen Tagen geht. Näher möchte aber nicht darauf eingehen. Recht zögernd und zurückhaltend sind auch die Antworten der Vertreter unterschiedlicher Volkskirchen bei einer Pastorenkonferenz. Doch sie haben wenig zu befürchten, solange sie registriert sind und immer berichten, was sie tun – quasi „Dienst nach Vorschrift“ betreiben.
„Noch haben wir eine gewisse Freiheit und Frieden hier in Südindien, doch das kann sich in Zukunft ändern“, erklärt Prasanna, eine Pfarrerin der Lutherischen Kirche in Tamil Nadu. Schon seit 1919 müssen alle ausländischen Missionare in Indien registriert sein. Ihre Arbeit wird überwacht. Charismatische, unabhängige Kirchen sind oftmals nicht registriert. Sie sind oft einer „Hexenjagd“ ausgesetzt. Sie werden genau überwacht, Hilfsaktionen und Gemeindebildung werden behindert und verhöhnt.
Ein Geisterhaus für christliches Projekt
Die Liebe Christi in jeden Winkel des Landes zu bringen, ist das Herzstück und Vision der freien Kirche Tamil Nadu, der Rock Eternal Community (REC). Der leitende Pastor Reenu Kumar stammt aus einer gut situierten Hindu-Familie und studierte in Australien. Dort fand er zum christlichen Glauben. Er kehrte mit seiner Familie nach Indien zurück und gründete die REC, eine Pfingstgemeinde.
Mit Evangelisationen, in öffentlichen Konzerten, Fernsehen und sozialen Medien erreicht Kumar viele Menschen. Sein tamilisches Gospel-Album „Kanmalai“ hat in der christlichen Gemeinschaft einen Trend gesetzt, das Leben berührt und verändert. Der Pastor ist mutig und lässt sich nicht einschüchtern.
In einem Slum suchte er einen Zufluchtsort für die Ärmsten. Das verweigerten ihm die Behörden zunächst. Dann boten sie ihm ein Haus an, das niemand haben wollte, weil man es für besessen, ein Geisterhaus hielt. „Wir haben es genommen und damit gezeigt, dass unser Gott größer ist“, freut sich Kumar. „Es ist nun ein Haus Gottes, Zufluchtsort für Obdachlose.“
Das Missionsteam von REC geht auch auf Reisen in Nordindien und hilft den Menschen auf praktische Weise. Sie gründen Gemeinden und haben etwa 300 Dörfer in ihre REC Pfingstgemeinde aufgenommen. So geben sie Gottes Liebe weiter. Doch ständig stehen sie im Fokus der Behörden.
Christlicher Einfluss wird bekämpft
Die Angst vor christlichem Einfluss auf die Gesellschaft Indiens scheint groß zu sein. Schon die Einreise nach Indien ist mit hohen bürokratischen Hürden verbunden. Ein Visum für Indien zu bekommen, ist äußerst schwierig. Der Antrag einer Mitreisenden wurde von der indischen Botschaft in Berlin abgelehnt, weil sie nur einmal den Begriff „Mission“ verwendete.
Die christliche Menschenrechtsorganisation „Open Doors“ sagt, die Rechte aller christlichen Gemeinden und Gemeinschaften in Indien würden verletzt. Extremistische Hindus betrachteten Christen als unerwünschte Fremde. Sie wollten ihr Land von Islam und Christentum reinigen und schreckten nicht davor zurück, auch massive Gewalt einzusetzen, um dieses Ziel zu erreichen. Christliche Konvertiten hinduistischer Herkunft trügen in Indien die Hauptlast der Verfolgung. Sie würden unter ständigen Druck gesetzt, zum Hinduismus zurückzukehren. Oft würden sie auch körperlich angegriffen, manchmal sogar getötet.
2023 leben geschätzt 1,43 Milliarden Menschen in Indien. Damit hat es in diesem Jahr China als bevölkerungsreichstes Land der Welt abgelöst. Christen bilden davon mit etwa 30 Millionen einen Bevölkerungsanteil von 2,3 Prozent. Die Christenheit wächst ständig und vermutlich ist die tatsächliche Zahl wesentlich höher. Das Christentum ist in Indien nach dem Hinduismus und Islam die drittgrößte Religion.
Von: Heike Knauff-Oliver