Bono von U2 ist einer jener Menschen, deren Biografie auch interessant sein sollte für jemanden, der noch nie einen Takt seiner Rockband gehört hat (was sehr unwahrscheinlich ist). Für Fans ist „Surrender“ natürlich Pflichtlektüre, aber was dieser weltoffene, neugierige und philosophische Sänger aus Dublin mit den auffälligen Sonnenbrillen ehrlich und selbstironisch aufgeschrieben hat, ist auch für andere Leser erhellend. Immerhin ist Bono auch als Aktivist im Kampf für die Armen unterwegs, traf die wichtigsten Menschen dieses Planeten oder ist gar mit ihnen befreundet. Darunter sind Päpste, US-Präsidenten und Musiker-Legenden wie Bob Dylan, David Bowie und Frank Sinatra. Und gleichzeitig ist Bonos Buch der ehrliche Bericht eines Rockstars, der eigentlich in einer christlichen Band spielt, ohne das zu wollen.
Bono, The Edge, Larry Mullen Jr. und Adam Clayton lernten sich 1978 in der Schule kennen. Aus dieser Truppe von Teenagern sollte U2 werden, eine der erfolgreichsten Rock-Bands der Welt. Die Lieder von U2 sind voller spiritueller Sehnsucht, und so ist auch die Autobiografie Bonos, der mit bürgerlichem Namen Paul David Hewson heißt, geprägt von einem tiefen Glauben. Den Titel „Surrender“ kann man mit „Kapitulation“ übersetzen, aber auch mit „Hingabe“. Hingabe habe für ihn im Leben immer eine große Bedeutung gehabt, sagte Bono der Presse. „Ich mühe mich immer noch ab, diese Demut lehrende Eigenschaft zu meistern, in der Band, in meiner Ehe, in meinem Glauben, in meinem Leben als Aktivist.“ Sein Buch sei „die Geschichte eines Pilgers, der nicht so recht vorankommt … mit einer Menge Spaß dabei.“
Gott geht durch den Raum
Der Fan erfährt viele Details, etwa wie Bono seine späteren Mitstreiter und seine Ehefrau in der Schule kennenlernte, woher Edge und Bono ihre Namen haben, und, natürlich, warum U2 U2 heißen. Es ist ja immer faszinierend, Zeuge der Entstehung großer Songs der Musikgeschichte zu sein. Hier liest man, wie es zum bekannten „Sunday bloody Sunday“ kam („War es möglich, in einem Song den irischen Osteraufstand von 1916 dem toten Messias gegenüberzustellen, der vor Ostern gekreuzigt wurde?“) Oder man ist Zeuge, wenn musikalische Giganten wie Bono und Bob Dylan aufeinandertreffen. „Im Grunde kennen sie alle doch ihre Bibel, die großen Rock-Poeten“, schreibt Bono, der sein eigenes Buch mit vielen Bibelbezügen versehen hat.
Egal, wie „beschissen“ ein Konzert laufe oder die Band gerade drauf sei, wenn sie den Song „Where the Streets Have No Name“ anstimme, dann sei es, „als würde Gott durch den Raum gehen“. Ein Autohersteller habe 23 Millionen Dollar für die Verwendung des Liedes in einem Werbeclip geboten, berichtet Bono. Die Band habe abgelehnt. Ein Freund hatte gewarnt: Wenn ihr das macht, wird es irgendwann nicht mehr heißen: „Gott ist durch den Raum gegangen“, sondern: „Ach, das ist doch der Song aus der Autoreklame!“
Bono beschreibt, wie er bei einem katholischen Vater und einer protestantischen Mutter aufwuchs, die beide sonntags ihre Kinder jeweils in ihre Kirche mitnahmen. Zudem gehörte Bonos bester Freund Guggi mit seiner Familie einer Freikirche an, und sie gingen sonntags gleich in drei Gottesdienste. „Von Guggi habe ich gelernt, dass Gott sich für die Einzelheiten unseres Lebens interessiert.“ Bono berichtet aus diesen Gottesdiensten: „Ich war immer der Erste, der aufsprang, wenn der Ruf zum Altar ertönte, wenn es hieß ‚Kommt zu Jesus‘. Das ist heute immer noch so. Wenn ich jetzt in einem Café säße und jemand sagte: ‚Wer bereit ist, sein Leben Jesus zu widmen, aufstehen!‘, wäre ich als Erster auf den Beinen. Bis heute nehme ich Jesus überall mit hin. Egal, was ich tue, sei es noch so banal, Jesus ist immer dabei.“
Später schlossen sich Bono, Edge und Larry einer Gruppe von Straßenpredigern an (Bassist Adam Clayton hatte als einziger mit Glauben nichts am Hut), die sich „Shalom-Gemeinde“ nannte. „Sie wussten vielleicht nicht immer, wovon sie ihre nächste Mahlzeit bezahlen sollten, aber mit der Bibel kannten sie sich aus.“ Diese Gruppe sollte aber auch zur ersten Krise der Band führen, denn Edge bekam Gewissensbisse: Sollte man als ergebener Christ auf Mission und Teil einer aufstrebenden Rockband gleichzeitig sein können? Bono und Edge beschlossen in der Tat, den beginnenden Erfolg der Band U2 im Keim zu ersticken, um lieber für Gott zu missionieren.
U2 – Keine christliche Band?
Es kam dennoch anders, und auch heute noch reflektiert Bono sehr genau, welchen Nutzen sein Werk eigentlich hat, ob erfolgreich Musikmachen denn sinnvoller oder wertvoller sein kann als beispielsweise die Arbeit von Krankenpflegern im Krankenhaus. „Ihr seid also keine christliche Band?“, hätten fromme Menschen wissen wollen, wenn sie erfuhren, dass Bassist Adam kein Christ war. Larry habe dann geantwortet: „Ich will in keiner scheiß christlichen Band spielen, ich will in ’ner richtig geilen Band spielen …“ Für Bono war klar: „Auch ich wollte Musik machen, die uns tragen konnte, mit all unseren Widersprüchen. ‚In der Welt, aber nicht von dieser Welt sein‘ lautete die Weisung der Heiligen Schrift, die zu erfüllen eine Lebensaufgabe war.“
Vor jedem Auftritt bete die Band, schreibt Bono. Bereits als die noch taufrische Gruppe ihre erste Reise in die große Stadt London antrat, mit nur 37 Pfund in der Tasche, war klar: „Wir vertrauten auf unsere Gebete und waren davon überzeugt, dass der göttliche Reiseveranstalter unsere Probleme schon lösen würde.“ Einmal als die Band wieder in einem Hotelzimmer betete, sei eine Frau vom Zimmerservice hereingekommen und habe kurzerhand einfach mitgemacht.
„Songs sind meine Gebete.“ Auch dieser Satz fällt häufig im Buch. Und so entfaltet Bono die religiöse Kraft einiger der größten U2-Hits. Songs wie „Where the Streets Have No Name“ oder „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ hätten etwas Erhebendes, so wie Kirchenlieder. Kein Wunder, denn letztere hätten sich dem „nachdenklichen Protestanten namens Edge“ in die DNA eingeschrieben. Der Song „Gloria“ sei von einem Psalm und von gregorianischen Gesängen beeinflusst, klärt Bono auf, „I will follow“ erinnere an den liebenden Vater aus der Geschichte vom verlorenen Sohn, „It’s a beautiful day“ an das Ende der Sintflut und den Regenbogen, „der bis heute das Symbol für die Hoffnung ist“. „Vertigo“ wiederum handle von der Versuchung Christi und was es bedeute, dem Teufel ein „Fuck off“ entgegenzuschmettern. Einem der bekanntesten U2-Songs, „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“, ein Titel von Edge, lag die „Pilgerreise“ von John Bunyan zugrunde.
Viele Seiten im zweiten Teil des Buches handeln von Bonos Engagement gegen Armut, von seinen mitbegründeten Hilfsorganisationen und -kampagnen wie „Jubilee 2000“, „One“, „Red“ und „The Rise Fund“. Ob Rupert Murdoch, Steve Jobs, Nelson Mandela, Paul McCartney, Prince oder Johnny Cash, Bono verkehrte mit vielen interessanten Promis. Manche Geschichten sind vorzüglich, etwa die, bei der er spontan im Weißen Haus im Bett von Abraham Lincoln ein Nickerchen machte. Bonos völlig uneitler, erfrischend selbstironische Schreibstil lässt den Leser auch bei fast 700 Seiten dran bleiben. Dieser Mann hat viel zu erzählen. Dabei bleibt er stets der – trotz des millionenschweren Erfolgs – fast ganz normale Typ aus Dublin, der seine tiefen Gedanken und seine spirituelle Suche am besten durch Musik ausdrücken kann.
Bono: „Surrender: 40 Songs, eine Geschichte“, Verlag: Droemer HC, 696 Seiten, 32 Euro, ISBN: 978-3-426-27805-5