„Christen befinden sich zwischen Hoffen und Bangen“

Die Gewaltherrschaft des syrischen Diktators Baschar al-Assad ist zu Ende. Islamistische Rebellen haben die Macht übernommen. Was bedeutet das für die Christen im Land?
Von Johannes Blöcher-Weil
Die Flagge der Regime-Gegner, die in Syrien die Macht übernommen haben

Viele christliche Hilfsorganisationen beobachten die Situation in Syrien angespannt. Andreas Baumann, Geschäftsführer des Christlichen Hilfsbundes im Orient, sieht viele offene Fragen. Gegenüber PRO erklärt er, dass sich viele Christen „verraten und verkauft“ fühlen. Das Assad-Regime habe Loyalität eingefordert, aber sich auch schützend vor sie gestellt.

Dadurch hätten christliche Gemeinschaften Gottesdienste feiern oder christliche Schulen betreiben können: „Das wussten die Christen zu schätzen, bei allen anderen Nachteilen dieser Diktatur“, sagt Baumann. Die vergangenen Wochen hätten gezeigt, dass das Regime nicht mehr in der Lage war, sich zu verteidigen. Für Christen sei ungewiss gewesen, wie die Rebellen mit ihnen als Minderheit umgehen.

Machtübernahme ohne größeres Blutvergießen

Es habe geheißen, dass ihnen nichts passiere, wenn sie die neuen Machthaber anerkennen würden. Ob sie sich jetzt und in Zukunft darauf verlassen könnten, sei ungewiss. Der Führer der HTS-Miliz, Abu Mohammad al-Julani, habe die Macht ohne größeres Blutvergießen übernommen. Trotzdem würden erst die kommenden Wochen zeigen, wie glaubwürdig das sei und ob es nicht auch bei den Rebellen zu internen Machtkämpfen komme.

Der bisherige Diktator gehörte zur alawitischen Minderheit, die Mehrheit im Land sind Sunniten. Am Sturz des Regimes hätten viele Gruppen mitgearbeitet. Spannend werde auch, wie es mit den Kurden weitergehe. Sie haben den Nordosten unter ihrer Kontrolle und wollen ihn nicht aufgeben ohne weitgehende Zusage von Selbstverwaltung.

Baumann ist skeptisch, ob es einen friedlichen Weg zu einem stabilen Staat gibt, „der das gesamte Syrien umfasst und in dem alle Gruppen als gleichberechtigte Bürger leben können“. Nachdem die Menschen so gelitten hätten, sei ihnen das zu wünschen. Wie er aus einem Gespräch mit Syrern weiß, sorgen sich die Christen nicht nur um die Minderheiten, sondern auch um die Zukunft des Staates. „Hoffen und beten wir dafür, dass auch die Christen eine gute Zukunft haben werden.“ Selbstverständlich sei das nicht.

Auch Simon Jacob vom Zentralrat Orientalischer Christen verweist darauf, dass sich die vielfältige Kirchenlandschaft über die Jahre mit dem Assad-Regime arrangiert und eine Art „Schutzstatus“ genossen habe. Dieses Zweckbündnis beruhte auf der Furcht vor radikalen Gruppierungen wie dem Islamischen Staat (IS). Die aktuelle Situation sei eine Mischung aus Ungewissheit und Angst.

„In den Medien wird oft übersehen, dass neben Islamisten auch säkulare Gruppierungen, liberale sunnitische Stämme sowie kurdische und christliche Militäreinheiten an der Befreiung Syriens beteiligt waren“, erklärt Jacob. Im Norden Syriens gebe es autonome Regionen, in denen Christen relativ gleichberechtigt leben können. Das sei ein Fortschritt im Vergleich zum Rest des Landes, der aber vor allem von der Türkei mit großer Skepsis betrachtet werde.

Alte Konflikte könnten aufbrechen

In Syrien hätten schon immer viele Ethnien und Religionsgemeinschaften gelebt. Die religiösen Ausrichtungen hätten häufig zu Spannungen geführt und könnten auch jetzt wieder aufbrechen: „Darunter würden besonders Minderheiten wie Drusen, Christen oder Jesiden leiden, die sich nur schwer verteidigen können“, ist sich Jacob sicher.

Für ihn hängt die Zukunft Syriens entscheidend von Akteuren wie den USA und der Türkei und deren Interessen ab. Von der Europäischen Union wünscht sich Jacob im „Interesse ihrer Werte und Sicherheit“ eine aktivere Rolle, um Minderheiten zu schützen und in Zusammenarbeit mit der Türkei und arabischen Staaten „Rechtsstaatlichkeit, Wiederaufbau und wirtschaftlichen Fortschritt zu fördern“. Dies könne neue Flüchtlingswellen verhindern und sowohl Syrien als auch Europa wirtschaftlich voranbringen. Den Einfluss Deutschlands auf die Region sieht Jacob als gering an, „obwohl gerade hier wichtige Entscheidungen notwendig wären“.

Die HTS-Miliz sieht er als heterogenes Bündnis verschiedener Gruppierungen, zu dem Islamisten, gemäßigte Akteure, säkulare Einheiten sowie andere militärische Formationen gehörten. Sie könnten nun eine konföderale Struktur aufbauen, die Bürgerrechte, Sicherheit und wirtschaftlichen Wohlstand bringt. Ansonsten versinke das Land möglicherweise im Chaos und könnte die gesamte Region destabilisiere. Von der EU wünscht er sich Investitionen in Sicherheit, Infrastruktur und wirtschaftliche Entwicklung.

Forderung an die EU: Strategische und realistische Ansätze

Valerio Krüger, Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), berichtet PRO von einem Gespräch mit einem hohen geistlichen Würdenträger aus dem Nordosten Syriens, der ihn um Gebete bat. Noch sei die Situation sicher, aber das könne schon morgen anders aussehen. Aktuell sei er damit beschäftigt, den Vertriebenen Unterkünfte zu beschaffen. Wegen des drohenden Winters brauche es materielle und logistische Unterstützung.

Krüger ist skeptisch, wie es mit den Rebellen weitergeht: „Anfänglich gab sich der Rebellenführer, ein gesuchter Top-Terrorist, tolerant und auf den Schutz der Minderheiten bedacht. Dieses Vorgehen erinnert zum Teilen an das des IS im Jahr 2013/2014“, erklärt Krüger. Die Gefahr für alle religiösen und ethnischen Minderheiten sei daher extrem hoch.

Der Beauftragte der Bundesregierung für Religionsfreiheit, Frank Schwabe (SPD), sieht eine Bedingung dafür, Syrien in Zukunft zu unterstützen, darin, dass die religiöse Vielfalt gewährt sei. Der Bundestagsabgeordnete betonte im Interview mit dem Domradio, wie erleichtert er über das Ende des syrischen Terrorregimes sei. Wer mit den Minderheiten vor Ort spreche, spüre eine Mischung aus Skepsis und Hoffnung. Deutsche Hilfen jedenfalls müssten aber an klare Bedingungen geknüpft sein.

Auch das katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ plädiert dafür, die religiösen Minderheiten im Land besonders zu schützen. Der Schutz der Grundrechte für Religionsgemeinschaften müsse garantiert sein. Das katholische Hilfswerk engagiere sich weiterhin für die Unterstützung der Hilfs- und Wiederaufbaubemühungen in Syrien, heißt es in der Mitteilung.

Krieg hat in Syrien Trümmer und 500.000 Tote hinterlassen

Das Hilfswerk „World Vision“ möchte seine Maßnahmen in Syrien verstärken, um die Bevölkerung zu unterstützen: „Die humanitäre Krise in Syrien bleibt dramatisch“, schreibt die Organisation in einer Pressemitteilung. Der nahende Winter werde die Krise verstärken, vor allem bei den vielen Binnenvertriebenen m Nordwesten des Landes.

Der Krieg habe Syrien in Trümmern hinterlassen: Die Infrastruktur sei massiv beschädigt, die Grundversorgung mit Wasser, Elektrizität und Gesundheitsdiensten instabil. „World Vision“ arbeitet seit 2013 in Syrien und ist unter anderem mit Projekten aktiv, die von Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) gefördert werden.

In Syrien tobte seit 2011 ein Bürgerkrieg. Dabei starben etwa 500.000 Menschen, mehr als 14 Millionen wurden vertrieben. Syrien hat etwa 23 Millionen Einwohner, von denen aktuell etwa 2,8 Prozent Christen sind.

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