Buchhandel sieht Trend zur Religion

Die Nachfrage nach Büchern zu Kirchenthemen und religiösen Fragen hat im vergangenen Jahr kräftig um 7,3 Prozent zugelegt. Dies geht aus Marktdaten hervor, die das "Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel" am Donnerstag vorgelegt hat.
Von PRO
Gründe für das wachsende Interesse sieht das Branchenblatt zum einen im Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche, zum anderen in der von Thilo Sarrazin angestoßenen Debatte um Islam und Integration. In der Extra-Ausgabe des "Börsenblattes" zum Thema Religion heißt es, das Thema Missbrauch hätten Verlage mit neuen Titeln aufgegriffen, die bei Kritikern aber auch bei kirchennahen Menschen auf reges Interesse gestoßen seien. Die Verlage hätten mit Büchern reagiert, die die Strukturen hinter dem Skandal analysierten und den Reformforderungen der kirchlichen Basis eine Stimme gegeben hätten. Die Sarrazin-Thesen indes hätten den Absatz von Büchern zum interreligiösen Dialog und zum Islam gefördert, die die Verlage teils bereits im Programm hatten.

Die "Top Ten" der religiösen Titel 2010 wurden von unterschiedlichen Bibel-Ausgaben dominiert, teilt das Blatt mit. Auf Rang zwei und drei landeten Bücher der evangelischen Theologin Margot Käßmann. Sie war mit den Titeln "Das große Du" und "Einfach Evangelisch" in der Rangliste vertreten.

Nur weil die Religion wieder Thema sei, bedeute dies aber nicht, dass die Menschen religiöser geworden sind, schreibt das Fachblatt unter Berufung auf Umfragen. Vielmehr gebe es für eine nachhaltige Renaissance von Religiosität in Deutschland keinerlei Anzeichen. Die Missbrauchsfälle und der Zank um den Zölibat hätten die Erosion in den christlichen Kirchen eher beschleunigt.

"Viele Leser wollen konkrete Antworten"

Manuel Herder, Chef des Herder-Verlages, Deutschlands größtem religiösem Verlagshaus, sagt im Interview, ihm sei es wichtig, dass die Theologie als Wissenschaft immer auf Kontroverse und Diskussion hin angelegt sei. "Sie ist eine freie Wissenschaft, die über den Fachbereich hinaus beim Lesepublikum großes Interesse findet", sagt der gläubige Katholik. Auch der Papst bitte schließlich im Vorwort zu seinem Jesusbuch um Kritik. Den Ende November erschienenen Interviewband "Licht der Welt" mit dem Papst bezeichnet er als "Beispiel von authentischer Dialogbereitschaft, wie ich kein weiteres kenne".

Auf die Frage, ob rein konfessionelle Verlage heute noch wirklich erfolgreich im Markt sein könnte, antwortet Herder: "Wenn sie von kirchlicher Seite subventioniert sind, dann schon." Sein Verlag orientiere sich an verschiedenen Marktstudien, wie etwa den Religiösen Trendmonitor von Allensbach und Sinus-Milieu, an deren Zustandekommen er in Teilen mitgewirkt habe. "Unsere Zielgruppen im Bereich Religion sind die wertkonservativen, buchaffinen Vielleser mit Hang zum (monatlichen) Zweitbuch." Der Verleger stellt fest: "Viele Leser interessieren sich nicht nur für abstrakte Fragen, sondern auch für die konkrete Umsetzung von Antworten. Sie wollen wissen, was von all dem, was öffentlich diskutiert wird, für sie von Relevanz ist."

"Evangelikaler Anteil am Markt sehr klein"

Der Chef des christlichen "Brunnen"-Verlages, Detlef Holtgrefe, vermutet einen starken Einfluss auf die Sparte Sachbuch durch das Buch "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin. "Wenn ein Titel 1,3 Millionen mal verkauft wurde, kann das ein Umsatzplus von 5 bis 7 Prozent einbringen. Gleichzeitig höre ich aber von den Buchhändlern selber, dass die Sparte Sachbuch eigentlich leicht rückgängig sei, nur durch das Sarrazin-Buch sind sie im Plus. Da können einzelne Titel sehr die Statistiken beeinflussen. Das war bei Harry Potter ähnlich."

In seinem Verlag sei der Erfolg sehr von einzelnen Titeln abhängig. Das Buch "Warum Gott" von Tim Keller habe sich im vergangenen Jahr 4.000 Mal verkauft. "Das ist für unsere Verhältnisse bei einem Hardcover-Buch zu einem Sachbuchthema sehr viel. Das haben wir schon seit Jahren nicht mehr so gehabt", sagte Holtgrefe gegenüber dem Christlichen Medienmagazin pro. Die 7,3 Prozent, von denen das "Börsenblatt" spricht, spiegelten ein Stimmungsbild auf dem allgemeinen Markt wieder. "Da ist der Anteil des evangelikalen Marktes sehr, sehr klein", so Holtgrefe. Er bestätigte, dass die Verlage, die normalerweise allgemeine Themen im Programm haben, mehr und mehr religiöse Themen bedienten. "Diese allgemeinen Verlage sind per se eher im Sortiment gelistet als Verlage wie Hänssler, Brockhaus, Brunnen oder Gerth. Auf uns wartet niemand im allgemeinen Sortiment, das ist unser Nachteil."

Für die evangelikale Stiftung Christliche Medien (SCM) war 2010 das bisher erfolgreichste Jahr in der Geschichte des Unternehmens. Die gesamte SCM-Gruppe habe einen Umsatz von mehr als 27 Millionen Euro erzielt, teilte der Verlag mit. Im jüngsten Ranking der 100 größten Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz kam die Verlagsgruppe auf Platz 77.

Auch der christliche Verlag "Gerth Medien" kann sich über einen Umsatzwachstum sowohl im vergangenen Jahr, als auch in den ersten zwei Monaten von 2011 freuen. Geschäftsleiter Ralf Markmeier sagte allerdings gegenüber pro ebenfalls, dass es kein grundsätzlich größeres Interesse an religiöser Literatur sehe, sondern dass große Teile des Umsatzwachstums "einigen wenige Spitzen-Titeln" zu verdanken seien. "In der Breite bewegt sich nicht viel mehr als sonst", stellt Markmeier fest. Er ist zudem skeptisch, dass das Sarrazin-Buch Grund für den Zuwachs gewesen sei, denn "dann müsste der Effekt eigentlich deutlich größer sein". Das Buch könne allerdings zu einem größeren Interesse am Islam und an damit verbundener Literatur geführt haben. In seinem Verlag gehörten zu den Bestsellern immer noch "Die Hütte" von William Paul Young sowie Bücher aus dem Bereich "Geistiges Leben". Markmeier prognostiziert schon jetzt, dass ein Bestseller das Buch "Sehnsucht nach Leben" von Margot Käßmann werden wird, das im Adeo-Verlag erscheinen wird, der "Gerth Medien" angeschlossen ist. (dpa/pro)
http://www.boersenblatt.net/415484
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