Cannabis-Legalisierung: Harmloses Kraut?

Der Bundesrat hat das umstrittene Cannabisgesetz passieren lassen. Es tritt damit zum 1. April in Kraft. Dabei ist Cannabis kein harmloses Genussmittel – und gefährdet besonders Jugendliche.
Von PRO
Hanf

„Wir werden von Anfragen für Cannabis-Entgiftungen überschwemmt“, sagt Thomas Klein. Er ist Oberarzt der Abteilung Allgemeine Psychiatrie, Psychotherapie, Sozial- und Suchtmedizin der christlich orientierten „DGD Klinik Hohe Mark“. Der Grund für den Andrang: Immer weniger Kliniken würden Entgiftungen für Cannabis-Süchtige anbieten, weil Krankenkassen regelmäßig die Kostenübernahme ablehnen. Dabei gebe es auch unter Cannabis-Süchtigen besonders schwere Fälle, bei denen eine stationäre Entgiftung nötig sei. Cannabis sei nicht ungefährlich, sagt Klein.

Die Ampelregierung hatte bereits in ihrem Koalitionsvertrag 2021 die Legalisierung von Cannabis festgeschrieben. Mit der teilweisen Legalisierung will sie nun eine Wende in der Drogenpolitik einleiten. Aus den Bundesländern kamen bis zuletzt zahlreiche Bedenken. Sie müssen die neuen Regeln umsetzen, ihre Einhaltung kontrollieren und eine Amnestie für Cannabis-Vergehen umsetzen, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar sind.

Erwachsene ab 18 Jahren dürfen künftig bis zu 25 Gramm Cannabis zum eigenen Verbrauch bei sich haben und zu Hause bis zu 50 Gramm aufbewahren. Im Eigenanbau werden drei Pflanzen erlaubt. Von Juli an sollen Cannabis-Clubs zum Anbau und begrenztem Erwerb der Droge erlaubt werden.

Der öffentliche Konsum wird beschränkt erlaubt. In Sichtweite von Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie Sportstätten ist er nicht erlaubt. In Fußgängerzonen darf ab 20 Uhr gekifft werden. Für Minderjährige bleibt Cannabis verboten.

Psychosen drohen

Thomas Klein warnt vor Cannabis-Konsum. Zwar sei die „Toxizität“ etwa bei Alkohol deutlich höher als bei Cannabis. Doch manche Konsumenten seien in ihrer Veranlagung sensibler als andere. Die stünden dann in der Gefahr, in eine Psychose abzurutschen: Wahnhafte Zustände, Ängste, Halluzinationen – und das über Monate, wenn die Droge schon längst nicht mehr im Körper ist. Je früher man zu kiffen beginne, besonders in der Jugend, desto stärker werde die Entwicklung der Persönlichkeit und der emotionalen Reife beeinträchtigt. Immer wieder führe dies dazu, dass die Betroffenen in ihrer Entwicklung stehenbleiben und sich als Erwachsene emotional noch in der Pubertät befinden.

Das Risiko, dass ein Jugendlicher bei regelmäßigem Gebrauch vor dem 15. Lebensjahr an einer schizophrenen Psychose erkrankt, ist laut Studien bis um das Sechsfache erhöht. Fast jeder zehnte Cannabiskonsument wird abhängig. Auch kognitive Einschränkungen sind durch Studien belegt. Cannabiskonsumenten zeigen überdurchschnittlich oft Einschränkungen bei abstraktem Denken, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, Lernen und psychomotorischen Funktionen. Die Jugendlichen, die das Regierungsvorhaben auch schützen soll, sind also besonders gefährdet vom Cannabis-Konsum.

Der Psychiater, Psychotherapeut und Psychoanalytiker Rainer Matthias Holm-Hadulla warnt in der sogenannten „Göttinger-Studie“ davor, Cannabis als ungefährliche Freizeitdroge anzusehen und die Risiken zu verleugnen. Erwehrt sich auch gegen den angeführten Vergleich von Cannabis- und Alkoholkonsum. Die Zahl der Personen, die Alkohol ohne jeden Schaden trinken, sei um ein Vielfaches größer als durch Cannabis.

„Prohibition hat noch nie funktioniert“

Michael Lenzen, Vorstand der christlichen Drogenarbeit „Neues Land“, ist ebenfalls gegen die Legalisierung. Er fürchtet, dass es ähnlich wie beim Shisha-Rauchen zu einem Konsumtrend kommt, weil Cannabis als harmlos eingestuft wird und dann auch Produkte „unter der Ladentheke“ mit stärkerem THC-Gehalt als vorgesehen angeboten werden. Die Weitergabe von Erwachsenen an Minderjährige könne – ähnlich wie bei Alkohol – nicht ausgeschlossen werden.

Für eine Legalisierung ist Michael Lenger. Er arbeitet bei der Heilsarmee als Straßensozialarbeiter in Hamburg. Cannabis sei nicht unproblematisch, vor allem bei Heranwachsenden. Positiv sieht er jedoch an der Legalisierung, dass die Beschaffungskriminalität sinke und zudem gewährleistet sei, dass das offiziell verkaufte Cannabis nicht mit giftigen Substanzen gestreckt worden sei. Und: „Prohibition hat noch nie funktioniert“, sagt er gegenüber PRO. Den Stoff bekomme man heute an jeder Ecke.

Studien haben gezeigt, dass Cannabiskonsum die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt und berauschte Fahrer häufiger in Unfälle verwickelt sind. Je nach Konsumverhalten wird der Wert sehr häufig noch sechs Stunden bis hin zu mehreren Tagen und Wochen nach der letzten THC-Aufnahme überschritten. Wenn gelegentliche Konsumenten einen Joint mit 0,30 Gramm Cannabis und 10 Prozent THC-Gehalt rauchen, liegen erst acht Stunden danach zehn von elf Probanden unterhalb von 1 Nanogramm (ein Milliardstel Gramm) pro Kubikzentimeter Blut, dem derzeitigen Grenz­wert.

Welcher Wert zukünftig gelten soll, darauf legen sich derzeit weder Juristen noch Mediziner fest. Sie empfehlen lediglich, den derzeit angewandten Grenz­wert für die THC-Konzentration angemessen heraufzusetzen. Juristen sehen das Vorhaben ohnehin kritisch, weil sich die Regierung mit dem Gesetzesvorhaben gegen internationales Recht stellt. Sie rechnen damit, dass das Gesetz – ähnlich wie die PKW-Maut –  vom Europäischen Gerichtshof wieder einkassiert wird.

Auch Zugang zu Alkohol und Zigaretten erschweren

Uwe Heimowski, der Politikbeauftragte der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD), fing mit 16 an zu kiffen. „Wenn ich bestimmte Musik dazu gehört habe, hat Cannabis bei mir Panikattacken ausgelöst.“ Hatte er an einem Wochenende viel gekifft, fiel er in den nächsten Tagen in depressive Löcher.

Als Heimowski Christ wurde, hat er die Finger von Drogen gelassen. Stattdessen engagierte er sich in der christlichen Drogenarbeit in Gera. „Da kamen Jugendliche, die hatten mit acht, neun Jahren angefangen, Cannabis zu rauchen.“ Er hält nichts von dem Argument, Cannabis zu legalisieren, weil das bei Alkohol und Zigaretten bereits der Fall sei. „Aus eigener Erfahrung sage ich: Der Staat soll den Zugang zu Alkohol und Zigaretten erschweren, statt Cannabis zu legalisieren.“

Oberarzt Thomas Klein macht einen grundsätzlichen Trend aus. Durch das Smartphone seien sich die Menschen so nah wie nie, und dennoch litten viele an Einsamkeit. „Immer mehr Menschen versuchen, ihre negativen Gefühle zu manipulieren, um sie nicht mehr zu spüren. Dabei sagt die Bibel, wir sollen nüchtern sein.“ Das bedeute mehr als nur die Abwesenheit von Drogen.

Auch Klein hat nichts gegen ein Glas Wein. Doch wenn Menschen Mittel wie Alkohol oder Cannabis benutzten, um ihre Probleme damit wie mit einem Medikament zu behandeln, laufe etwas schief. Diese Gefahr werde in der Debatte stark unterschätzt.

Anlaufstellen bei Suchtproblemen:
Blaues Kreuz 
Deutsches Rotes Kreuz (Telefon: 08000 365 000, für Angehörige: 06062 607 67)

Ein großes Netz an Beratungsstellen bieten:
Caritas
Diakonie

Von: Nicolai Franz, Norbert Schäfer und Martin Schlorke

Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 6/2022 von „PRO – das christliche Medienmagazin“. Wir haben den Artikel mit den neuesten Infos aktualisiert.

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