Ja, Mesut Özil mag sich zu Recht darüber beschweren, dass er nicht immer fair behandelt worden ist. Nein, Özils Fall steht nicht stellvertretend für den vieler Muslime in Deutschland. So ist die Debatte zu bewerten, die sich nach den Rücktritts-Tweets des Profifußballers am 22. Juli entsponnen hat. Özil begründete seinen Rückzug unter anderem so: „In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen – und Immigrant, wenn wir verlieren.“ Özil fragte auch: „Ist es, weil ich Muslim bin?“
Nein, will man ihm entgegenrufen. Es ist nicht, weil du Muslim bist. Wie auch? Die wenigsten Fußballfans wussten von deiner mutmaßlich tiefen religiösen Überzeugung. Zugegeben, Özil hatte sich einmal 2016 in Mekka ablichten lassen. Ansonsten gab er sich zu Glaubensfragen aber eher wortkarg. Er sagte in Interviews eher zögerlich Dinge wie, dass er an den „lieben Gott“ glaube. Dass er bete, eben so erzogen sei und für Toleranz stehe. Dass er mit solchen Aussagen angeeckt sein soll, ist kaum vorstellbar.Außenminister Heiko Maas fasste zudem passend zusammen: „Ich glaube (…) nicht, dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs Auskunft gibt über die Integrationsfähigkeit in Deutschland.“
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck ging gar so weit, den Sport- und Innenminister Horst Seehofer für die Affäre Özil mitverantwortlich zu machen. „Wenn der Sportminister sagt, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, dann ist das klar als Ausladung an alle muslimischen Spieler zu verstehen“, sagte er der Rheinischen Post. Wie Habeck darauf kommt, dass Özil als muslimische Gallionsfigur im Sport zu bewerten ist, darf man fragen. Und auch, warum Habeck nicht auch den gleich auf Seehofers erstes Statement folgenden zweiten Satz in Betracht zieht. Der Minister sagte nämlich auch: „Die bei uns lebenden Muslime gehören aber selbstverständlich zu Deutschland.“ Seine Islam-Aussage war eindeutig der Frage nach der kulturstiftenden Funktion des Islam in Deutschland zugeordnet.
Seis drum, man mag vieles in der Causa Özil absurd, fehlplatziert und übertrieben finden. Wie so oft hat die Affäre aber einen bedenkenswerten Kern, über den gesprochen werden muss. Tatsächlich gibt es in Deutschland weit verbreitete Ressentiments gegen Muslime. Einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach von Ende Juni nach sagt jeder Dritte Deutsche, er wolle Muslime nicht als Nachbarn haben. Fast die Hälfte der Befragten schätzt Muslime als politisch radikal ein. Ein Viertel sagt, sie seien machthungrig. Das sind dramatische Zahlen und schreckliche Fakten, von denen reiche Fußballstars weit weniger betroffen sind als zum Beispiel die als Muslima sichtbare Kopftuchträgerin von nebenan. Sie sind es, um die wir uns sorgen müssen. Die überdrehte Causa Özil hilft dafür, dass das neu ins Bewusstsein rückt.
Von: Anna Lutz