Der Theologe Wolfgang Huber empfiehlt, sich wieder „mehr für Menschen zu interessieren, die nicht aus dem eigenen Umfeld kommen und die gleichen Überzeugungen haben“. Das helfe dabei, seine eigenen Überzeugungen nicht zu wichtig zu nehmen, sagte Huber im Gespräch mit der Märkischen Allgemeinen Zeitung.
Ein Dilemma sieht der frühere EKD-Ratsvorsitzende darin, dass der ausgesprochene Hang zur Political Correctness gesellschaftliche Debatten blockiere: Außerdem gebe es das Verlangen, „alles sagen zu dürfen, auch wenn man übertreibt und populistisch argumentiert. Das verführt Menschen zu der Vorstellung, dass der Mut zur Wahrheit sich in vereinfachenden und groben Ausdrucksweisen zeigt“. Etwas zu sagen, setze auch Nachdenken voraus, und daran fehle es manchmal. Auch die Verbreitung einfacher Antworten in den Sozialen Netzwerken trage zur Entdifferenzierung und Vereinfachung bei: „Ich spreche übrigens lieber von digitalen Netzwerken, weil ich das Soziale darin manchmal nicht erkennen kann.“
Bestimmte AfD-Haltungen nicht mit dem Grundkonsens vereinbar
Im Blick auf die AfD müsse die Gesellschaft darauf hinweisen, „dass bestimmte Haltungen dieser Partei mit dem Grundkonsens unserer Gesellschaft nicht vereinbar sind“. Man müsse das Gespräch suchen mit Menschen, die anfällig für AfD-Positionen sind und sie nicht ausgrenzen. Huber findet es falsch, AfD-Vertretern von Podien des Evangelischen Kirchentags auszuschließen. Beim Kirchentag könne jeder mitreden, „der sich zu Offenheit und Toleranz bekennt und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ablehnt“. Dies vertrage sich nicht mit bestimmten AfD-Positionen. „So aber kam als Botschaft an: AfD-Anhänger sind auf dem Kirchentag von vornherein unerwünscht.“
Sorgen bereitet Huber die allgemeine politische Entwicklung. Deutschland gehe es „wirtschaftlich blendend“. Das Land habe viele Krisen gemeistert. Trotzdem vertraue ein Teil der Bevölkerung nicht der Demokratie. Es gehe darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, „dass man schwierige Situationen überwinden kann“.
Gefühl des Nicht-Verstanden-Werdens vererbt sich
Auch 25 Jahre nach seinem Dienstantritt als Bischof in Brandenburg existiere bei der Bevölkerung das Gefühl, „nicht verstanden, nicht wertgeschätzt zu werden, gibt es noch immer, und es vererbt sich sogar“. Nach wie vor wünscht sich Huber, dass es Kirche gelingt, „andere teilhaben zu lassen an dem, was Christen wichtig ist, und darin ein Angebot zum Dialog zu sehen“. In der DDR habe die Kirche einen starken Zusammenhalt gebraucht, um sich von der atheistischen Tradition abzugrenzen.
Als Bischof sei er mit der Leitidee einer „offenen und öffentlichen Kirche“ angetreten, deren Botschaft vernehmbar sein sollte: „Das ist nach wie vor eine große Aufgabe.“ Für bedauerlich hält Huber, dass der öffentliche Diskurs in Deutschland „weitgehend unter Ausklammerung der Fragen von Religion und Weltanschauung stattfindet“.
Wolfgang Huber wurde 1942 geboren. Der Theologe war von 1994 bis 2009 Bischof von Berlin-Brandenburg. Die letzten sechs Jahre davon war er Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland und repräsentierte die mehr als 20 Millionen Protestanten. Als Ruheständler kümmert er sich ehrenamtlich unter anderem als Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Garnisonkirche Potsdam um deren Erhalt. Seit 2015 wohnt er mit seiner Frau Kara in Lindow (Ostprignitz-Ruppin).
Von: Johannes Blöcher-Weil