Der Deutsche Bundestag hat mit überwältigender Mehrheit die Massaker an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten während des 1. Weltkrieges erstmals als „Völkermord“ bezeichnet. Drei Spitzenpolitiker fehlten bei der Abstimmung über die Resolution.
Von PRO
Foto: Deutscher Bundestag / Simone M. Neumann
Das EU-Parlament und viele andere Länder hatten die Massaker an den Armeniern bereits vor Jahren als Völkermord eingestuft – nun folgte der Deutsche Bundestag
Für den Antrag der Fraktionen von Union, SPD und Grünen stimmten bei einer Enthaltung und einer Gegenstimme alle anderen anwesenden Abgeordneten. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärte: „Die heutige Regierung in der Türkei ist nicht verantwortlich dafür, was vor 100 Jahren war. Aber sie ist verantwortlich dafür, was heute daraus wird.“ Scharf kritisierte Lammert, dass vor allem Abgeordnete mit türkischem Migrationshintergrund im Vorfeld der Parlamentssitzung unter Druck gesetzt worden waren. Auch von Morddrohungen war die Rede. Lammert nannte die Drohungen „inakzeptabel“.
In der Debatte erklärten mehrere Redner in seltener Einigkeit, die Benennung des Völkermordes sei nicht als Belehrung der türkischen Regierung gemeint, sondern als Beitrag zur Versöhnung der Völker.
Als maßgeblicher Initiator der Resolution gilt Cem Özdemir (Grüne). Ihm gehe es nicht um „Fingerzeigen“ oder um Überlegenheitsgefühle, sondern weil es um deutsche Verantwortung gehe. Deutschland habe eine „historische Verpflichtung, Armenier und Türken aus Freundschaft zur Versöhnung zu ermuntern“.
Der Antrag benenne auch die Mitschuld Deutschlands als Verbündeter des Osmanischen Reichs. Özdemir, der ebenfalls Drohungen erhalten hatte, bedankte sich bei der Großen Koaltion für das „Worthalten“, die Resolution mitzutragen. Außerdem dankte er den Kirchen, Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Norbert Lammert für ihre Unterstützung. „Ohne sie hätte es diesen gemeinsamen Antrag so nicht gegeben.“ Besonders erinnerte Özdemir an die „türkischen Schindlers“, die dem Befehl zur Vernichtung der Armenier nicht Folge geleistet hätten.
„Völkermord bleibt Völkermord bleibt Völkermord“
Der CDU-Abgeordnete Martin Pätzold, der selbst armenische Wurzeln hat, sagte, es gehe nicht um „Fingerzeigen“, sondern um „Versöhnung und Aussöhnung, das ist tief in meinem Bewusstsein verankert“. Sein Fraktionskollege Franz-Josef Jung sagte: „Nur wer sich zur Vergangenheit bekennt, kann Versöhnung und somit die Zukunft gestalten.“
Albert Weiler (CDU), Vorsitzender des Deutsch-Armenischen Forums, wies darauf hin, es habe auch nach 1945 keine Annäherung und Freundschaft mit Israel geben können, wenn die Deutschen ihre Vergangenheit nicht aufgearbeitet hätten. Dietmar Nietan (SPD) warnte davor, den Völkermord als Argument in der tagesaktuellen Diskussion zu verwenden. Dennoch: „Ein Völkermord bleibt ein Völkermord bleibt ein Völkermord.“
Abstimmung ohne Merkel, Gabriel und Steinmeier
Linkenpolitiker Gregor Gysi forderte dazu auf, Menschenrechtsverletzungen in der Türkei offen zu benennen. Wie Özdemir forderte Gysi, dass der Bundestag sich auch mit der deutschen Verantwortung für die Massaker an den Herero und Nama im heutigen Namibia beschäftigen solle.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), ihr Vize Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nahmen an der Abstimmung nicht teil. Beobachter vermuten, dass sie die Beziehungen zur Türkei nicht gefährden wollen.
Der türkische Präsident Erdogan und Ministerspräsident Yildirim hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Woche telefonisch gewarnt, eine solche Resolution werde die Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei verschlechtern.
In der internationalen Forschung gilt es als unumstritten, dass es sich bei den Massakern und Deportationen an den Armeniern in den Jahren 1915/1916 um einen Völkermord gehandelt habe. (pro)
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