Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur geschäftsmäßigen Sterbehilfe heftig kritisiert. In der Süddeutschen Zeitung bezeichnete er den Entscheid der Karlsruher Richter als „radikalen Bruch mit der bewährten Rechtskultur, die Selbstbestimmung achtet und schützt, aber immer auch lebensschutzfreundlich ausgelegt hat“.
Das Gericht hatte am Mittwoch erklärt, dass das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gegen das Grundgesetz verstößt. Damit kippten die Richter den seit 2015 im Strafgesetzbuch verankerten Paragrafen 217. Dieser sollte professionellen Suizidhelfern die rechtliche Grundlage entziehen.
Dabrock fordert weiterhin eine größere Gewichtung des Lebensschutzes: „Die Waage neigt sich bis zum Anschlag in Richtung uneingeschränkter Autonomie.“ Doch es brauche „eine Balance aus Freiheit, in letzter Konsequenz den Tod wählen zu können und dem Schutz des Lebens“. Sterbewünsche seien ambivalent und widersprüchlich. Mit dem nun getroffenen Urteil könnte beispielsweise auch ein 18-Jähriger mit Liebeskummer das Recht der Sterbehilfe in Anspruch nehmen, erklärte der evangelische Theologe, der in Erlangen lehrt.
Sterbewunsch als Ausdruck einer Hoffnungslosigkeit
Kritik am Urteil des Verfassungsgerichts kommt auch von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner (ACM). In einer Pressemitteilung drückten sie ihr Bedauern aus. Das Urteil stelle einen „Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar“. Sterbehilfeorganisationen würde so ein „gefährlicher Spielraum“ ermöglicht. Die ACM schließt sich damit der Kritik der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin an. Diese forderte in einer Stellungnahme am Mittwoch eine „breite gesellschaftliche Diskussion über Rahmenbedingungen am Lebensende in Pflegeheimen, Krankenhäusern und im häuslichen Umfeld“. Die Äußerung eines Sterbewunsches drücke oftmals das Anliegen aus, über die „persönliche Hoffnungslosigkeit zu sprechen“. Diese als direkte Handlungsaufforderung zu verstehen, sei „viel zu kurz gegriffen“.
„Erschüttert“ zeigt sich auch der Verein „Ärzte für das Leben“. Dessen Vorsitzender Paul Cullen sieht im Urteil einen „Angriff auf die Gewissensfreiheit der Ärzte“. Für beunruhigend halte er die „die kaum verhohlene Drohung in Richtung der Ärzte, ihr Berufsrecht so ändern zu wollen, dass diesen im Bereich des Lebensrechts kaum rechtlicher Spielraum verbleibt“. Die gesamte Pressemittteilung des Bundesverfassungsgerichts lese sich so, „als ob eine der Sterbehilfeorganisationen sie dem Gericht in die Feder diktiert hätte“.
Bereits im Oktober vergangenen Jahres hatte der Weltärztebund auf einer Generalversammlung in Tiflis sein Nein zum ärztlich assistierten Suizid bekräftigt. „Ärzte sind dem Leben verpflichtet. Es ist wichtig, dass der Weltärztebund das noch einmal zum Ausdruck gebracht hat“, kommentierte damals der Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt die Verabschiedung der Deklaration des Weltärztebundes.
In einer früheren Version des Beitrags hieß es, der Ethikrat habe das Urteil kritisiert. Dabei bezogen wir uns auf Äußerungen des Ethikrats-Vorsitzenden Peter Dabrock in der Süddeutschen Zeitung. Tatsächlich war das aber keine offizielle Stellungnahme des Deutschen Ethikrates. Deshalb haben wir die Formulierung im Artikel angepasst.
Von: Martin Schlorke