Vor acht Jahren haben Samuel Pehlke und Chris Allgeier mit 15 anderen den Verein Chibodia gegründet. Über 500 kambodschanische Kinder betreuen sie in den verschiedensten Projekten und konnten schon viele aus den Elendsvierteln um Phnom Penh herausholen. Am 6. Dezember treten sie bei der ZDF-Spendengala „Ein Herz für Kinder auf“ – und hoffen auf „Mitstreiter“.
In den Kinderheimen finden die Kinder ein neues Zuhause und die Chance auf eine bessere Zukunft
Als Samuel Pehlke im Jahr 2006 nach Kambodscha reist, ist ihm nicht klar, dass diese Reise zum Aufbau eines großen Kinderhilfsprojekts führen würde. Der Aufenthalt in dem asiatischen Land ist eigentlich nur Teil einer Reise durch Südostasien. Der heute 43-Jährige war schon immer gern in Entwicklungsländern unterwegs, um Land und Leute kennenzulernen. „Es war aufregend und auch recht günstig“, sagt er. Am Strand von Kambodscha sieht er Kinder, die versuchen, durch den Verkauf von verschiedensten Artikeln etwas Geld zu verdienen. Das weckt Pehlkes Interesse für die Lebensumstände. Zusammen mit seiner Frau Anne reist er vier Monate später erneut in das Land. Sie lassen sich von den Menschen dort die Elendsviertel um Phnom Penh zeigen, treffen die Ärmsten der Armen. Eine Begegnung auf einer Müllkippe bezeichnet Pehlke heute als Schlüsselerlebnis: „Ein Kind mit einem noch kleineren Kind auf dem Arm hat uns gezeigt, wo sie wohnen: In einem Verschlag auf dem Müllberg. Ich bin wütend geworden und habe mich gefragt, ob man was tun kann“, erinnert er sich.
In einer E-Mail schildert der Krankenpfleger das Erlebnis seinen Freunden in Deutschland. „Das hat uns aufgewühlt und motiviert“, erzählt Chris Allgeier. Die beiden Christen hatten vorher schon oft über das Elend in der Welt gesprochen und hatten den Wunsch, sich zu engagieren. Nach Pehlkes Kambodscha-Reise setzen die Freunde gemeinsam alle Hebel in Bewegung und gründen Chibodia. Sie wollen den Kindern in Kambodscha eine bessere Zukunft bieten. Rund um die Hauptstadt Phnom Penh sind in den vergangenen acht Jahren so zwei Kinderheime und zwei Studentenwohnheime entstanden. Auch eine Landschule in einer entlegenen Gegend ohne Strom und fließendes Wasser betreibt der Verein.
Seit kurzem gibt es auch drei Gesundheitszentren in den Elendsvierteln, die etwa 1.000 Patienten pro Jahr betreuen. In Kambodscha arbeiten 25 Einheimische in den Häusern von Chibodia. Dazu drei Auslandsmitarbeiter aus Deutschland, der Schweiz und der USA und z.Z. neun Freiwillige. Die arbeiten auch in der Landschule mit. „Wir brauchen immer wieder neue Freiwillige“, betont Pehlke. In der Landschule herrsche zudem Lehrermangel.
Durch Staub und Hitze 20 Kilometer Radfahren bis zur Schule
In Deutschland arbeiten zwei Teilzeitmitarbeiter und etwa zehn Ehrenamtliche. Pehlke ist fest angestellter Entwicklungshelfer bei Chibodia und für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Drei Tage die Woche arbeitet er als Dialysepfleger. Allgeier ist Schatzmeister des Vereins und einer der Ehrenamtlichen. Hauptberuflich leitet er ein Dialysezentrum im mittelhessischen Wetzlar.
Chibodia kümmert sich um etwa 500 Kinder und Studenten. In den beiden Kinderheimen leben insgesamt etwa 50 Kinder, in den zwei Studentenwohnheimen sind es 40 Bewohner. Mehr als 350 Kinder aus der Region besuchen die Landschule. Viele Schüler nehmen täglich lange Wege in Kauf, um am Unterricht teilzunehmen. „Wir haben Kinder, die jeden Tag 20 Kilometer mit dem Fahrrad zur Schule fahren und das auch noch gern machen“, sagt Allgeier. Wer in einem der Kinderheime lebt, darf bis zum 18. Lebensjahr dort wohnen. Dann müssen die Jugendlichen per Gesetz entlassen werden. Den Mitarbeitern des Vereins ist es aber wichtig, den Kindern eine Zukunftsperspektive zu bieten. „Wenn sie aber niemanden und keine gesellschaftliche Struktur haben, die in Kambodscha so wichtig ist – wo sollen sie dann hin?“, fragt Pehlke.
Deshalb gibt es die beiden Studentenwohnheime. Mit 18 Jahren können die Jugendlichen dorthin wechseln. „So sind sie in der weitergehenden Ausbildung noch betreut und wir können ein Auge drauf haben“, sagt Pehlke. Chibodia vermittelt den Jugendlichen Praktika, Ausbildungen oder Studienplätze – je nach Interesse und Begabung. Die Erfolge sind sichtbar: „Unser Ältester hat von einem Spender eine Spezialförderung erhalten: Einen Apple-Computer, um Filme zu schneiden, und eine Filmkamera. Jetzt arbeitet er für einen chinesischen Nachrichtensender und schneidet die Abendnachrichten zusammen“, erklärt Pehlke. Der Junge mache alles selbst, vom Filmen bis zur Sendung. Mittlerweile moderiere er auch und habe eine Assistentin. „Er ist 19. Das war sein Traum.“
„Ein High School-Abschluss heißt gar nichts“
Wenige der Kinder sind Waisen. „Viele haben Eltern. Die sind aber nicht mehr auffindbar“, sagt Pehlke. Oft habe der Vater auch eine neue Frau und die Kinder der früheren Partnerin seien dann uninteressant. Ein Großteil der Kinder in den kambodschanischen Elendsvierteln lebt in unzumutbaren Verhältnissen. Obwohl in Kambodscha eine Schulpflicht besteht, gehen etwa 20 Prozent nicht zur Schule, um stattdessen etwas zum Einkommen der Familie beizutragen. Oft scheitert es auch am Kauf der Schuluniform, die gebraucht einen Dollar kostet. Obwohl der Besuch einer staatlichen Schule gratis sein soll, ist er das praktisch selten. „Alle müssen etwas abdrücken, weil der Lehrer auch fast nichts verdient“, sagt Pehlke. Wer zur Schule geht, kann davon meistens sowieso nicht profitieren. „Die große Masse der Schulen kann man komplett vergessen. Die ermöglichen keine Zukunft. Wenn man auf dem Land einen High School-Abschluss hat, heißt das gar nichts“, sagt Pehlke. Man müsse schon sehr viel Glück haben, wenn man eine Lehre beginnen könne.
Die Kinder der Chibodia-Kinderheime gehen zwar an öffentliche Schulen, um soziale Kontakte zu knüpfen. Alle Schulfächer werden in den Heimen aber erneut unterrichtet, alles wird noch einmal aufgearbeitet. Seit kurzem können einige Kinder durch die Hilfe von Sponsoren Privatschulen besuchen. Der Verein finanziert sich komplett durch Spenden. Das sei eine große Herausforderung, sagt Allgeier. Chibodia ist immer auf der Suche nach neuen Mitstreitern – ob als Spender, Mitarbeiter oder als Pate. Wer eines der Kinder direkt unterstützen möchte, kann zum Beispiel eine Patenschaft für eine Schulausbildung oder für Lebenshaltungskosten abschließen. Die Patenschaften betreuen Sabine und Michael Solbach in der Zweigstelle des Vereins in Siegen. Derzeit gibt es 16 Paten. Den Gründern ist dabei Qualität wichtiger als Quantität. Eine Patenschaft nach einen Jahr wieder zu kündigen, soll möglichst nicht vorkommen. „Bei uns steht das Kind im Mittelpunkt und wir wollen Stabilität vermitteln“, sagt Pehlke.
Dieses Jahr wirkt Chibodia an der ZDF-Spendengala „Ein Herz für Kinder“ am 6. Dezember mit. Während seines Urlaubs im August habe er einen Anruf von ZDF erhalten mit der Anfrage, ob Chibodia bei der Gala vorgestellt werden könne, erinnert sich Allgeier. Der Schwerpunkt der Veranstaltung liege dieses Jahr bei Kambodscha. Pehlke und Allgeier erhoffen sich „neue Mitglieder und Mitstreiter“. Derzeit hat der Verein 170 Mitglieder und weitere 80 regelmäßige Unterstützer. Das decke aber nicht einmal die Hälfte der Kosten. „Wir wollen das ausbauen und auf eine breitere Basis stellen, um den Kindern eine sichere Zukunft bieten zu können“, sagt der Schatzmeister. Pehlke erklärt: „Letztes Jahr gab es fast zwei Millionen Zuschauer. Wenn da nur ein kleiner Teil Interesse hat, würde uns das sehr freuen.“
„Ich kann am Scheideweg im Leben des Kindes stehen“
Trotz verschiedener Herausforderungen in Deutschland und in Kambodscha sind beide motiviert weiterzumachen. Eine wichtige Kraftquelle ist für Pehlke und Allgeier der Glaube. Das sei bei aller Arbeit „ein wichtiger Stabilitätsfaktor“. Sie betonen aber, dass Chibodia kein Missionswerk ist. Im Mittelpunkt stehe die humanitäre Hilfe und Nächstenliebe für die Kinder.
Noch etwas anderes motiviert die beiden. Pehlke erzählt ein Beispiel: „Wenn man ins Elendsviertel fährt und ein Kind aus einem gefährlichen Umfeld abholt, das nur mit einem Plastikbeutelchen mit einer Unterhose und einer abgenutzten Zahnbürste drin dasteht, trifft mich das immer wie ein Schlag.“ Die Kinder verstünden aber, dass sie in diesem Moment eine große Chance bekämen. Sie weinten nicht, drehten sich nicht um und hätten ein Lächeln im Gesicht. Pehlke schließt: „Da, wo sie herkommen, ist es so schlecht, dass eine unsichere Zukunft mit dem Weißen nur besser sein kann. Ich finde es unglaublich, dass ich an diesem Scheideweg im Leben des Kindes stehen darf. Da empfinde ich Demut.“ (pro)
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