Brot für die Welt: So viele Menschen leben unfrei

Brot für die Welt und CIVICUS, ein weltweites Netzwerk für bürgerschaftliches Engagement, haben heute den „Atlas der Zivilgesellschaft“ veröffentlicht. Demnach leben nur drei Prozent der Weltbevölkerung in Staaten, in denen zivilgesellschaftliche Grundfreiheiten garantiert sind.
Von Johannes Blöcher-Weil
Dagmar Pruin, Präsidentin des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“.

Der Atlas der Zivilgesellschaft dokumentiert, in welchen Ländern die Zivilgesellschaft frei handeln kann. Bei der Vorstellung des 84-seitigen Werks wurde deutlich, dass nur 240 Millionen Menschen in 39 Ländern in „offenen“ Staaten leben, in denen zivilgesellschaftliche Grundfreiheiten wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantiert sind.

Dagegen leben etwa neun von zehn Menschen in Staaten mit „beschränkter“, „unterdrückter“ oder „geschlossener“ Zivilgesellschaft. Während mit der Mongolei ein Land seine Einstufung verbessert hat, gibt es 14 Absteiger. „Gerade in einer Zeit, in der Regeln des friedlichen Zusammenlebens über den Haufen geworfen werden, brauchen wir weltweit eine starke Zivilgesellschaft, die die Schwächsten schützt“, betonte Dagmar Pruin, Präsidentin des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“.

Der Atlas beschäftigt sich mit dem Schwerpunktthema Digitalisierung. Diese bezeichnete Pruin als „Chance und Bedrohung“. Einerseits könnten Aktivisten mit digitalen Tools ihre Inhalte effizienter verbreiten, andererseits könnten Regierungen ihre Bürger viel einfacher überwachen. Diese Technik sei häufig „made in Europe“. Pruin fordert, dass sich die Bundesregierung auch im digitalen Raum für universelle Menschenrechte starkmache und Verstöße gegen die Menschenrechte ächte.

Desinformation hat den Krieg erleichtert

Die Folgen von Fake-News-Kampagnen und jahrelanger Verfolgung von Aktivisten könne man aktuell in Russland beobachten: „Krieg in Europa wurde auch deshalb wieder möglich, weil Zensur und Desinformation so groß sind, dass kein gesellschaftlicher Widerspruch mehr möglich ist“, sagte Silke Pfeiffer, Leiterin des Referats Menschenrechte und Frieden.

Im Atlas für die Zivilgesellschaft sind die Ergebnisse farblich dargestellt von grün über gelb und orange bis rot: „Die Welt sieht rot“, erklärte Pruin. In allen roten Staaten sei der zivilgesellschaftliche Handlungsraum geschlossen. Zu ihnen gehörten China, Nordkorea, Kuba und Aserbaidschan: „Hier wird jegliche Kritik an staatlichem Handeln schwer bestraft.“

Auf der Weltkarte sind die Länder farblich markiert. In den „grünen" Ländern ist die Situation am besten. (Bild: Brot für die Welt) Foto: Brot für die Welt
Auf der Weltkarte sind die Länder farblich markiert. In den „grünen“ Ländern ist die Situation am besten.

Pruin erläuterte, dass die großen Plattformkonzerne wie Facebook oder Twitter gerade in jenen Ländern kaum Profite machten, „in denen irreführende oder unwahre Posts oder Aufrufe zu Gewalt die größte Wirkung haben“. Dort würden sie wegen des geringen wirtschaftlichen Interesses auch kaum Geld für Faktenchecks ausgeben. „Die Algorithmen belohnen sogar Inhalte, die besonders emotional oder polarisierend sind.“ Diese erwiesen sich als Brandbeschleuniger.

70 Prozent der Weltbevölkerung lebten in Staaten, die ihre Zivilgesellschaft unterdrücken oder eben komplett geschlossen haben. Die Zivilgesellschaft wird in 48 Staaten „unterdrückt“. Dies sind vier Länder mehr als im Vorjahr. „Geschlossen“ ist der Raum für zivilgesellschaftliche Akteure in 25 Staaten. Neu in dieser Kategorie seien Belarus und Nicaragua. Es sei davon auszugehen, dass die Grundfreiheiten weltweit weiter abnehmen werden, erklärte Pruin.

Belgien, Tschechien und Polen steigen ab

Zu den europäischen Absteigern gehören Belgien, Tschechien und Polen. Belgien und Tschechien rutschten von „offen“ in „beeinträchtigt“. In Belgien habe es übermäßige Polizei-Gewalt bei friedlichen Versammlungen gegen Rassismus und soziale Ungleichheit gegeben. Polens Regierung habe eine Justizreform vorangetrieben, die die Gewaltenteilung schwer beschädige, und massiv in die Presse- und Meinungsfreiheit eingegriffen.

Einer von vier Länder-Schwerpunkten des Werks ist die Ukraine. Die Ergebnisse zeigten, welche Folgen russische oder pro-russische Desinformationskampagnen für weite Teile der ukrainischen und russischen Gesellschaft hatten und haben. Desinformationen sei eine wichtige Waffe der russischen Kriegsführung. Gefälschte Nachrichten sollten die ukrainische Gesellschaft spalten.

Botschaften und Desinformationen würden von Trollen verbreitet, die in Sozialen Medien, Foren und Blogs aktiv seien. Immerhin wehre sich die ukrainische Zivilgesellschaft gegen diese Entwicklungen, indem sie auf eine Website die Falschnachrichten aufdeckten. Die Propaganda finde immer neue Themen, die Ängste schürten und für Destabilisierung und einen Vertrauensverlust der Regierung sorgten.

Demokratie muss immer wieder neu erkämpft werden

Eine der wenigen positiven Entwicklungen des Berichts sei Rumänien. Dort gebe es seit Januar ein Gesetz, das Hassverbrechen gegen die Roma-Gemeinschaft unter Strafe stellt. In Südkorea habe die Regierung restriktive Änderungen des Mediengesetzes wegen des Widerstands von Zivilgesellschaft und Medien wieder zurückgenommen.

Silke Pfeiffer betonte, dass es 2021 so viele autokratische Regime wie noch nie gegeben habe. Hinzu kämen eine nachlassende Internet-Freiheit und Einschränkungen beim Demonstrationsrecht: „Lateinamerika ist der Kontinent, in denen die Arbeit für Menschenrechts-Verteidiger am schwierigsten ist“, bilanziert sie. Präsidentin Dagmar Pruin machte deutlich, dass die Demokratie nicht vom Himmel falle und von der Zivilgesellschaft immer wieder neu erkämpft werden muss.

Die Daten für den Atlas der Zivilgesellschaft basieren auf Erhebungen von CIVICUS und der Auswertung verschiedener Quellen und Indizes, beispielsweise zur Rede- oder Versammlungsfreiheit. Die Daten wurden zwischen November 2020 und Oktober 2021 erhoben. CIVICUS unterteilt die Freiheitsgrade einer Gesellschaft in die fünf Kategorien offen, beeinträchtigt, beschränkt, unterdrückt und geschlossen.

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Eine Antwort

  1. Die Liste entspricht weitgehend dem Weltverfolgungsindex von „Open Doors“, siehe hier:
    https://www.pro-medienmagazin.de/weltverfolgungsindex-2022-christenverfolgung-open-doors/

    Ein trauriger Beleg dafür, dass eine Gesellschaft ohne Achtung des christlichen Glaubens – die weltweit meistverfolgten Menschen sind Christen -, dass solch eine Gesellschaft ihren Zusammenhalt und ihre Menschlichkeit verliert.
    https://www.pro-medienmagazin.de/religionsfreiheit-ein-gradmesser-fuer-andere-freiheitsrechte/

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