Als ich Freunden und Familie erzählte, dass ich ein Jahr durch Europa mit einem E-Bike fahren möchte, gab es so einige hochgezogene Augenbrauen. Ich kann es ihnen nicht verdenken, auch ich war von mir selbst überrascht. Denn ich bin eigentlich so gar nicht der Typ Mensch, den man am Wochenende durch die Natur wandern sieht.
Meistens findet man mich auf der Couch mit einer Packung Chips und einem guten Film. Sport war generell ein To-do, das schon lange ganz unten auf meiner Prioritätenliste stand. Dementsprechend groß war die Verwirrung über mein Vorhaben von vielen Seiten.
Aber ich hatte eine Idee und die ließ mich einfach nicht mehr los: Ich wollte Christen aus verschiedenen Hintergründen in Europa treffen und meine Erlebnisse auf Social Media unter dem Namen „Rooted as One“ teilen.
Das Thema Ökumene lag mir schon lange auf dem Herzen, denn ich bin fest davon überzeugt, dass wir als Christen so viel stärker sind, wenn wir uns trotz unserer Unterschiede als Einheit und Familie ansehen. Die letzten Jahre habe ich im Social-Media-Marketing gearbeitet, allerdings immer mit dem Ziel, sobald ich mich gut ausgebildet fühle, ein ökumenisches Projekt über Social Media zu starten.
Wie genau das aussehen sollte, wusste ich nicht, aber ich hatte schon viele Jahre eine Berufung in diese Richtung gespürt und vertraute darauf, dass Gott mir im richtigen Moment die richtige Idee geben würde. Und da war sie nun plötzlich: Eine Idee, die mich wie ein Schlag traf und über Wochen und Monate einfach nicht mehr losließ.
Kirche statt Käsewerbung
So fand ich mich also Anfang März in meiner alten Heimat München wieder, wo ich vor vier Jahren meinen ersten Job in einer Agentur gestartet hatte. Anstatt Käse und Autos zu bewerben, war jetzt allerdings mein Ziel, die Vielfalt unserer christlichen Welt kennenzulernen.
Für mein erstes Video hatte ich mir vorgenommen eine evangelische Landeskirche, eine katholische Kirche und eine Freikirche zu besuchen. Natürlich gibt es noch viel mehr Gruppierungen in Deutschland, aber ich fand, dass diese drei Gruppen ein guter Anfang für den Einblick der christlichen Landschaft in Deutschland wären.
Ich selbst bin in verschiedenen Freikirchen aufgewachsen und wurde in einer Landeskirche in meinem Heimatort in der Nähe von Frankfurt am Main konfirmiert. Meine Erwartung war also intuitiv, Gott in diesen Gottesdiensten am persönlichsten zu begegnen. Doch als ich mich dann in der katholischen Heilig-Geist-Kirche im Herzen Münchens wiederfand, kam es mir plötzlich so vor, als würde der Priester nur mit mir reden.
Die Atmosphäre, die dort geschaffen wurde und die Art und Weise, wie ich Gott hier begegnete, war so neu und auf seine eigene Art und Weise besonders, dass ich während des Gottesdienstes Tränen zurückhalten musste.
Ich war überwältigt von neuen Formen der Anbetung und der unglaublichen Ehrfurcht, mit der Gott hier angesprochen wurde. Und das in der Kirche, in der ich es am wenigsten erwartet hätte. Plötzlich wurde mir bewusst: Ich, Carola Mehltretter, die eine Reise begonnen hatte, um allen zu zeigen, dass wir Christen zusammengehören, hatte selbst so viele Vorurteile, wenn es um meine christliche Familie ging.
Diesen Abend, den ich dort verbracht habe und das Gespräch mit Anna-Katharina Winkelmann, die so nett war, mich mitzunehmen und mir alles zu erklären, werde ich nie vergessen. Denn auch die mir bekannten Gottesdienste waren schöne Erfahrungen. Aber mich in einen neuen Kontext zu begeben, war eine Bereicherung für meinen Glauben, von der ich noch Jahre zehren werde.
Und so bin ich in mein Jahr gestartet. Voller Erwartungen auf die Menschen und Kirchen, denen ich begegnen werde und mit der Gewissheit, dass ich nicht als die gleiche Carola wieder zu Hause ankommen würde.
Zur Person
Carola Mehltretter radelt ein Jahr lang mit ihrem E-Bike durch Europa. Ihr Ziel: Mit Christen verschiedener Glaubensrichtungen ins Gespräch kommen. Ihre Erfahrungen sammelt sie auf der Website von „Rooted as One“.
Von: Carola Mehltretter