Die böse ARD! Dreht sie in einem Video einfach den Ton lauter, als US-Präsident Donald Trump auf dem Weltwirtschaftsforum ausgebuht wird. Manipulation!, Stimmungsmache!, tönt es durch die Sozialen und manche Nachrichtenmedien. Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-Aktuell, rechtfertigt den technischen Eingriff als journalistische Präzision: Das Redner-Mikrofon von Trump hätte die Atmosphäre im Saal nicht korrekt wiedergeben können. Aber auf die Atmosphäre und die Rufe des Publikums kam es dem Sender in dem Fall an.
Und jetzt sollten sich alle mal wieder beruhigen. Die Kritiker, die im ersten Programm sofort Manipulation, Einseitigkeit und Stimmungsmache wittern, sollten den Fall einmal im Kontext der Berichterstattung des Senders sehen: Es handelt sich um ungefähr drei Sekunden eines achtzehnsekündigen Videos, das die Tageschau auf ihren Social-Media-Kanälen geteilt hatte. In den Hauptnachrichten kam die Sequenz überhaupt nicht vor – weder in Text noch in Bild. Dort wurde nüchtern und sachlich über Trumps Auftritt beim Weltwirtschaftsforum berichtet und über die inhaltlichen Kernpunkte, die er dort vorbrachte.
Ein belangloser Beitrag
Zudem ist es durchaus üblich, beim Schnitt eines Rundfunkbeitrags auch in das Rohmaterial einzugreifen: Indem zum Beispiel lange Pausen oder „ähs“ und Gestammel in einem Satz herausgeschnitten werden, damit er sich flüssig anhört, oder indem die Tonspur reguliert wird, damit das Gesagte verständlich ist – auch wenn das Mikrofon den Ton lauter oder leiser aufgenommen hat.
Und darin, was der Beitrag verständlich machen will, liegt wiederum sein Problem. Nicht die Tatsache an sich, dass der Reporter die Buhrufe lauter gedreht hat, ist fragwürdig, sondern die ganze Videosequenz – und die bewusste Betonung der Publikumsreaktionen. Denn was hier gezeigt wird, ist belanglos. Sowohl, dass Trump sich hier negativ über die Presse äußert, als auch, dass es offenbar vereinzelte Buhrufe gab, sofern man sie überhaupt als solche zu erkennen vermochte zwischen Applaus und Gelächter.
Dass Trump gern gegen die Presse ätzt, ist nun wahrlich keine Neuigkeit. Und irgendwann verpufft dann auch die reflexhafte mediale Empörung über Trumps Geschimpfe. Die Medien müssen nicht über jedes Stöckchen springen, das Trump ihnen hinhält. Zumal der Präsident hier gar nicht wirklich geschimpft hat: Nach seiner Rede wird Trump gefragt, welche Erfahrungen der Vergangenheit ihm besonders geholfen hätten, sich auf die Präsidentschaft vorzubereiten (Minute 34:01). Daraufhin stellt er fest, dass er seinerzeit als Unternehmer eine sehr gute Presse gehabt habe. Seit er Präsident sei, bemerke er, „wie hinterhältig, gemein, bösartig und falsch die Presse sein kann“.
Kritisieren statt empören
Das ist typisches Trump-Vokabular, er inszeniert sich einmal mehr als Opfer der Presse und überschüttet sich selbst mit Eigenlob, aber was soll’s. Es ist weder neu oder zentral, noch äußert er sich wirklich beleidigend. Und dass Journalisten tatsächlich auch unfair sein können, ist nun mal eine Erfahrung, die sicher auch schon andere Menschen des öffentlichen Lebens gemacht haben.
Es stellt sich also eher die Frage: Warum hielt der ARD-Korrespondent es überhaupt für nötig, diese Sekunden zu verbreiten; abgesehen davon, dass er am Ende den Ton nach oben regelte? Sollten die Zuschauer Gelegenheit bekommen, wieder einmal richtig den Kopf zu schütteln über Mr. President? Da sollte man, wenn schon, konkret bei seiner Politik ansetzen, nicht bei altbekannten, aufgeblasenen Äußerungen. Statt oberflächliche Empörung anzuregen, müssen Journalisten dafür den Blick durch die Wortwolken Trumps ermöglichen. Dass das die ARD auch tut, beweist sie in ihren Nachrichtensendungen. Deshalb ist dieses kurze Video ebenso wenig der Aufregung wert wie es die Lästereien Trumps sind, die es zeigt.
Von: Jonathan Steinert